Meine Stadt gehört mir

Städte sind wirtschaftliche Motoren und Zentren der Innovation. Vor allem aber sind sie eines: Lebensräume. Wie sieht es aus, das gute Leben in der Stadt? Wie können Bewohner urbanen Wandel abseits der Politik aktiv mitgestalten und welche Rolle spielen Karten dabei? Zum World Cities Day 2019 sprachen wir mit Andreas Brück über diese und andere Ziele seines Forschungsprojekts „Critical Mapping in Municipalist Movements“.

Ronja Nayeri | Oktober 2019
CMMM_Teaserbild
AdobeStock/Scanrail

Was ist „Critical Mapping“ und wie funktioniert es?

Andreas Brück: Critical Mapping ist eine kritische Herangehensweise an das Kartieren – das Anlegen von Karten. Karten sind nie neutral, sondern bilden Machtstrukturen ab. Lange waren sie das Vorrecht einiger weniger Mächtiger, die beispielsweise über Grenzen verhandelten und Infrastrukturen festlegten. Heute sind Karten allgegenwärtig: wir haben mobile Endgeräte wie Handys und Fitness-Tracker immer dabei – mit Hilfe von GPS-Daten werden ständig Karten erstellt. Dazu braucht es keine Kenntnisse der Landvermessung mehr; man könnte also von einer Demokratisierung der Karte sprechen. Was aber können die Menschen mit diesen Technologien tun, um sich zu engagieren und in ihren Städten urbane Transformation voranzubringen? Können Karten dabei helfen – auf der Grundlage eines anderen Verständnisses des Raums, indem man sich täglich bewegt – Machtverhältnisse zu verschieben? Uns interessiert, was diese Werkzeuge für die sogenannten „Municipalist Movements“ bedeuten, also Bürgerinitiativen, die eine Stadt auf lokaler Ebene auch abseits der großen Politik und etablierter Parteien gestalten wollen. Kurz gesagt erforscht unser Projekt, was für Potenzial „Critical Mapping“ hat, um positiven Wandel in der Stadt im Sinne der Bewohner voranzubringen.

CMMM_Spielraum II
Tobias Bohm

Das Team von CMMM beim zweiten Workshop unseres Förderprogramms „SPIELRAUM - Urbane Transformationen gestalten“ im Dezember 2017.

Wie kommen wir durch Kartieren dazu, dass Menschen die Gestaltung ihrer Stadt selbst in die Hand nehmen?

Heute ist die visuelle Kommunikation viel stärker ausgeprägt als früher. Sie bietet den Vorteil, zum Teil zugänglicher als Sprache zu sein, die unterschiedlichste Barrieren schaffen kann. Viele städtische Bewegungen fordern Veränderungen und Mapping kann helfen, Probleme zu lokalisieren, zu visualisieren und verständlich zu vermitteln. Karten zeigen grafisch auf, ob es ein Problem beispielsweise in einem bestimmten Stadtteil oder nur in einer Straße gibt. Dass viele Menschen und unterschiedlichste Gruppierungen Karten erstellen und eine Vielzahl von Themen bearbeiten, heißt nicht automatisch, dass diese Bemühungen zu urbanem Wandel führen. Deshalb schauen wir uns konkret Nachbarschaftsbewegungen an, die sich der Methode des „Critical Mapping“ bedienen. Wir fragen: Mit welchen Methoden arbeiten sie, welche Ziele verfolgen sie? Welche Vorteile bietet Mapping bei der Kommunikation von Ideen und/oder Forderungen? Helfen Karten dabei, Wissen zusammenzutragen und zu verzahnen? Welche Zusammenhänge werden vielleicht sichtbar, die zuvor verborgen waren?

Critical Mapping kann ein breites Spektrum an Themen abdecken: Es gibt zum Beispiel Initiativen, die Lehrstand und Immobilienspekulation kartieren, um Zwischennutzungen zu ermöglichen, und einen erhitzten Immobilienmarkt konkret in der eigenen Nachbarschaft sichtbar machen. Oder aber Aktivisten, die Angsträume in der Stadt markieren, oder Vorschläge für die Verbesserung des ÖPNVs machen. Auch das Karten erstellen kann unterschiedlich ablaufen: einige sind sehr gut organisiert und mappen kollektiv, andere greifen auf Online-Daten und Dienstleister zurück, wiederum andere gehen los und machen sich traditionell Notizen mit Stift und Papier, oder aber man lässt mappen („crowd-sourcing“).

CMMM_Spielraum II_Natasha Aruri
Tobias Bohm

Im zweiten Workshop entwickelten die Teilnehmer ihre Forschungsideen gemeinsam weiter. Natasha Aruri diskutiert mit ihrem Team CMMM.

Neben Berlin vernetzt das Projekt die Städte Barcelona und Belgrad. Was bringt diese Städte und ihre Bewohner zusammen?

In Hinblick auf Municipalist Movements zeigen die drei Städte eine Vielfalt im (Selbst-)Verständnis von Bürgerinitiativen, aber auch was die Formen von Einflussnahme auf lokale Politik betrifft. Mit Ada Colau stellt die ehemalige Bürgerbewegung „Barcelona en Comú“ die Bürgermeisterin. In Belgrad stellte sich mit „Don’t Let Belgrade D(r)own“ im letzten Jahr ebenfalls eine Bürgerbewegung zur Wahl, jedoch ohne Erfolg. Berlin ist eher quirlig, es gibt eine Vielzahl an Initiativen – allerdings bisher keine konkreten Bestrebungen als „Bewegung“ lokalpolitisch aktiv zu werden. Insgesamt sind diese Städte sehr unterschiedlich und stehen jeweils vor anderen Herausforderungen. Für unser Projekt zählt vor allem der Vernetzungsaspekt: Wir organisieren – über 3 Jahre und mit lokalen Partnern in den drei Fallstudienstädten, aber auch internationalen Experten – Workshops und andere Formate, in denen wir verschiedene Initiativen zusammenbringen, um voneinander zu lernen und gemeinsam Methoden zu entwickeln, die für die spezifischen Kontexte funktionieren. So wollen wir prüfen, ob sich grenzüberschreitende Verbindungen herstellen lassen und ob Erkenntnisse in anderen lokalen Kontexten aufgegriffen werden können. Letztendlich sollen, aufbauend auf CMMM, neue Impulse gegeben werden, und Menschen aus eigener Initiative („bottom-up“) zur Verbesserung ihres lokalen Umfelds angestiftet werden. In einer Zeit wo viele Menschen auf die Straße gehen und zu verschiedenen Anliegen mobilisieren – und es eine „gefühlte“ Solidarität zwischen ihnen gibt – sind wir vielleicht am Beginn von etwas, dass man tatsächlich „Urbane Transformation“ nennen könnte.

Andreas Brück Profilbild

Zur Person

Dr.- Ing. Andreas Brück ist Leiter von LABOR K und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der Technischen Universität Berlin. Gemeinsam mit dem Team von „Critical Mapping in Municipalist Movements“ (CMMM) untersucht er, wie Nachbarschaftsbewegungen die Methode „Critical Mapping“ - also das Kartieren - benutzen, um Handlungsbedarf in ihrer Stadt visuell aufzuzeigen und so urbane Transformation anzustoßen.

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