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Warum Ungleichheiten alle angehen – auch Menschen, die vermeintlich nicht davon betroffen sind

Hinter Ungleichheit steckt weit mehr als ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen. In ihrem Papier Verflechtungen der Ungleichheit – Dimensionen, Ursachen und Folgen schlüsseln die Expertinnen Ellen Ehmke und Martina Ciravegna den Begriff auf und machen klar: Gerade privilegierte Gruppen und Institutionen sind gefragt, gegen Ungleichheiten aktiv zu werden.

Text
Ellen Ehmke & Martina Ciravegna
Illustrationen
Doro Spiro
Datum
23. September 2025
Lesezeit
5 Minuten

Ungleichheiten zeigen sich in verschiedenen Formen und Dimensionen: Dazu gehört die ungleiche Verteilung von Vermögen und politischer Macht genauso wie Ungleichheiten, die mit Merkmalen wie Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder Behinderungen verknüpft sind. Diese unterschiedlichen Ungleichheiten sind keine isolierten Phänomene, sondern existieren parallel, überlappen sich und verstärken einander.

Solche Überschneidungen und Wechselwirkungen werden als „Verflechtungen der Ungleichheit“ oder auch Intersektionalität bezeichnet. Ein Beispiel: Eine Frau, die einer ethnischen Minderheit angehört und deren Hörvermögen beeinträchtigt ist, erlebt Diskriminierung an mehreren Schnittstellen. Für die Betroffenen kommen immer mehr „Fäden“ der Ungleichheit zusammen und bilden ein Gewebe, das es ihnen erschwert, ein selbstbestimmtes Leben frei von Diskriminierungen zu führen.

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Verflechtungen der Ungleichheit – Dimensionen, Ursachen und Folgen: Hier zum Download

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In ihrem Hintergrundpapier erläutern die Expertinnen Ellen Ehmke von der Robert Bosch Stiftung und Martina Ciravegna, Referentin bei der Deutschlandstiftung Integration, verschiedene Dimensionen von Ungleichheit: von vertikalen Unterschieden in Einkommen und Vermögen bis zu horizontalen Ungleichheiten zwischen sozialen Gruppen. Sie zeigen auf, wie sich Ungleichheiten gegenseitig überlappen und ein dichtes Gewebe bilden, das für manche Vorteile schafft, andere jedoch zurückhält. Zudem werden die historischen Wurzeln dieser Ungleichheiten betrachtet: das Erbe des Kolonialismus, die ungleiche Nutzung natürlicher Ressourcen oder unbezahlte Sorgearbeit. Das Papier beleuchtet, wie die daraus entstandenen Mechanismen bis heute wirken. Es geht auch darum, wie Ungleichheiten auf systemischer Ebene angegangen werden können.

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Soziale Ungleichheit macht die gesamte Gesellschaft ärmer

Strukturelle Ungleichheiten von Einkommen und Vermögen sowie Diskriminierung verhindern, dass alle Menschen ihr volles Potenzial entfalten können. Die negativen Folgen von Ungleichheiten gehen jedoch weit über die individuelle Ebene hinaus.
 
Ungleichheiten – in dem Ausmaß, in dem wir sie heute erleben – machen uns als Gesellschaft insgesamt ärmer, da viele Talente unentdeckt bleiben. Forscher:innen zeigen, dass bei Menschen, die eine hohe Ungleichheit wahrnehmen, das subjektive Wohlbefinden sinkt, und zwar über alle Schichten hinweg. In Gesellschaften mit hoher Ungleichheit nehmen gesundheitliche Problem zu, Kriminalitätsraten sind höher und der soziale Zusammenhalt geht zurück. Das betrifft letztlich alle Mitglieder der Gesellschaft.

Ein hohes Maß an Ungleichheit untergräbt auch das Vertrauen in demokratische Institutionen und fördert die politische Polarisierung. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass das System ungerecht ist und sie trotz eigener Anstrengung keine Chancen haben, kann das den Zulauf zu populistischen Parteien stärken. Letztlich beeinträchtigen Ungleichheiten massiv unsere Fähigkeit, als Gesellschaft zusammenzuarbeiten und wirksame und gerechte Antworten auf kollektive Herausforderungen wie den Klimawandel und die Überwindung von Armut zu finden. 

Wo die Robert Bosch Stiftung beim Thema Ungleichheit ansetzt

Die Robert Bosch Stiftung unterstützt Organisationen, in denen sich von Ungleichheit Betroffene organisieren, ihre Interessen formulieren und sich Gehör verschaffen. In Deutschland fördert die Stiftung beispielsweise die Initiative Selbstbestimmt Leben, in der sich Menschen mit Behinderungen zusammengeschlossen haben. Ein anderes Beispiel ist die Unterstützung für das European Anti Poverty Network (EAPN), in dem sich Menschen mit Armutserfahrung organisieren und ihre Perspektiven auf politischer Ebene einbringen, etwa in der geplanten Anti-Armut-Strategie der EU.
 
Menschen, die negativ von Ungleichheit betroffen sind, bündeln ihre Kräfte in zahlreichen weiteren Bewegungen und Gruppierungen. Lokale Initiativen sind zum Teil in globalen Netzwerken verbunden, wie zum Beispiel der Fight Inequality Alliance oder dem Bündnis War on Want, und bringen ihre Interessen gemeinsam in internationalen Foren vor. 

Mehrere Personen auf verschiedenen Ebenen helfen einer weiteren Person, auf eine Kugel zu steigen

Wie wir Ungleichheiten systemisch begegnen können

Angesichts der gravierenden gesellschaftlichen Folgen von Ungleichheiten sollten sich jedoch nicht nur unmittelbar Betroffene dagegen einsetzen. Gerade auch Gruppen und Institutionen, die eher privilegiert sind, also keine individuellen Nachteile durch Ungleichheit erfahren, sind hier gefragt. Ungleichheiten sind das Ergebnis ungleicher Machtverteilung – also eine Folge davon, dass nicht alle gleichen Zugang zu Ressourcen und Entscheidungen haben. Diese Zugänge gilt es zu öffnen und Macht zu teilen.

Hierbei sollte auf drei Ebenen angesetzt werden: Anerkennung, Teilhabe und Umverteilung. Die Ebene der Anerkennung meint, dass das Wissen und die Perspektiven von heute ausgeschlossenen Gruppen wertgeschätzt werden sollte. Teilhabe gilt es zu garantieren, indem die Mitsprache von diskriminierten Gruppen in Entscheidungsprozessen gestärkt wird. Und Umverteilung braucht es, um einen gerechteren Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen zu gewährleisten. Durch die Kombination dieser Ansätze kann ein tiefgreifender Wandel erreicht werden, der Ungleichheiten systemisch bekämpft.

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