Wie divers ist eigentlich die Robert Bosch Stiftung? Im Interview gibt Personalchefin Nicole Karle-Komes Einblicke. Ein Gespräch über die Entwicklung unserer Organisation in den letzten Jahren.
Die Robert Bosch Stiftung hat sich in puncto Diversität auf den Weg gemacht. 2023 entwickelte sie eine Diversity-Strategie und benannte einen Diversity-Beauftragten. 2024 trat die Stiftung der Charta der Vielfalt bei und gab eine umfangreiche Mitarbeitendenbefragung in Auftrag. Ziel war es, anonymisiert erstmals auch Diversitätsmerkmale zu erfassen, zu denen eine Personalabteilung sonst keine Informationen hat – etwa zu Migrations- und Bildungsgeschichte, Konfession oder Alltagseinschränkungen. Wichtig war in der Befragung aber vor allem auch der Blick der Mitarbeitenden auf den Umgang mit Diversität in der Stiftung. Nicole Karle-Komes, Bereichsleiterin Personal bei der Robert Bosch Stiftung, erklärt im Interview, was sie aus den Ergebnissen ableitet.
ist seit 2021 Leiterin des Bereichs Human Resources bei der Robert Bosch Stiftung. Nach BWL-Studium und berufsbegleitender Promotion in einer Unternehmensberatung wechselte sie zur Robert Bosch GmbH. Dort war sie 25 Jahre lang weitestgehend in verschiedenen HR-Stationen mit internationalem Bezug tätig, zuletzt in der Konzernzentrale im Bereich Human Resources Senior Executives.
Nicole, warum hat die Personalabteilung der Stiftung eine groß angelegte Mitarbeitendenbefragung zum Thema Diversität veranlasst?
Wir wollten wissen, wie divers unsere Stiftung ist: Von welchem Stand springen wir ab, wenn wir uns beim Thema Diversity verbessern wollen? Ich bin sehr positiv überrascht gewesen, dass wir eine so hohe Beteiligungsquote erzielt haben: 72 Prozent!
Welche Ergebnisse haben dich darüber hinaus positiv gestimmt?
Erstens, dass wir vielfältiger sind, als wir dachten. Zum Beispiel beim Thema Migrationshintergrund: 29 Prozent unserer Mitarbeitenden haben eine Migrationsgeschichte – das entspricht ziemlich genau dem Durchschnitt der Bevölkerung in Deutschland. Da sind wir also wirklich gut aufgestellt.
Zweitens die Tatsache, dass die Hälfte unserer Mitarbeitenden mit akademischem Abschluss Bildungsaufsteiger:innen sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir Chancen gewähren und die soziale Herkunft von Bewerber:innen wirklich keine Rolle spielt.
Drittens: Auch beim Anteil queerer Personen liegen wir im Deutschlandschnitt. Das spiegelt sich auch in unserem Arbeitsalltag: Die Kolleg:innen gehen offen damit um. Da muss sich niemand verstecken. Und natürlich freut mich auch, dass 80 Prozent der Befragten uns als Arbeitgeberin weiterempfehlen würden.
Was sind für dich eher wunde Punkte, die sich aus der Befragung ergeben haben?
Wir haben gelernt, dass wir einige Kolleg:innen haben, für die Sorgearbeit ein wichtiges Thema ist – und dass wir dabei nicht immer nur Elternschaft in den Fokus stellen dürfen. Gerade bei den älteren Mitarbeitenden geht es auch um das Thema Betreuung und Pflege von Angehörigen. Wir müssen also auf beides schauen. In diesem Zusammenhang müssen wir als Arbeitgeberin gar nicht so viel Neues entwickeln – sondern transparenter darüber informieren, welche Unterstützungsleistungen wir für beide Gruppen bereits im Angebot haben.
Was auch sehr deutlich wurde, ist das Thema Behinderung. Auf der einen Seite müssen wir als Arbeitgeberin eine Schwerbehindertenquote von fünf Prozent erreichen. Wir haben bisher rund zwei Prozent der Mitarbeitenden, die dies offiziell geltend machen. In der Befragung haben insgesamt 13 Prozent der Mitarbeitenden Alltagsbeeinträchtigungen – von körperlichen über psychischen bis hin zu sonstigen Beeinträchtigungen – genannt. Da wissen wir noch zu wenig, um zielgerichtete Hilfsangebote machen zu können. Mit diesen Kolleg:innen wollen wir ins Gespräch kommen.
Die Chancengerechtigkeit wird in der Belegschaft unterschiedlich wahrgenommen. Bei der Chancengleichheit von Männern und Frauen gab es ziemlich hohe Zustimmungswerte, bei der Chancengleichheit von Menschen mit Migrationshintergrund fallen die Werte deutlich niedriger aus. Was leitest du daraus ab?
Wir müssen etwas gegen diese Wahrnehmung tun. Es ist wichtig, gute Beispiele zu schaffen, die zeigen, dass man sich unabhängig von Diversitätsmerkmalen weiterentwickeln kann. Gleichzeitig müssen wir transparenter machen, wie unsere Personalinstrumente funktionieren und dass sie nicht auf Vielfaltsmerkmale abstellen. Denn wir achten bei der Weiterentwicklung von Mitarbeitenden immer auf ihr Potenzial und ihre Leistungen – unabhängig von der Herkunft.
Diversität ist das Buzzword unserer Zeit. Unternehmen, Behörden oder Vereine machen es sich zum Aushängeschild. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Wie schaffen wir echte Vielfalt? Und wo ist Diskriminierung nach wie vor vorhanden oder verstärkt sich gar – diesen Fragen wollen wir in diesem Dossier auf den Grund gehen.
Bist du für die Einführung einer Diversitätsquote – vergleichbar der Frauenquote, die in manchen Unternehmen diskutiert wurde?
Ich wäre immer gegen eine Quote, sonst werden wir den betreffenden Personen auch nicht gerecht. Zu schnell entsteht der Eindruck des Quotenvorteils. Akzeptanz erreichen wir nur, wenn gleiche Leistung, Eignung und Qualifikation vorliegen. Dennoch können wir uns als Arbeitgeberin natürlich bemühen, über bestimmte Ausschreibungsportale oder über eine bestimmte Text- oder Wortwahl unsere Türen künftig noch weiter zu öffnen, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, damit sich Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund bewerben und dann auch eine Chance bekommen. Daher haben wir seit Frühjahr 2024 unseren Recruiting-Prozess diversitätssensibler gestaltet.
Wo hat die Stiftung in puncto Diversität in den letzten Jahren aus deiner Sicht bereits Fortschritte gemacht – vielleicht auch unter der aktiven Steuerung der Personalabteilung?
Die Stiftung hat in den letzten zehn Jahren zum Thema Diversity wiederholt vereinzelte Aktivitäten aufgesetzt und sichtbare Aktionen veranstaltet. Aber das aktive Dranbleiben und die konsequente Ausrichtung auf Diversitätsziele fehlten. Für bestimmte Förderthemen haben wir immer auch Bewerbungen von Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen bekommen und dann gezielt Bewerber:innen mit Migrationsgeschichte eingestellt. Hier haben wir in den letzten Jahren deutlich zugelegt – ohne uns das als explizites Ziel gesetzt zu haben.
Richtig aktiv geworden sind wir 2023: Wir haben eine Diversitätsstrategie entwickelt, aus der sich Handlungsfelder und konkrete Ziele ergeben. Unsere aktuellen Maßnahmen zahlen darauf ein. Wir haben seit 2023 auch viel Geld in die Hand genommen, unter anderem für Diversitätstrainings für alle Beschäftigten und die Vielfaltsbefragung. Wir schaffen damit einen Startpunkt für eine gemeinsame Lernreise.
Wie sind diese Diversitätstrainings bei den Mitarbeitenden angekommen?
Wir haben in der Stiftung eine große Bandbreite: Viele Mitarbeitende sind schon allein aufgrund ihrer Zuständigkeit für Förderthemen sehr diversitätserfahren – andere beäugen das Thema aber auch kritisch und werfen Fragen auf: Was darf ich eigentlich noch sagen? Wie soll ich sprechen, wenn ich mich korrekt und diversitätssensibel ausdrücken will? Da erlebe ich neben Verunsicherung auch teilweise Ablehnung, weil es um Bevormundung und Anschuldigung geht. Wir schließen vielleicht vorschnell und fälschlicherweise von einer weniger sensiblen Ausdrucksweise auf eine dahinterliegende diversitätsfeindliche Haltung.
In den Trainings haben wir deutlich gesehen: Das Thema Diversity spaltet auch. Ich kann nicht erwarten, dass 170 Mitarbeitende uneingeschränkte Fürsprecher:innen für das Thema Diversity sind. Deshalb müssen wir auch die Bedenken hören. Offen gesagt ist das für mich bei den Trainings am wichtigsten: Wir sensibilisieren und erfahren dabei voneinander, dass es diese Bandbreite gibt – aber wir kommen darüber eben auch ins Gespräch.
Welche Tipps würdest du anderen Organisationen geben, basierend auf der bisherigen „Lernreise“ der Robert Bosch Stiftung?
Es gilt, Strukturen und Kapazitäten zu schaffen, um die Verantwortung für das Thema zu verankern. Wir haben einen Diversity-Beauftragten ernannt, der sich für das Thema Zeit nimmt, Ansprechperson und Know-how-Träger im Haus und nach außen ist. Wir haben einen Diversity Circle geschaffen, ein Gremium mit Vertreter:innen aus unterschiedlichen Bereichen der Stiftung und mit verschiedenen Vielfaltsmerkmalen, das regelmäßig die Strategie und Maßnahmen spiegelt und überprüft.
Es braucht Ehrlichkeit. Das gilt insbesondere, wenn wir uns dem Thema Alltagsbeeinträchtigungen und Barrierearmut widmen. Da können wir nicht einfach nur die Erfüllung der Schwerbehindertenquote fordern, sondern müssen ganz ehrlich fragen: Was wollen und was können wir tun – und vielleicht auch begründet nicht leisten? Und welche Unterstützungsleistungen bedeutet das für die Teamaufgaben und jede:n im Haus, wenn wir mehr Mitarbeitende mit sichtbaren und körperlichen Einschränkungen einstellen?
Und das Thema Diversity braucht eine Verankerung. Bei uns liegt es in der Personalabteilung. Das bedeutet wiederum, dass wir es im Rahmen unserer eigenen Ziele aktiv mitverfolgen. Dadurch vermeidet die Stiftung, dass das Thema Diversität irgendwann wieder einschläft. Ich freue mich, wenn wir nun noch weitere Formate finden. Aktuell arbeiten wir daran, zusätzlich zur Interventionsbeauftragten eine AGG-Beschwerdestelle einzurichten. Zudem möchten wir Safer Spaces anbieten, wofür wir auch unsere Mitarbeitenden einbinden. Denn unsere Lernreise zu mehr Diversity wird nur gelingen, wenn sich auch Mitarbeitende beteiligen und einbringen können.