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5 Fakten zur Ernährungspolitik

Was wir essen, ist Privatsache? Ganz und gar nicht! Als globaler Klimasünder, Maßstab für soziale Ungleichheit oder Gesundheitsfaktor ist unsere Ernährung Teil des öffentlichen Diskurses. Damit unser Ernährungssystem langfristig gesünder und resilienter wird, muss die Politik jetzt handeln.

Text
Sabine Fischer
Bilder
AdobeStock/VectorMine
Datum
16. Februar 2024
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Ernährung ist nicht nur, was auf den Teller kommt.


Von Klimawandel bis Gesundheit: Das Thema Ernährung hat Einfluss auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche. Ungefähr ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen werden zum Beispiel durch unsere Ernährung und die Art und Weise, wie wir sie anbauen, bedingt. Dazu kommt eine soziale Komponente: Wer kann sich gesundes Essen überhaupt leisten? Wer hat Zugang zu entsprechenden Ressourcen und wer wird hier ausgeschlossen? Auch in Sachen Gesundheit spielt Ernährung eine wichtige Rolle und ist einer der größten Treiber für die Verbreitung von Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes, die auch mit sozialer Ungleichheit in Verbindung stehen. „Zudem beeinflusst unsere Ernährung nicht nur die individuelle Gesundheit. Ausgehend von dem „One-Health-Ansatz“ der WHO, der beschreibt, dass die menschliche Gesundheit mit der Gesundheit von Tieren und unserer Umwelt zusammenhängt, beeinflusst der Anbau von Lebensmitteln auch indirekt zum Beispiel über Umwelt- und Klimaeffekte die menschliche Gesundheit“, sagt Stephanie Wunder, Leiterin des Teams Ernährung/Sustainable Food bei Agora Agrar und Mitglied der Jury unseres Förderprogramms „Zukunft aufgetischt!“. 

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Unsere Ernährung ist politisch! 


Wie können wir uns so ernähren, dass es einen positiven Einfluss auf Klima, Gesundheit und Co. hat? Klar ist: Die Verantwortung hierfür liegt nicht allein bei einzelnen Personen. „In der öffentlichen Diskussion wird oft viel Verantwortung auf die Menschen geschoben. Das verzerrt den Diskurs“, kritisiert Louisa Prause, Senior Expertin für Klimawandel bei der Robert Bosch Stiftung. Denn was Menschen essen, ist immer politisch geprägt und hängt davon ab, in welchen Ernährungsumgebungen sie sich befinden. Dieser Begriff beschreibt die reale und mentale Umgebung, in der eine Person Ernährungsentscheidungen trifft – und die ist abhängig von zahlreichen Faktoren: Welche Lebensmittel werden zum Beispiel in Supermärkten oder in der Werbung angeboten? Welche kulturellen Essgewohnheiten prägen eine Person? Welche Produkte werden durch hohe Steuern weniger erschwinglich? „Darauf, ob sie eine Salatbar in der Kantine oder einen Bäcker fußläufig um die Ecke finden, haben Individuen wenig Einfluss“, sagt Zoe Heuschkel, Vorständin des Ernährungsrats in Köln und Vorstandsmitglied im Netzwerk der Ernährungsräte. „Hier kommt die gesellschaftliche Verantwortung von politischen und gesellschaftlichen Akteur:innen ins Spiel.“ 

Wir sprachen mit

Stephanie Wunder

Leiterin des Teams Ernährung / Sustainable Food beim Thinktank Agora Agrar.

Zoe Heuschkel

Vorständin des Ernährungsrats Köln und Umgebung.

Dr. Louisa Prause

Senior Expertin für Klimawandel bei der Robert Bosch Stiftung.
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Ernährungspolitik in Deutschland? Ein Flickenteppich.


Um Ernährungsumgebungen nachhaltiger und gesünder zu gestalten, gibt es in der Politik zahlreiche Hebel – zum Beispiel Steuern auf Zucker oder Fleisch, deren Konsum in großen Mengen nachweislich schädlich ist. Doch eine einheitliche Ernährungspolitik gibt es in Deutschland bisher nicht. Dieser Politikbereich sei noch sehr jung, erklärt Stephanie Wunder. Zwar tauche das Thema von der Gesundheits- bis zur Agrarpolitik immer wieder in verschiedenen Ressorts auf, doch an gemeinsamen Zielen ausgerichtet und koordiniert sei es bisher kaum. Auch in der 2024 verabschiedeten Ernährungsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft fänden sich wenig konkrete Maßnahmen, findet Louisa Prause: „Es fehlt der politische Wille, gute Ansätze zu realisieren.“ Eine Erklärung für die zögerliche Umsetzung könnte neben starken Lobbyverbänden und einem angespannten Bundeshaushalt auch das System selbst sein, das sich gegen Veränderungen sträubt: „Pfade, die seit Jahrzehnten gegangen werden, sind einseitig auf Profitmaximierung ausgelegt und schwer zu verändern“, sagt Zoe Heuschkel.

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Erfolgreiche Ernährungspolitik denkt in großen Zusammenhängen.


Damit das Ernährungssystem nachhaltiger werden kann, muss das Silodenken aufgebrochen werden, finden Expertinnen und Experten. Um unser Ernährungssystem resilienter gegenüber Ernährungskrisen aufzustellen und Krankheiten wie Adipositas effektiv zu bekämpfen, müsste Ernährung im Zentrum von Strategien stehen, die möglichst viele Nachhaltigkeitsziele erreichen. „Leider wurde die ökonomische Optimierung des Ernährungssystems bisher vor ökologische oder soziale Ziele gestellt“, so Heuschkel. „Wir müssen jetzt Systeme aufbauen, die stabiler sind, weil sie alle drei Faktoren gleichwertig integrieren.“ Einen solchen integrativen Vorstoß gab es zuletzt auf EU-Ebene: Hier macht ein gemeinsamer Ansatz für nachhaltige Ernährung besonders viel Sinn, da die Landwirtschaft in den einzelnen Ländern maßgeblich durch Subventionen der EU geprägt ist. Mit der „farm-to-fork-Strategy“ und dem „Sustainable Food Systems Law” wurden hier Ansätze ausgearbeitet, Agrarwirtschaft und Ernährung gemeinsam zu denken. Konkrete Folgen hatte dieser Vorstoß bisher jedoch nicht, aktuell wird das Thema von der EU-Kommission nicht mehr weiterverfolgt.

Auch in Deutschland fehlt ein solcher Ansatz bisher. In den kommunalen Verwaltungsstrukturen ist Ernährung noch keine Pflichtaufgabe, für die Gestaltung der Ernährungsversorgung gibt es bisher kein eindeutiges Mandat. Auf Bundesebene wurde mit dem Bürgerrat Ernährung erstmals ein Bürgergremium zum Thema einberufen. Es bleibe jedoch abzuwarten, wie dessen Empfehlungen umgesetzt werden, so Louisa Prause. In Zukunft sollte die Ernährungsstrategie der Bundesregierung eng mit diesen verzahnt werden. 

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Nachhaltige Ernährung in Deutschland ist ein Bottom-Up-Prozess.


Dennoch gibt es viele positive Ansätze, Ernährungsumgebungen nachhaltig, regional und gesund zu gestalten: Gerade im ländlichen Raum und auf kommunaler Ebene setzen sich zahlreiche Initiativen für einen nachhaltigen Wandel des Ernährungssystems ein – von solidarischen Landwirtschaftsgemeinschaften bis hin zu den Ernährungsräten, die sich in verschiedenen Kommunen gegründet haben. Diese beweisen: Es gibt durchaus Lösungen und Alternativen, um das Ernährungssystem neu zu gestalten. Außerdem helfen Förderprogramme, wie „Zukunft aufgetischt!“, dabei, Initiativen mit lokalen Verwaltungsgremien zu verknüpfen, den Informationsaustausch zu verbessern und für eine stärkere Verankerung des Themas in der Kommunalpolitik zu sorgen. Besonders die öffentliche Versorgung in Schulmensen, Krankenhäusern und Pflegeheimen bietet eine gute Möglichkeit, um Ernährung nachhaltiger zu gestalten: Hier kann die Politik direkt auf die Ernährungsumgebung der Menschen einwirken und dazu beitragen, regionale Ernährung zu fairen Preisen anzubieten. Besonderes Potential haben Beteiligungsprozesse, um Bürger:innen aktiv in die Gestaltung einzubeziehen - eine der zentralen Empfehlungen des Bürgerrats Ernährung. „Das sind Hotspots, an denen Wandel passieren muss, das ist eine ethische Verantwortung“, findet auch Zoe Heuschkel. 

Über das Projekt

Zukunft aufgetischt!

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Mit dem Programm Zukunft aufgetischt! unterstützt die Robert Bosch Stiftung Kommunen im ländlichen Raum dabei, gemeinsam mit den Bürgern regionale Ernährungssysteme partizipativ zu gestalten. Denn unsere Ernährung kann einen Beitrag zu Klimaschutz und zur Resilienz leisten und sie beeinflusst die Gesundheit von Bürger:innen. 

Bis 15.5.24 können Kommunen sich bewerben, am Förderprogramm teilzunehmen.

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