Die Bundesregierung will sich in ihrer Digitalstrategie 2022 mit den Perspektiven und Denkansätzen der feministischen Digitalpolitik auseinandersetzen. Senior Expertin Dr. Ellen Ehmke erklärt, warum dieser neue Ansatz wichtig ist und welche Maßnahmen jetzt notwendig sind.
Digitalpolitik sollte heute immer auch Gesellschaftspolitik sein. Denn sie verhandelt unweigerlich zentrale Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, etwa darüber, wer welchen Zugang zu öffentlichen Verwaltungsleistungen erhält. Feministische Politik – etwa in der Außen-, Entwicklungs- oder Digitalpolitik – legt den Fokus auf bisher benachteiligte Gruppen und entwickelt politische Konzepte, die deren Interessen berücksichtigen. Damit nimmt sie zusätzlich auch eine machtkritische Perspektive ein, weil sie anerkennt, dass es „den Menschen“ nicht gibt, der laut Bundesregierung auch im Mittelpunkt der Digitalisierung steht. Dies zeigt sich darin, dass Digitalisierung derzeit eben nicht allen Menschen gleichermaßen zugutekommt. Manche Menschen verfügen nicht über einen Zugang zu schnellem Internet oder können sich einen Internetanschluss überhaupt nicht leisten. Andere kämpfen mit Software-Lösungen, die nicht barrierefrei gestaltet sind.
Hate Speech oder andere Formen digitaler Gewalt treffen bestimmte Personen bzw. Personengruppen häufiger als andere. So sind etwa Menschen im ländlichen Raum, die zudem eine Behinderung haben, gleich mehrfach von Benachteiligungen betroffen. Gerade deshalb ist es so wichtig, danach zu fragen, welche digitalen Angebote in wessen Interesse entwickelt werden, wer von diesen ausgeschlossen bleibt und für wen diese sogar Schaden anrichten. Und eben diese Fragen stellt eine feministische Digitalpolitik.
Unsere Partner:innen vom Superrr Lab haben gemeinsam mit anderen Forschenden, Praktiker:innen und Aktivist:innen Vorarbeit geleistet und die Feminist Tech Principles entwickelt. Diese müssen nun in der Praxis erprobt werden. Eines der Prinzipien lautet „Erhalten und Teilen“. Es sieht vor, die Umweltkosten von Technologien bereits bei der Entwicklung zu berücksichtigen. Brauchen wir als Gesellschaft diese Entwicklung wirklich? Oder sind deren Kosten auf lange Sicht höher als der Nutzen? Wer profitiert von dieser Technologie und wer zahlt die Zeche? Ein anderes Prinzip lautet „Zugang, Beteiligung und Repräsentation”. Es besagt, dass Politiken für benachteiligte Gruppen nicht für diese, sondern auch gemeinsam mit ihnen gestaltet werden müssen.
„Das Ziel ist gut, aber die Frage, wie es jetzt umgesetzt wird, bleibt in der Strategie offen.“
Gerade hier weist die Digitalstrategie aber große Leerstellen auf. Denn obwohl das Papier die Einbeziehung benachteiligter Gruppen vorsieht, gehören Partizipation und Teilhabe nicht zu den Maßstäben, an denen sich die Regierung selbst messen lassen will. Tatsächlich ist in der Strategie mit „feministischer Digitalpolitik“ keine gesonderte Maßnahme und damit auch kein Erfolgsindikator verknüpft. Die Regierung will sich lediglich „mit neuen Perspektiven und Denkansätzen wie der feministischen Digitalpolitik“ auseinandersetzen. Das Ziel ist gut, aber die Frage, wie es jetzt umgesetzt wird, bleibt in der Strategie offen.
Es ist entscheidend, dass machtkritische Fragen in allen Bereichen der Digitalpolitik gestellt werden. Und da gibt es noch eine Reihe von Feldern, in denen das bisher nicht geschieht. Blicke ich durch meine „Ungleichheitsbrille“, dann trifft dies etwa auf das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt zu. Von dieser sind im Netz vor allem Frauen und Angehörige anderer vulnerabler Gruppen betroffen. Zu digitaler Gewalt gehört für uns und unsere Partner CHAYN und End Cyber Abuse auch der riesige Dunkelbereich der digitalen Überwachung und der Gewalt im Privaten. Dazu zählt auch Cyberstalking, etwa wenn ein Mann eine Frau über deren Handy ausspäht und ihr nachstellt. Diese Form der digitalen Gewalt wird in der Digitalstrategie aber nicht ein einziges Mal erwähnt.
Im Sinne einer feministischen Digitalpolitik wird sich die Bundesregierung daran messen lassen müssen, ob sie auch Cyberstalking bei ihrem Gesetzesvorhaben einbezieht und ob sie außerdem dem Grundsatz der Selbstvertretung – „Nichts über uns, ohne uns“ – gerecht wird. Dementsprechend muss sie Zivilgesellschaft und insbesondere die Personengruppen, die Diskriminierung oder Gewalt durch technologische Entwicklungen ausgesetzt sind, in Gesetzgebungsprozesse einbinden. Und nicht zuletzt: Feministische Politik ist keine Politik für Randgruppen. Sie ist ein Ansatz, von dem die Gesellschaft als Ganzes profitiert, da sich feministische Politik nicht an den Stärksten orientiert, sondern wirklich für alle die Bedingungen schafft, in denen sie sich entfalten können.