FAQ

Klimagerechtigkeit: Wer trägt Verantwortung für die Klimakrise?

Hitzewellen, Dürren, Hunger – verschiedene Länder, Regionen und Bevölkerungsgruppen sind unterschiedlich stark von den Konsequenzen der Klimakrise betroffen. Wer übernimmt Verantwortung, und was ist gerecht im Umgang mit den Folgen? 

Text
Jasmin Shamzi
Bilder
Pia Bublies; privat
Datum
03. April 2024
Lesezeit
5 Minuten

Der Klimawandel betrifft uns alle. Doch seine Folgen sind nicht für alle gleichermaßen spürbar. Menschen in Ländern des Globalen Südens sind besonders stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen, obgleich sie nur für einen Bruchteil der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die Menschen stehen vor den Herausforderungen einer Klimakrise, die sie nicht verursacht haben, und sind mit existenziellen Fragen konfrontiert: Können sie weiter an ihrem Ort menschenwürdig leben und überleben – und wenn ja, wie?

Der Klimawandel verschärft die bereits schwierigen Lebensbedingungen im Globalen Süden. In der Sahelregion beispielsweise steigen die Temperaturen 1,5-mal schneller als im globalen Durchschnitt, was etwa zu vermehrten Dürren, Überschwemmungen und damit zu Ernteausfällen führt. Dabei tragen die Länder der Sahelzone kaum zu den globalen CO2-Emissionen bei. Wenn man sich zum Beispiel Niger ansieht: Im Jahr 2022 wurden insgesamt 0,12 Tonnen pro Kopf an CO2-Emissionen erzeugt. Zum Vergleich: In Deutschland lag der gleiche Wert bei acht Tonnen pro Kopf.

Wie lässt sich diese Ungleichheit lösen? Gemeinsam mit der Direktorin des Climate Justice Resilience Fund, Heather McGray, klären wir die wichtigsten Fragen rund um das Thema Klimagerechtigkeit.

Mehr über das Projekt

Climate Justice Resilience Fund (CJRF)

Zur Projektseite

Der CJRF stellt Menschen in den Mittelpunkt von Klimaschutzmaßnahmen und vergibt Fördermittel an Frauen, Jugendliche und Angehörige indigener Völker, um diese dabei zu unterstützen, Lösungen für Klimaresilienz zu entwickeln und miteinander zu teilen. Der CJRF wird getragen von einem Stiftungskonsortium, zu dem auch die Robert Bosch Stiftung gehört. Seit seiner Gründung 2016 hat der CJRF 25 Millionen US-Dollar für über 40 Förderpartnerschaften weltweit bereitgestellt.

Zur Projektseite

Was bedeutet Klimagerechtigkeit?

Die westlichen Industrienationen tragen durch ihre jahrzehntelang hohen Emissionen eine historische Verantwortung für die Klimakrise. Gleichzeitig sind sie durch ihren finanziellen Wohlstand in der Lage, die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern, indem sie beispielsweise Ernteausfälle kompensieren. Sie können sich auch langfristig auf Extremwetterereignisse vorbereiten. Viele Länder des Globalen Südens haben diese Möglichkeiten nicht, obwohl auch sie betroffen sind. Dort werden die Klimawandelfolgen zu einer Bedrohung für die Gesundheit und das Leben insbesondere derer, die bereits von bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten betroffen sind, zum Beispiel indigene Gruppen und lokale Gemeinschaften, Frauen und junge Menschen.

Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure sowie betroffene Bevölkerungsgruppen fordern daher eine echte Teilhabe an klimapolitischen Entscheidungsprozessen und an der Umsetzung dieser Entscheidungen in ihren Ländern, angepasst an ihren lokalen Kontext und ihre Bedürfnisse.

Eine Person nutzt eine Gießkanne, um ein trockenes Feld zu begießen. An einer bereits begossenen Stelle sieht das Feld gesund aus.
Extreme Wetterereignisse zwingen Länder des Globalen Südens zur Anpassung ihrer Lebensbedingungen.

Inwiefern sind die Folgen des Klimawandels gerecht oder ungerecht verteilt?

Länder im Globalen Süden sind besonders von extremen Wetterereignissen wie Stürmen, Dürren, Überschwemmungen und dem Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Nicht nur müssen sie kurzfristig mit den akuten Folgen dieser Ereignisse umgehen, sie müssen sich auch langfristig auf veränderte Lebensumstände einstellen. Heather McGray: „Wenn Sie ein armer Fischer oder eine arme Fischerin sind, in einem Ort, in dem alle Fische verenden, weil das Wasser zu warm ist, hat das wirklich tiefgreifende Auswirkungen. Oder wenn Sie ein Bauer oder eine Bäuerin sind, dessen Äcker voller Salz sind, dann wird Ihnen von heute auf morgen die Existenzgrundlage entzogen.“

Dass sich die Folgen des Klimawandels so stark im Globalen Süden zeigen, hängt auch untrennbar mit der Verteilung von Gütern und Macht auf unserem Globus zusammen. Andere Staaten, die über die nötigen Ressourcen und Einfluss verfügen, können auf internationaler Ebene mehr für den Ausgleich von Klimaschäden in ihrer Region tun. „Und auch die Geschichte der Kolonialisierung spielt hier eine Rolle“, erläutert McGray. „Mit der Privatisierung von Land wurden beispielsweise nomadischen und halb nomadischen Hirt:innen Einschränkungen auferlegt. Früher hatten sie die Flexibilität, ihre Herden bei Trockenheit an Orte zu bewegen, an denen das Gras grün war. Das ist heute an vielen Orten so nicht mehr möglich.“ Manche Bevölkerungsgruppen können den Folgen des Klimawandels nicht entgehen. Sie haben ihnen zugleich aber auch nichts entgegenzusetzen.

„Die Dominanz der westlichen Länder gerät ins Wanken. Es ist Zeit, die ungerechte Weltordnung anzuerkennen.“

Zitat vonHeather McGray

Warum ist ein menschenzentrierter Ansatz in der Klimapolitik wichtig?

Menschen im Globalen Süden verfügen oft nicht über die nötigen Ressourcen, um sich effektiv gegen Risiken zu schützen oder sich von den Folgen einer Katastrophe zu erholen. Sie haben weder die nötigen finanziellen Mittel noch die nötige Mobilität oder Technik. Nur wenige Menschen sind versichert. Angehörige indigener Gruppen, Frauen, Kinder und ältere oder behinderte Menschen werden außerdem häufig sozial benachteiligt. Auch die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen bleibt ihnen oft verwehrt.

McGray sieht hier großen Handlungsbedarf: „Die Folgen des Klimawandels wurden viel zu lange ignoriert. Menschen verlieren Land. Sie verlieren ihr Zuhause. Sie erleben Traumata im Zusammenhang mit dem Klimawandel.“ Um den Menschen neue Perspektiven zu schenken, braucht es Unterstützer:innen und Fördergelder.

„Jetzt gilt es, den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Das ist für uns der Kern der Klimagerechtigkeit!“

Zitat vonHeather McGray
Zitat vonHeather McGray

Was unternimmt die internationale Klimapolitik für mehr Klimagerechtigkeit?

Die Debatte um Klimagerechtigkeit drehte sich anfangs um die Treibhausgaseinsparungen der historisch verantwortlichen Industrienationen sowie um den Beitrag zu den Klimaschutzzielen von Ländern mit aktuell hohen Emissionen wie China und Indien. Inzwischen versteht man unter Klimagerechtigkeit, dass die Verursachenden sich finanziell an den notwendigen Anpassungsstrategien beteiligen müssen und dass Menschen für bereits eingetretene Verluste und Schäden („Loss and Damage“) entschädigt werden.

Schon seit Langem fordern die Länder des Globalen Südens eine finanzielle Entschädigung für ökonomische, ökologische, kulturelle und gesellschaftliche Verluste und Schäden, die mit jedem weiteren Grad der Erderwärmung dramatischer werden. Ein Durchbruch gelang im vergangenen Dezember auf der Weltklimakonferenz in Dubai (COP 28) mit der Einigung auf einen „Loss and Damage Fund“, in den die Verursachenden des Klimawandels und die größten Emittent:innen einzahlen sollen. Um Fragen der Ausgestaltung und finanziellen Beteiligung wird indes noch gerungen.

Thema

Klimawandel

Zur Themenseite

Wir fördern internationale Akteurinnen und Akteure, die eine gerechte Transformation der Landnutzung vorantreiben, Verteilungsfragen adressieren und innovative, skalierbare Lösungen entwickeln.

Zur Themenseite

Ein weiterer wichtiger Schritt auf der COP 28 hin zu mehr Klimagerechtigkeit sind die Vereinbarungen zum globalen Anpassungsziel („Global Goal on Adaptation“), dessen Regelwerk gezielt Anpassungsmaßnahmen in den Ländern vorantreiben soll. Allerdings ist auch hierbei ungeklärt, wie und von wem Anpassungsstrategien finanziert werden. Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure sowie von der Klimakrise besonders betroffene Bevölkerungsgruppen fordern, an Entscheidungsprozessen und der Ausgestaltung von Maßnahmen beteiligt zu werden, um tatsächlich eine „just transition“, eine gerechte Transformation, sicherzustellen.

Im unteren Bereich der Illustration sieht man Fabriken, die Abgase ausstoßen. Die Abgase steigen hoch, wo zwei Personen zu sehen sind, die ein gesundes Feld aufbereiten.
Um eine gerechtere Zukunft zu gestalten, ist es entscheidend, lokale Klimaschutzinitiativen mit weltweiten Maßnahmen zu verbinden.

Was trägt zu mehr Klimagerechtigkeit bei?

Der Climate Justice Resilience Fund hat zentrale Empfehlungen für Forschende, Geldgebende und Praktiker:innen erarbeitet, um Klimagerechtigkeit weiter voranzutreiben: Es ist wichtig, lokale Klimaschutzmaßnahmen mit globalen Bemühungen zu verknüpfen, um gemeinsam eine gerechtere Zukunft zu gestalten. Dazu müssen die Vielschichtigkeit und die Einzigartigkeit lokaler Kontexte berücksichtigt werden. Geldgebende sollten flexible Prozesse entwickeln, statt Programme zu replizieren. Denn: Um alle Bedürfnisse zu berücksichtigen, ist eine tiefgreifende Mitgestaltung von und eine Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften notwendig. Des Weiteren müssen Machtdynamiken und die Dezentralisierung von Macht vor Ort anerkannt werden – ein entscheidender Punkt für einen gerechten Klimaschutz. Außerdem brauchen große Veränderungen Zeit. Deshalb empfiehlt der Climate Justice Resilience Fund den Geldgebenden, Geduld mitzubringen, langfristig zu investieren und die unterschiedlichen kulturellen Zeitvorstellungen zu respektieren.

Wir sprachen mit

Heather McGray

Heather McGray ist seit mehr als 20 Jahren im gemeinnützigen Sektor tätig und arbeitet von der lokalen bis hin zur globalen Ebene in den Bereichen Klimawandel, kommunale Entwicklung, Umweltmanagement und Bildung. Seit der Gründung des Climate Justice Resilience Fund im Jahr 2016 ist sie dessen Direktorin und gesamtverantwortlich für diese globale Förderinitiative, die Klimaschutzmaßnahmen von und für Frauen, Jugendliche und indigene Gruppen unterstützt.

viele Menschen auf einer Demonstration, eine Frau im Vordergrund hält ein Pappschild in die Höhe
Das Dossier zum Thema

Gerechtigkeit

Zum Dossier

Wir stehen vor drängenden Gerechtigkeitsproblemen: Arm-Reich-Schere, globale Ungleichheit, Bildungszugang und Klimagerechtigkeit. Diese erfordern eine gerechte Ressourcenverteilung, Generationengerechtigkeit, Chancengleichheit und faire Umweltbelastungsverteilung. Gerechtigkeit formt uns und beeinflusst Entscheidungen. Lesen Sie hier, wie wir Projekte zur Schaffung von Gerechtigkeit fördern.

Zum Dossier
Das könnte Sie auch interessieren
Bauernprotest in der Innenstadt Berlin am 15.1.24
Bauernproteste

Wofür die Landwirte auf die Straße gehen

In ganz Europa gehen Bauern auf die Barrikaden, es sind die größten Proteste der letzten Jahrzehnte. Worum es ihnen wirklich geht, erklärt unsere Expertin Louisa...
Infografik Ernährungspoltik
Listicle

5 Fakten zur Ernährungspolitik

Als globaler Klimasünder ist unsere Ernährung Teil des öffentlichen Diskurses. Warum die Politik jetzt gefragt ist und welche Änderungen es braucht.
Gruppe hört Vortrag im Gewächshaus
Video

Durch Zusammenarbeit zur grünen Transformation

Bioregional Weaving Labs bringen Menschen zusammen, um eine regenerative Zukunft zu gestalten. 
Blick auf das COP28-Gelände im Dezember 2023

COP28: Besser als nichts, aber weniger als wir erhofft hatten

Die letzten Tage der Weltklimakonferenz ähnelten einem Verhandlungskrimi. Was wir uns erhofften und was am Ende übrig blieb.