Digitalisierung

„Ein Großteil der Daten wird gehortet“

Jeden Tag entsteht durch die Digitalisierung unserer Gesellschaft eine Unmenge von Daten. Doch bisher profitiert die Allgemeinheit davon zu wenig. Wie wir das ändern können, erklären die Direktor:innen des neuen, von der Robert Bosch Stiftung geförderten The Data Tank.  

Text
Julia Rommel
Bilder
TheGovLab; Ines Lechleitner; Julie de Bellaing
Datum
06. März 2023

Im Interview

Dr. Julia Stamm

Die CEO verfügt über langjährige Führungs- und Managementerfahrung in internationalen Organisationen wie COST (European Cooperation in Science and Technology), der G20 und der Europäischen Kommission.

Dr. Stefaan Verhulst

Der leitende wissenschaftliche Berater des Data Tank ist Experte für die Nutzung von Daten und Technologien für soziale Zwecke. Er hat u.a. das Governance Laboratory (GovLab) an der New York University mitbegründet.

Am 6. März 2023 wurde in Brüssel der Data Tank gelauncht. Womit wird er sich beschäftigen?


Stefaan Verhulst: Der Data Tank will Wege aufzeigen, wie wir Daten anders und damit zum Wohl der Allgemeinheit nutzen können. Das ist in vielerlei Hinsicht neu – und dringend notwendig. Dabei konzentrieren wir uns nicht nur darauf, wie wir den Missbrauch von Daten verhindern können, sondern auch darauf, wie wir die große Menge an Daten, die bereits generiert wurde, auf eine Art und Weise wiederverwenden können, die dem Gemeinwohl dient. Ein Beispiel: Daten aus Handels- oder Finanztransaktionen können uns Informationen dazu liefern, wie man Spielsucht bekämpft oder auch als Indikator für die wirtschaftliche Situation von Familien dienen. Mobilfunkdaten können helfen, Bewegungsmuster in Städten zu erkennen und die Stadtplanung zu verbessern. Das erfordert aber, dass wir über den Schutz oder das Anhäufen von Daten hinaus- und darüber nachdenken, wie wir Daten wiederverwenden und teilen können, und zwar freiwillig und verantwortungsbewusst.

Julia Stamm: Wichtig ist mir zu betonen, dass der Data Tank kein reiner Think Tank ist, sondern ein Think and Do Tank, mit Betonung des „Do“. Das Tun ist für uns sehr wichtig. Wir wollen unsere Rolle als „Thought Leader“ mit Initiativen und Projekten im Feld ergänzen, indem wir mit Menschen vor Ort zusammenarbeiten und konkrete praktische Ansätze ausprobieren, die die Lebensrealitäten der Menschen positiv verändern. Wir wollen neue Wege der Bürgerbeteiligung mit neuen Methoden für die Nutzung relevanter und qualitativ hochwertiger Daten kombinieren. Dabei wollen wir mit Partnern aus der ganzen Welt zusammenarbeiten.

Jessica Bither über

The Data Tank

zum Projekt

„Die Erzeugung, Nutzung und Wiederverwendung von Daten treibt den digitalen Wandel unserer Gesellschaft voran. Wir wollen sicherstellen, dass Daten so genutzt werden, dass sie dem Einzelnen und der Gesellschaft zugutekommen und dabei gleichzeitig das Risiko von Missbrauch und Schaden reduziert ist. Dazu müssen wir uns verstärkt um die Entwicklung von Rahmenwerken und Koalitionen bemühen, die zeigen, wie das in der Praxis funktionieren kann. Mit diesem Ziel unterstützen wir die Arbeit von The Data Tank.“ (Jessica Bither, Robert Bosch Stiftung)

zum Projekt

Die Bundesregierung diskutiert derzeit über die Einrichtung eines Dateninstituts. Was wird der Data Tank anders machen als diese öffentliche Einrichtung?


Julia Stamm: Das deutsche Dateninstitut befindet sich noch im Aufbau, daher ist es noch zu früh, um darüber zu sprechen, was es ganz konkret tun wird. Außerdem ist der geografische Fokus des Data Tank global. Für uns ist das jedoch keine Frage des Wettbewerbs. Der Data Tank wird mit Organisationen, Einzelpersonen und Gemeinschaften auf der ganzen Welt zusammenarbeiten, die unsere Mission teilen, eine andere Art der Datennutzung aufzuzeigen, von der die Allgemeinheit profitiert. Wir werden die Erfahrung von Menschen, die innovative praktische Arbeit leisten, bündeln und diese Beispiele mit politischen Entscheidungsträger:innen teilen, damit sie die neuesten Erkenntnisse und Maßnahmen in ihrer Arbeit nutzen können. Und wir hoffen, dass das deutsche Dateninstitut einer dieser Partner:innen sein wird.

Ihre Vision ist es, die „Freigabe und Nutzung von Daten“ zu beschleunigen. Was läuft derzeit falsch bei der Art und Weise, wie wir Daten verwenden?


Julia Stamm: Das Problem ist, dass nur ein kleiner Prozentsatz der erzeugten Daten tatsächlich mit Blick auf die Allgemeinheit, also zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen, genutzt wird. Würden wir aussagekräftige Daten stärker als bisher nutzen, hätte das enorme positive Auswirkungen auf alle Bereiche unserer Gesellschaft, sei es Gesundheit, Bildung, Mobilität, Klimaschutz usw. Ein Großteil der Daten wird jedoch gehortet oder in einer Weise genutzt, die zu Asymmetrien und Ungleichheiten führt. Um ein Beispiel zu geben: Daten sind die Grundlage für alle KI-Systeme. Aber wir wissen oft nicht, auf welcher Art von Daten sie aufgebaut sind. Allzu oft werden Datensätze, die Stereotypen oder Verzerrungen enthalten, in die Maschinen eingespeist. Die Maschinen wiederholen also nicht nur die Vorurteile, sondern verstärken sie teilweise auch noch. Wenn wir die existenziellen Herausforderungen von heute wirklich angehen wollen, haben wir nicht nur alle Hände voll zu tun, sondern brauchen auch hochwertige, relevante und vertrauenswürdige Daten, um diesen Problemen nachhaltig zu begegnen. 

Gespräch auf dem Launch-Event am 6.3.23 in Brüssel

Beim Launch-Event am 6. März 2023 in Brüssel stellten die Direktor:innen die Potenziale des Data Tanks vor.

Die großen Technologieunternehmen haben enormes Wissen über die Erzeugung, Sammlung und Nutzung von Daten. Wie binden Sie die ein?


Stefaan Verhulst: Francis Bacon betonte, dass Wissen Macht ist. In der heutigen digitalen Wirtschaft sind Daten bis zu einem gewissen Grad Macht. Und wir haben es mit riesigen Datenasymmetrien zu tun, insbesondere bei den großen Technologieunternehmen, die die bestehenden Machtverhältnisse noch verstärken. Es ist zwingend notwendig, diese Missverhältnisse zu überwinden, wenn wir eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft wollen. In der heutigen digitalen Welt ist aber jedes Unternehmen ein Datenunternehmen, so dass wir breiter auf die Daten schauen müssen, die derzeit nicht ausreichend zum Wohl der Allgemeinheit genutzt werden. 

Als eine Ihrer Aktivitäten wollen Sie ein „Social License Lab“ gründen. Worum geht es dabei konkret?


Stefaan Verhulst: Wir wollen in einer Art Experimentierraum ein völlig neues Konzept entwickeln, wie man bei der Datennutzung neben der Zustimmung von Einzelpersonen auch die Präferenzen und Prioritäten der Allgemeinheit oder bestimmter Gruppen berücksichtigen kann. Es ist wichtig, ein Gefühl dafür zu bekommen, was sich Einzelpersonen und Gruppen bei der Weiterverwendung ihrer Daten für die Allgemeinheit wünschen. Damit ist auch die Idee einer stärkeren Selbstbestimmung verbunden, weil wir allen Beteiligten in diesem „Lab“ ermöglichen, gemeinsam darüber zu verhandeln, wie man Daten wiederverwerten kann, sodass sie als Beteiligte und die Gesellschaft als Ganzes profitieren. Ähnlich wie die Creative-Commons-Lizenz (mit dieser geben Urheber:innen anderen Menschen die Möglichkeit, ihre Musik, Bilder oder Texte unter bestimmten Bedingungen weiterzuverwenden, ohne ausdrücklich um Erlaubnis fragen zu müssen, Anm. der Redaktion) die Open-Source- und Open-Data-Bewegung beeinflusst hat, glauben wir, dass wir eine neue Art von sozialer Lizenz für die Wieder- bzw. Weiterverwendung von Daten brauchen.

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