Meinungsbeitrag

Demokratie — ein Muskel, den wir trainieren müssen

Hunderttausende gehen in diesen Wochen gegen Rechts und für die Demokratie auf die Straße. Und es gibt noch viele andere Wege, die Demokratie stark zu machen. Wie wir dranbleiben können, erklärt Antje Scheidler, Leiterin unseres Teams Demokratie.

Autorin
Antje Scheidler
Fotos
André Stiebitz, Lotte Ostermann
Datum
29. Januar 2024

Die Sorge um unsere Demokratie ist gerade allerorten spür- und hörbar. Hunderttausende gehen in diesen Tagen gegen Rechtsextremismus und für die Stärkung der Demokratie auf die Straße. Auslöser war die Correctiv-Recherche zu einem geheimen Treffen im November 2023, an dem AfD-Vertreter:innen, Mitglieder der Werteunion, Unternehmer:innen sowie ein führender Kopf der Identitären Bewegung teilnahmen und Ausweisungspläne für Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte diskutierten.

Der Rechtsruck im Land, der viele jetzt aufgerüttelt hat, ist nicht neu. Laut der aktuellen Mitte-Studie 2022/23 sind rechtsextreme Einstellungen "stark angestiegen und weiter in die Mitte gerückt". Gleichzeitig wachsen das Misstrauen in demokratische Prozesse und Institutionen, ja in Politik allgemein. Was den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, ist der Umgang mit aktuellen Krisen, wie hohe Inflation, steigende Energiepreise und Kriege. Der Think-and-Do-Tank More in Common kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass sich fast 70 Prozent von der Politik in der Krise "allein gelassen" fühlen. Das Ausmaß der Unzufriedenheit wurde unlängst auch bei den Protesten der Bäuerinnen und Bauern deutlich, deren Aktionen von vielen als ein allgemeines Zeichen gegen die Politik der Bundesregierung begrüßt wurden, gegen "die da oben".

 

Zur Person

Antje Scheidler

Antje Scheidler leitet das Team Demokratie, das zu unserem Fördergebiet Globale Fragen gehört.

Massendemonstrationen, wie wir sie jetzt sehen, kommen und gehen in Wellen, sie sind aber nur ein demokratisches Ausdrucksmittel von vielen. Wir alle sind gefragt, Demokratie aktiv zu leben, sie zu gestalten und gegen Anfeindungen zu verteidigen. Und das kann und soll überall geschehen - in der Schule, am Arbeitsplatz, aber auch an Alltags- und Freizeitorten.

Uns stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung, uns ganz nach unseren Neigungen und Talenten in dieses demokratische Gefüge einzubringen. Die einen lassen sich als Wahlhelfer:innen schulen, andere sind in einer Partei, Bürgerinitiative oder im Betriebsrat aktiv. Wieder andere nehmen direkt Kontakt mit ihren Abgeordneten auf oder stemmen sich mit Wissen und Argumentationskunst gegen die Verbreitung von Fake News und Hass im Netz. Eine konstruktive Dialogkultur und das Aushalten von unterschiedlichen Meinungen sind das A und O des Miteinanders in einer pluralistischen Gesellschaft.

Wie die Robert Bosch Stiftung Demokratie stärken will

Mit unserem Projekt Allzeitorte wollen wir Möglichkeiten schaffen, dort aktiv zu sein, wo Menschen ohnehin zusammenkommen, wo sie sich gern aufhalten – im Alltag und in der Freizeit. Wir wollen jene erreichen, die sich von der Politik weder gehört noch angesprochen fühlen. Zusammen mit dem Bundesverband Soziokultur unterstützen wir zehn Kooperationen von Akteur:innen der politischen Bildung, soziokulturellen Zentren und Alltags- bzw. Freizeitorten dabei, gemeinsam Ideen für niedrigschwellige Demokratiearbeit zu entwickeln und auszuprobieren. Ob im Fußallverein oder in der Lieblingseckkneipe: In den Allzeitort-Projekten kann man den Wert von Demokratie und Gemeinschaft selbst erfahren. Die Kombination unterschiedlicher Akteur:innen in diesem Projekt sorgt dafür, dass Demokratie vor Ort mitgestaltet und nachhaltig gestärkt wird.

Unsere Arbeit zum Thema

Demokratie

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Im Thema Demokratie fördern wir die niedrigschwellige und lebensnahe Vermittlung von Demokratiekompetenzen und nehmen dafür innovative Formate und ungewöhnliche Orte in den Blick. Ein weiterer Fokus sind inklusiv angelegte und politisch anschlussfähige Formate der Bürgerbeteiligung.

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Auch innovative Formen der Bürgerbeteiligung wie zum Beispiel Bürgerräte sind eine Möglichkeit, sich gesellschaftspolitisch einzubringen, ob auf nationaler Ebene, wie in dem von der Bundesregierung eingesetzten Bürgerrat Ernährung, oder auf kommunaler Ebene. So unterstützen wir beispielsweise in unserem neuen Projekt Zukunft aufgetischt! Kommunen dabei, in unterschiedlichen Beteiligungsformaten mit den Menschen vor Ort in den Austausch zu gehen: Wie sollen regionale Ernährungssysteme gestaltet werden? Was essen wir in unseren Schulen und Kantinen? Können Flächen ausgewiesen werden, auf denen Anwohner:innen ihre eigenen Lebensmittel anbauen? Selbstwirksamkeit erfahren Menschen unter anderem dann, wenn sie ihr Umfeld mitgestalten können, wenn sie gehört und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Wer sich einbringt, erlebt: Die eigene Stimme zählt

Deliberative Beteiligungsformate sind, wenn sie gut gemacht sind, eine tolle Ergänzung zur repräsentativen Demokratie. Diejenigen, die daran teilnehmen, berichten immer wieder, dass sie ein besseres Verständnis für komplexe politische Entscheidungsprozesse erhalten. Außerdem wird Vertrauen aufgebaut - in demokratische Institutionen und Prozesse, die Grundpfeiler unserer Demokratie. Auf der anderen Seite können Entscheidungsträger:innen von den erarbeiteten Empfehlungen profitieren und sie zur Entscheidungsfindung heranziehen.

Es ist dieses Mosaik, das wir brauchen - möglichst viele Beteiligte, möglichst überall, im besten Fall langfristig. Wer sich einbringt, kann erleben, dass die eigene Stimme zählt, dass die eigene Meinung Gehör findet und dass wir alle einen Gestaltungsspielraum haben. Wir müssen diesen nur nutzen und die Ärmel hochkrempeln. Hier ist es wie beim Training: Es geht um Kraft und Ausdauer, dies hält die Demokratie wehrhaft und stabil.

Ein Wunsch zum Schluss. In diesem Jahr wird gewählt, auf kommunaler Ebene, auf Landes- und EU-Ebene - lasst uns alle unsere Stimme abgeben!

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