Mehr Mitspracherecht bei der eigenen Krebstherapie? Am Bosch Health Campus in Stuttgart gibt es seit Ende 2021 einen Patientenbeirat, der es an Krebs Erkrankten und ihren Angehörigen leichter macht, an ihrer Behandlung mitzuwirken – und ein Sprachrohr für die Patient:innen bildet. Wie das geht und welche Chancen der Patientenbeirat bietet, erfahren Sie im Interview.
Die Expert:innen im Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) am Bosch Health Campus in Stuttgart forschen und arbeiten an neuen, innovativen Krebstherapien und behandeln an Krebs erkrankte Menschen. Seit Ende 2021 hat das RBCT auch einen Patientenbeirat, durch den Erkrankte und Angehörige mehr Beteiligungsmöglichkeiten bekommen. Mit Prof. Dr. med. Hans-Georg Kopp, dem Klinischen Leiter des Robert Bosch Centrums für Tumorerkrankungen, und Karin Strube, der Sprecherin des Patientenbeirats, haben wir über die Teilhabemöglichkeiten krebskranker Menschen gesprochen.
Herr Professor Kopp, wie kam es dazu, dass der Patientenbeirat eingerichtet wurde? Mit welchem Ziel wurde er ins Leben gerufen?
Kopp: Wir haben einfach gemerkt, wie wichtig es ist, näher an der Perspektive der Patienten zu sein. Dabei haben wir uns am Vorbild der USA orientiert, dort gibt es schon lange die sogenannte Patient Advocacy. Begonnen hat das dort in den 80er-Jahren, als der Druck groß wurde, Medikamente gegen HIV zu entwickeln. In Europa begreift man deutlich langsamer – gerade wenn man versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und Neuigkeiten schneller zu implementieren –, dass es von großem Vorteil ist, die Patienten mit reinzunehmen. Schließlich sind die Patienten die direkt Betroffenen. Wenn man ihnen nicht erklären kann, wozu ein Forschungsprojekt dient, dann muss man sich tatsächlich überlegen, ob man es überhaupt braucht.
Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit des RBCT mit dem Patientenbeirat? Gibt es da konkrete Beispiele?
Kopp: Es gibt ganz vielfältige Beispiele der Zusammenarbeit. Bei der Vorbereitung unseres Krebsinformationstags arbeiten wir beispielsweise eng zusammen. Das ist eine jährliche Veranstaltung für Interessierte, Angehörige und Betroffene. Bisher dachten wir, die Menschen wären eher an psychosozialen Themen interessiert, also wie sie zum Beispiel mit einer Krebserkrankung umgehen. Aber durch den Patientenbeirat haben wir gelernt, dass die Leute auch wissen wollen, was es Neues gibt: welche neuen Therapien entwickelt wurden und wann die Zulassung für ein Medikament kommt. Das war für uns sehr hilfreich. Außerdem werden wir den Patientenbeirat auch bei Forschungsthemen miteinbeziehen. Wir hoffen sehr auf die Mitarbeit der Mitglieder, denn sie sind selbst betroffen und werden hinsichtlich ihrer Bedürfnisse sicher immer den Finger in die Wunde legen.
Seit 1964 widmen wir uns der Gesundheit. Bereits 1940 hatte unser Stifter selbst das Robert-Bosch-Krankenhaus gegründet. Wir arbeiten an der Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems und setzen uns für eine Gesundheitsversorgung ein, die an den Menschen und ihren Bedürfnissen ausgerichtet ist – seit 2022 im Bosch Health Campus.
Frau Strube, wie viele Menschen sind aktuell im Patientenbeirat aktiv? In welcher Form und wie oft wird innerhalb des Beirats getagt?
Strube: Wir sind aktuell sieben Leute im Beirat – alle mit unterschiedlichen Erkrankungen. Ich selbst bin Sarkom-Überlebende, dann haben wir eine Person mit GIST, also mit einem bösartigen Tumor des Magen-Darm-Trakts, außerdem sind zwei Leute mit Leukämie dabei und ein Angehöriger eines Patienten mit einem Pankreaskarzinom, eine Person mit einem Lungenkarzinom sowie eine Brustkrebspatientin. Wir haben verabredet, dass wir uns vierteljährlich im festen Turnus treffen, aber wir hatten tatsächlich jetzt schon Diverses außerhalb der Reihe, um die Arbeitsbereiche noch besser kennenzulernen und um uns noch mehr Hintergrundwissen aneignen zu können. Und da die Menschen an unterschiedlichen Orten sitzen, ist es natürlich gut, dass wir viel über Videokonferenzen machen können. Dabei legen wir bestimmte Themen fest oder greifen Fragen auf, die die Patienten beschäftigen, und tauschen uns mit den Ärzten zu den Themen neue Therapien, Naturheilverfahren und Medikamente aus.
Das Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) legt großen Wert auf die psychosoziale Unterstützung der Patient:innen und ihrer Familien während des gesamten Behandlungsprozesses. Um noch mehr im Sinne der Patient:innen des Robert Bosch Krankenhauses zu handeln, wurde der Patientenbeirat gegründet. Dieser steht im stetigen Austausch mit den Ärzt:innen und den Forschenden des RBCT – beispielsweise, wenn es um unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten geht oder um Forschungsrichtungen, die eingeschlagen werden sollen. Die Ärzt:innen und die Forschenden des RBCT beantworten die Fragen der Patient:innen, haben ein offenes Ohr für deren Sorgen und gehen so weit wie möglich auf die Wünsche des Patientenbeirats ein. Ziel ist es, die medizinische Versorgung der Patient:innen gemeinsam zu verbessern und die Teilhabe der Betroffenen zu stärken.
Welche Themen spielen im Patientenbeirat aus Sicht der Patient:innen eine besonders wichtige Rolle? Was sind Ihre vorrangigen Ziele?
Strube: Generell würde ich sagen, dass wir Patienten immer einen anderen Blick haben als die Ärzte. Während Ärzte in erster Linie die Krankheit betrachten, betrachten wir Patienten in erster Linie das Leben. Wir wollen einfach unser Leben leben und wollen die Dinge tun, die wir sonst auch immer tun. Das wollen wir den Ärzten vermitteln. Und es gibt Erkrankungen, die weitverbreitet sind, wo schon seit Jahrzehnten geforscht wird, die Forschung aber gegen die Wand läuft, zum Beispiel bei Alzheimer. Und da ist es einfach wichtig, dass Patienten oder Angehörige ihre Stimme erheben und sagen: Bitte forscht trotzdem weiter, wir brauchen diese Therapie, wir brauchen diese Medikamente. Gerade bei seltenen Erkrankungen wie beispielsweise in meinem Fall bei einem Sarkom sind die jeweiligen Therapien lebensrettend. In den 25 Jahren seit meiner Erkrankung hat sich allerdings kaum etwas bei der Therapie getan, weil zu diesen seltenen Erkrankungen nur wenig geforscht wird. Dass ich heute noch am Leben bin, ist wirklich ein großes Wunder! Zu häufiger auftretenden Krankheiten wie Brust,- Darm- und Prostatakrebs wird hingegen sehr viel geforscht, und daher werden riesige Fortschritte in der Therapie gemacht.
„Es ist wichtig, dass Patienten ihre Stimme erheben und sagen: Bitte forscht weiter, wir brauchen diese Therapie, wir brauchen diese Medikamente.“
Herr Professor Kopp, kann der Patientenbeirat einen Beitrag dazu leisten, die Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen zu verbessern?
Kopp: Ich glaube schon. Sicherlich kann der Patientenbeirat Dinge beschleunigen und auf Verschiedenes einwirken. Und vor allem kann er aus meiner Sicht dabei helfen, den Blick auf das Wesentliche zu richten.
Frau Strube, neben dem Vorsitz im Patientenbeirat sind Sie auch im Patientenforschungsrat des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) SüdWest aktiv, in dem auch der Bosch Health Campus Mitglied ist. Inwieweit haben Sie als Vertreterin der Patient:innen ein Mitspracherecht?
Strube: Genau, mit dem NCT SüdWest sind wir am 1. Juni offiziell gestartet, und ich weiß nicht, wie viele Anträge ich seither unterschrieben habe. Denn inzwischen dürfen klinische Studien nicht mehr ohne die Unterschrift eines Patientenforschungsrats beantragt werden. Das heißt, die Patienten haben durchaus Einfluss, und ich bekomme jede Menge Anrufe von Wissenschaftlern. Und da funktioniert die Zusammenarbeit bisher sehr gut. Außerdem habe ich die Hoffnung, dass wir die Patientenbeteiligung auch hier in Deutschland noch besser integrieren können, weil es einfach wichtig ist, dass die Betroffenen ein Mitspracherecht haben.
Frau Strube und Herr Professor Kopp, was würden Sie anderen Kliniken oder Patientinnen und Patienten raten, die ein ähnliches Konzept umsetzen wollen?
Strube: Wir haben zum einen ganz bewusst versucht, ein möglichst breites Spektrum an Erkrankungen abzubilden, und wir wollten die Geschlechter einigermaßen paritätisch aufstellen. Das hat eigentlich ganz gut geklappt. Und dann ist natürlich die stetige Kommunikation mit den Ärzten ganz wichtig.
Kopp: Ich glaube, das Schwierigste ist erst mal die Einsicht, dass ein Patientenbeirat sinnvoll ist. Denn ich glaube, diese Einsicht ist nicht weitverbreitet. Das heißt, man muss auch häufig zuerst die Klinik-Geschäftsführung davon überzeugen. Und ich denke, auch die Patienten sind gefragt, sich Gehör zu verschaffen. Rückmeldungen der Patienten kommen in den Kliniken sehr wohl an, insbesondere wenn sie negativ sind. Ich kann also nur jedem empfehlen, die Stimme zu erheben und sich Mitsprache zu verschaffen.
Das Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) ist ein renommiertes Zentrum, das sich auf die umfassende Behandlung und Erforschung von Tumorerkrankungen spezialisiert hat. Es ist Teil des Bosch Health Campus, der mit seinen vier Schwerpunkten Behandeln, Forschen, Bilden und Fördern für eine hochwertige und moderne Gesundheitsversorgung steht. Im Kampf gegen den Krebs setzt der Bosch Health Campus mit dem RBCT auf die Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und klinischer Anwendung im Robert Bosch Krankenhaus. Die Zentrale Onkologische Studieneinheit des RBCT ermöglicht die rasche Umsetzung innovativer Projekte in der Behandlung. Gleichzeitig werden klinische Fragestellungen aus der Krebstherapie zurück in die Wissenschaft getragen und Krebstherapien schnell angepasst oder verbessert.