Reportage

Eine Oase für den Frieden: Diese Schule will ein Ort der Verständigung sein

Durch Worte Frieden schaffen: In einem Dorf in Israel versucht man genau das mit Diskussionen umzusetzen. In der ortsansässigen „School for Peace“, also der Schule für den Frieden, sollen Teilnehmer:innen in Workshops und Kursen lernen, schwierige Konflikte oder Probleme zu lösen – unabhängig von Religion und Herkunft.

Text
Mareike Enghusen
Bilder
Ofir Berman
Datum
11. August 2023

Eine Oase des Friedens mitten im konfliktgeplagten Nahen Osten will es sein, dieses Dorf auf halber Strecke zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Oase des Friedens, so lautet die Übersetzung seiner zwei Namen: „Neve Shalom“ und „Wahat as-Salam“, einmal auf Hebräisch, einmal auf Arabisch. Es ist ein großes Versprechen für einen kleinen Ort. An diesem heißen Freitagmorgen im Juli scheint er es zu halten.

In einem Gebäude mit Glasfassade und hohen Bücherregalen an den Wänden sitzen an die zwanzig Menschen in einem Halbkreis aus Stühlen: Frauen und Männer, junge und ältere, jüdische und muslimische, Frauen mit offenem und verdecktem Haar. Auch ein Angehöriger der Drusengemeinde aus dem Norden des Landes ist dabei. Bei allen augenfälligen Unterschieden haben diese Menschen eines gemeinsam: eine Leidenschaft für Umwelt- und Klimaschutz. Und deshalb sitzen sie nun hier, an einem Freitag, der in Israel schon zum Wochenende gehört, und lauschen den Worten der Soziologin Karni Krigel, die über die sozio-ökonomischen Folgen des Klimawandels spricht.

Ein Mann im Publikum stellt eine Frage
Zwanzig Menschen tauschen sich im Workshop über Umwelt- und Klimaschutz aus und versuchen einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Die Statistiken, die sie zitiert, legen alle den gleichen Schluss nahe: Während sozio-ökonomisch stärkere Bevölkerungsgruppen mehr zum Klimawandel beitragen als schwächere, sind es Letztere, die am meisten unter dessen Folgen leiden – auf globaler, nationaler, lokaler Ebene und selbst innerhalb der Familie. Ein Umstand, der sich schon zwischen den Geschlechtern zeige. So fahren Männer im Schnitt mehr mit dem Auto und tragen daher stärker zu Emissionen bei als Frauen, erklärt Krigel.

Ein arabischer Teilnehmer meldet sich und fragt, wie diese Daten erhoben würden. „Oft läuft der Familienwagen auf den Namen des Mannes. Vielleicht werden Fahrten von Frauen deshalb weniger erfasst?“ Schon hebt eine jüdische Teilnehmerin die Hand, und eine kleine Debatte entwickelt sich, lebhaft, manchmal witzig, immer respektvoll.

Thema

Frieden

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Die Robert Bosch Stiftung unterstützt nachhaltigen Frieden durch langfristige Förderung in Konfliktregionen. Mit lokalen Partnern initiiert die Stiftung inklusive Friedensprozesse und die Umsetzung von Projekten vor Ort. Der Austausch zwischen Akademikern und Praktikern wird weltweit gefördert, um so lokale Friedensansätze in relevante Debatten einzubringen.

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Eine Schule für den Frieden, eine Schule für den Dialog

Genau diese Diskussionen sind das Ziel des Kurses und auch das Ziel derer, die ihn veranstalten. Denn der Glasbau, in dem wir uns befinden, gehört zur „School for Peace“, der Schule für den Frieden. Einer Einrichtung, die sich für die Verständigung zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung Israels einsetzt.

Der Vortrag, den es heute hier zu hören gibt, ist Teil eines mehrmonatigen Programms für israelische Bürger:innen, die sich mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen, beruflich oder ehrenamtlich. „Kurs zur Fortbildung von Change Agents zur Förderung der Klima- und Umweltgerechtigkeit“ lautet der Titel des Projekts, das von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Nicht zufällig ist die Gruppe so divers. Denn neben Klimagerechtigkeit soll die Veranstaltung noch etwas leisten: Es soll ein Dialog zwischen den jüdischen und den arabischen Bürger:innen des Landes entstehen. Deshalb haben acht der Teilnehmer:innen einen jüdischen Hintergrund, während die zwölf übrigen der arabisch-palästinensischen Minderheit innerhalb Israels angehören.

Soziologin Karni Krigel, eine junge Frau mit blonden langen Haaren, spricht an der „School for Peace“ vor den Teilnehmenden.
Soziologin Karni Krigel spricht an der „School for Peace“ über die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels.

Auch die 25-jährige Nashwa Alrifahie ist Teil des Workshops. Sie stammt aus Lod, einer jener sogenannten gemischten Städte, in der sowohl jüdische als auch arabische Bürger:innen leben – leider nicht immer friedlich. Während einer israelischen Militäraktion im Gazastreifen 2021 kam es in Lod zu heftigen Gewaltausbrüchen zwischen beiden Gruppen. Auch wenn dort inzwischen wieder Ruhe eingekehrt ist, bleiben viele Probleme ungelöst: politische, soziale, ökologische.

„Unser Ziel ist, einen besseren Austausch und damit eine bessere Zukunft für beide Gruppen zu schaffen.“

Zitat vonRoi Silberberg, Direktor der „School for Peace“
Zitat vonRoi Silberberg, Direktor der „School for Peace“

„Ich wohne in einem vernachlässigten Viertel“, erzählt Nashwa Alrifahie. „In der Nähe gibt es eine Gummifabrik, die die Luft verpestet, und es liegt ständig Müll auf den Straßen.“ Um die jüdisch geprägten Viertel sorge die Stadtverwaltung sich deutlich mehr. Um das zu ändern, hat Nashwa Alrifahie mit Gleichgesinnten eine Organisation zur Verschönerung des Viertels gegründet. „Wir wollen gegen die Fabrik demonstrieren und das Rathaus anrufen und verlangen, dass bei uns der Müll abgeholt wird.“ Aus diesem Grund habe sie sich für den Kurs in Neve Shalom/Wahat as-Salam beworben: „Hier lernen wir, solche Initiativen zu starten.“

Der Kurs erstreckt sich über ein gutes halbes Jahr und umfasst elf Treffen. Die erste Phase besteht aus Fachvorträgen und jüdisch-arabischen Dialogsitzungen. In der zweiten Phase sollen die Teilnehmer:innen eigene Projekte entwickeln, die in ihrer Heimatgemeinde Umwelt- und Klimaschutz voranbringen. „Die Umwelt ist eng mit dem politischen Kontext verbunden, insbesondere mit den jüdisch-palästinensischen Beziehungen“, erklärt Roi Silberberg. Er ist der Direktor der „Schule für den Frieden“ in Neve Shalom/Wahat as-Salam, die das Programm gemeinsam mit anderen Einrichtungen ausrichtet. „Der Kurs soll zeigen, mit wie viel Kraft und Energie wir diese Themen angehen können, wenn wir beide Gruppen, ihre unterschiedlichen Interessen, aber auch die Machtverhältnisse zwischen ihnen berücksichtigen.“

Roi Silberberg
Mit der „School for Peace“ will Direktor Roi Silberberg den Bewohner:innen eine bessere Zukunft sichern.

Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigt die „School for Peace“ schon lange. Sie ist keine Schule im klassischen Sinne, sondern eine Fortbildungs- und eine Begegnungsstätte. Seit ihrer Gründung im Jahre 1979 fördert sie eine egalitärere und gerechtere Beziehung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Israel. Sie hat sich dem Frieden verschrieben, bringt Menschen zu angeleiteten Dialogsitzungen zusammen, will Verständnis und Empathie schaffen. Heute arbeitet die Einrichtung mit jüdischen und arabischstämmigen Schüler:innen, Student:innen, Politiker:innen und Arbeitnehmer:innen verschiedener Berufsgruppen zusammen. Sie organisiert Workshops, Schulungsprogramme und Sonderprojekte und schärft dabei – auch wenn es in den Kursen vordergründig um andere Themen zu gehen scheint – immer das Bewusstsein der diversen Teilnehmendenschaft für die gesellschaftlichen Konflikte, die in Israel herrschen.

Dabei geht es auch darum, die Teilnehmenden für ihre eigene ganz persönliche Rolle in diesem Konflikt zu sensibilisieren. Sie sollen ein Verständnis für die Minderheiten-Mehrheiten-Beziehungen in Israel entwickeln, verstehen, welche Auswirkungen diese Machtverhältnisse ganz konkret auf einzelne Personen haben, und befähigt werden, Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen. Roi Silberberg spricht von einem „kritischen Verständnis der Realität“. Seit der Gründung der „School for Peace“ haben 65.000 Menschen an ihren Kursen teilgenommen.

Personen unterschiedlichen Geschlechts und Herkunft in Sitzreihen, von der Seite betrachtet, stimmen mit hochgehaltenen Karten über etwas ab
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Frieden schaffen – in allen gesellschaftlichen Bereichen

Seit einigen Jahren bietet die Institution auch Kurse zur fachlichen Weiterbildung an, etwa in Feldern wie Architektur, Medizin und Psychologie. Doch auch dabei bleibt die Schule ihrem Grundprinzip treu: Zu jedem Kurs werden jüdische und arabische Fachkräfte eingeladen, und immer gehört ein Dialogelement dazu. „Unser Ziel ist, einen besseren Austausch und damit eine bessere Zukunft für beide Gruppen zu schaffen“, erklärt Silberberg.

Aus manchen dieser Kurse sind gesellschaftliche Initiativen hervorgegangen. So hätten sich die Teilnehmer:innen eines Architekturkurses dauerhaft in einem jüdisch-arabischen Planungsforum vernetzt, berichtet Silberberg. Und aus einem anderen Kurs vor zwei Jahren entstand ein viel beachtetes Projekt namens „Jaffa Streets“. Dabei recherchierten die Teilnehmer:innen die ehemals arabischen Namen bekannter Straßen, die diese vor der Gründung des Staats Israel getragen hatten. Sie veröffentlichten ihre Funde in den sozialen Medien und hängten Straßenschilder mit den ursprünglichen Namen auf. Auch solche Projekte, die sich um Sichtbarkeit und Teilhabe drehen, können ein Verständnis für Ungerechtigkeit schärfen.

Oase des Friedens: Dieser Ort will ein Versprechen für Frieden in Israel sein

Dass sich die Teilnehmer:innen des Kurses in der ländlichen und beinahe idyllisch wirkenden Gemeinde Neve Shalom/Wahat as-Salam treffen, ist kein Zufall. Denn der Ort selbst steht für die Vision, Frieden und Verständigung zu schaffen.

Baum in trockener israelischer Landschaft
Das jüdisch-arabischen Dorf Neve Shalom/Wahat as-Salam wird als Oase des Friedens bezeichnet und liegt zwischen Tel Aviv-Jaffa und Jerusalem.

Jüdische und arabische Familien gründeten Neve Shalom/Wahat as-Salam 1970 in der Hoffnung, ein Modell für die friedliche Koexistenz in Israel zu schaffen. Heute leben hier gut 70 Familien, jüdische und arabische zu gleichen Teilen. Anders als im regulären israelischen Bildungssystem, in dem jüdische und arabische Kinder getrennte Schulen besuchen, werden in der Grundschule des Ortes alle gemeinsam unterrichtet – auf Arabisch und auf Hebräisch. Die Kinder lernen, wie man Chanukka und den Ramadan begeht und warum jüdische Israelis am Unabhängigkeitstag feiern, während ihre arabischen Mitbürger:innen die Nakba betrauern, die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser:innen aus dem heutigen Israel.

„Ich will soziale und ökologische Gerechtigkeit in meiner Stadt fördern. Und ich selbst muss den Wandel voranbringen.“

Zitat vonNashwa Alrifahie, Kurs-Teilnehmerin
Zitat vonNashwa Alrifahie, Kurs-Teilnehmerin

Ein schöner Ort, mit einer noch schöneren Vision, die mit der „School for Peace“ über die Dorfgrenzen hinaus in die israelische Gesellschaft getragen werden soll. Doch selbst die „Oase des Friedens“ kann sich nicht immer schützen vor Gewalt und Extremismus: Im September 2020 steckten unbekannte Eindringlinge das Hauptgebäude der „School for Peace“ in Brand. Bis heute ist der Wiederaufbau nicht abgeschlossen. Darum finden die Kurse derzeit in der gläsernen Bibliothek der Schule statt, die keinen Schaden genommen hat – auch unser heutiger Kurs zu Umwelt- und Klimagerechtigkeit.

Zwei Frauen unterhalten sich unter einer Palme
Nicht nur in den Kursen wird sich ausgetauscht, auch in den Pausen auf dem Gelände der „School for Peace“ finden intensive Gespräche statt.

Hier hat inzwischen die Mittagspause begonnen: Lebhaft plaudernd laden die Teilnehmer:innen Reis, Couscous-Salat, frisches Gemüse und gefüllte Teigtaschen auf Keramikteller. Von dem in Israel so beliebten Einweggeschirr ist keine Spur: Umweltschutz soll hier nicht nur gepredigt, sondern gelebt werden. Die gelöste Stimmung ist keine Selbstverständlichkeit. In der letzten Sitzung vor der Pause ging es um nationale Identitäten und die Konflikte zwischen ihnen. Themen, die in Israel politisch und emotional stark aufgeladen sind. Um eine sichere Gesprächsatmosphäre zu garantieren, durften äußere Beobachter:innen bei diesem Treffen nicht dabei sein.

Die Probleme in Israel lösen – mit Empathie

Die Gespräche seien kontrovers, aber respektvoll verlaufen, berichtet anschließend die Teilnehmerin Nahida Sakis, die sich wie viele arabische Bürger:innen Israels als Palästinenserin identifiziert. Sie ist 25 Jahre alt und studiert eine Kombination aus Biologie und Psychobiologie an der Universität von Tel Aviv. Viele ihrer Kommiliton:innen seien zwar jüdisch, erzählt sie. Doch so offen wie in der Dialogsitzung habe sie mit ihnen noch nie über heikle politische Fragen gesprochen. „Dafür braucht man einen sicheren Raum“, betont sie. „Wie hier.“

Auch Nashwa Alrifahie aus Lod ist guter Stimmung. „Ich bin mit Wut zu dem Treffen gekommen“, wird sie einige Tage später gestehen. Kurz zuvor hatte es in ihrer Nachbarschaft eine Schießerei gegeben, wieder einmal. „Der Kurs in Neve Shalom hat mir die Möglichkeit gegeben, über diese Dinge zu sprechen und zukünftig Lösungen dafür zu erarbeiten“, sagt die junge Frau.

Auch zu einer wichtigen Entscheidung hat ihr der Kurstag verholfen: „Ich will soziale und ökologische Gerechtigkeit in meiner Stadt fördern. Und ich selbst muss den Wandel voranbringen.“ Bei den nächsten Kommunalwahlen in Lod will sie deshalb für einen Sitz im Stadtrat kandidieren.

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