Mit Herz und Verstand gegen den Hass
Beschimpfungen, Drohungen, Diskrimierungen: Hate Speech ist in digitalen Räumen längst keine Seltenheit mehr. Immer öfter werden einzelne Personen und Gruppen im Netz zur Zielscheibe von Hass und Verunglimpfungen. Wie man sich mit Fakten, digitalem Zusammenhalt und YouTube-Videos dem Hass wirkungsvoll entgegenstellt, zeigen Initiativen für mehr Respekt und Menschlichkeit im Netz.
„Der Kontext von Hassnachrichten ist erstaunlich oft historisch. Aussagen wie ‚Das Wirtschaftswunder damals haben wir doch auch ohne Zuwanderung geschafft‘ stellen einen falschen Zusammenhang her. Das sind historische Fake News, die auf mangelnden Informationen basieren“, erklärt Theo Müller, promovierter Historiker und Vorstandsmitglied des Vereins Open History. Vor drei Jahren beobachtete er im Netz erstmals hitzige Diskussionen, in denen geschichtliche Fakten verfälscht, erfunden oder umgedeutet wurden, um als Grundlage für persönliche Einschätzungen und politische Forderungen zu dienen. Für Theo und weitere Historiker des Vereins stand fest: Dagegen müssen wir systematisch etwas unternehmen. Sie starteten das Projekt „GeschichtsCheck“.
Mit Fakten das Internet von Unsinn befreien
Egal ob anonym oder unter Klarnamen, immer mehr Nutzer verlieren im Netz die Scheu und überschreiten mit ihren Kommentaren Grenzen. Wörter und Bilder dienen ihnen als Waffen, die bewusst bestimmte Menschengruppen angreifen oder abwerten. Charakteristisch für Hassrede ist, dass unzutreffende oder falsche Aussagen verbreitet, Vorurteile bedient und Betroffene aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit beleidigt werden.
Hasserfüllte Argumente mit historischen Fake News belegen: Dagegen gehen die Historiker rund um Theo mit ihrem Projekt GeschichtsCheck vor.
Um Falschaussagen entgegenzutreten, konzentriert sich das Projekt GeschichtsCheck auf die Vergangenheit. „Im Internet gibt es eine Vielzahl von vereinfachenden bis hin zu verfälschenden Argumenten, aber noch wenige Stimmen, die dem etwas entgegensetzen. Wir möchten dabei mitwirken, diese Lücke zu schließen“, sagt Theo. Aufbauend auf der Erkenntnis, dass Menschen oft auf die gleichen historischen Ereignisse und damit zusammenhängende Verschwörungstheorien zurückgreifen, erstellte das Team rund um Theo einen digitalen Werkzeugkasten. Dafür widerlegten sie die am häufigsten verbreiteten historischen Lügen Schritt für Schritt: Selbst verfasste wissenschaftlich fundierte Artikel, eine leicht verständliche Zusammenfassung, prägnante Argumente und SharePics stehen im Werkzeugkasten zur Verfügung und geben allen Menschen die Möglichkeit aktiver Gegenrede.
Niemand steht alleine da
Das Projekt zeigt Wirkung. „Zu historischen Jahrestagen, zum Beispiel Holocaust-Gedenktagen, an denen besonders viel Hass im Netz kursiert, steigen unsere Zugriffszahlen drastisch“, sagt Theo. Und auch in regulären Wochen wird die Plattform von mehreren tausend Nutzern aufgerufen. „Du bist tatsächlich nicht allein vor deinem Computer, wenn du den Unsinn richtigstellst. Es gibt andere Menschen, die das auch machen. Das ist ein erfrischender und erhellender Moment: Wir sind nicht alleine.“
Wer in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke versucht zur Sachlichkeit beizutragen, sieht sich selber schnell mit persönlichen Angriffen konfrontiert.
Als Gemeinschaft gegen den Hass zu kämpfen, dafür setzt sich auch die Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier ein, die mehr als 45.000 Mitglieder zählt. Sie wollen die Diskussionskultur in den Kommentarspalten mit aktiver Gegenrede verbessern. „Es ist schlimm genug, dass Menschen solche Dinge schreiben, aber wenn keiner widerspricht, dann wirkt es so, als wäre es eine Mehrheitsmeinung. Das stimmt nachweislich nicht. Es ist eine ziemlich kleine Minderheit“, sagt Philip Kreißel.
Philip ist Datenanalyst und programmiert Tools, um in der Fülle aller geteilten Inhalte auf Facebook diejenigen zu erkennen, bei denen der Hass überhandnimmt. Hassverbreiter versuchen gezielt Diskussionen zu steuern und treten in Gruppen auf - so entsteht der Eindruck, in den Kommentarspalten spiegele sich eine repräsentative Stimmung der Bevölkerung. „Die Hassredner sind viel aktiver als normale Nutzer, daher kommt dieser falsche Eindruck. Und sie schaffen eine Echokammer um das Opfer, welches den Eindruck bekommt, es hätte keinerlei Unterstützung.“
„Wir wollen eine freie und offene Diskussionskultur fördern, die nicht von Trollen eingeschränkt wird.“
In der Gruppe #ichbinhier werden die von Philip gefundenen Beiträge geteilt. Die Mitglieder fügen den bestehenden Diskussionen sachliche, konstruktive und empathische Kommentare hinzu, um dem oft einseitigen Meinungsbild und den abwertenden Stimmen etwas entgegenzusetzen – wie eine digitale Armee mit Verstand und Herz. „Wir wollen eine freie und offene Diskussionskultur fördern, die nicht von Trollen eingeschränkt wird. Wir beleben den Diskurs. Bei Hasskommentaren hat keiner Lust mitzudiskutieren“, sagt Philip.
Wenn der Hass den digitalen Raum verlässt
Doch Hass im Netz ist nicht nur verbale digitale Gewalt, sondern ebnet auch den Weg für Hass in der analogen Welt. Wenn bestimmte Narrative in hoher Anzahl geteilt, gemocht und wiederholt werden, beeinflussen sie Menschen und finden so Einzug in das reale Leben. Hassverbreiter nutzen gezielt digitale Räume, um ihre Einstellungen, Sprache und Bilder in der Gesellschaft zu verbreiten. „Junge Menschen sind mit ihrem Smartphone unterwegs. Sie konsumieren Gangster-Rap, Videos mit Botschaften über Rechtsextremismus, Serien handeln davon. Und das fasziniert sie“, erklärt Philip Schlaffer.
„Ich war 15 Jahre Neonazi.“ So stellt sich Philip Schlaffer beim Community Event vor. Er kennt die Problematik negativer Beeinflussung und versucht Jugendliche mit seinen Erfahrungen zu sensibilisieren.
Im Rechtsextremismus, im Rotlicht- und Rockermilieu fand Philip die Hälfte seines Lebens ein Zuhause. Seit einer Gefängnisstrafe engagiert er sich gegen Extremismus – online und offline. Im Verein Extremislos arbeitet er als Antigewalt- und Deradikalisierungstrainer mit auffälligen Jugendlichen, um ihre Widerstandsfähigkeit gegen extremistische Weltbilder zu stärken. Dabei setzt er auf seine Glaubwürdigkeit und ermöglicht eine unkomplizierte, direkte Kontaktaufnahme. „Wenn ich aus meinem Leben berichte, dann sind es ehrliche Geschichten, die die Jugendlichen emotional abholen. Ich spreche nicht über junge Menschen, sondern mit ihnen.“ Unter dem Titel „Ex-Rechte Rotlicht Rocker“ bloggt Philip auf YouTube und erzählt rund 50.000 Followern regelmäßig aus seinem Leben. Seine Videos sind leicht verständlich, mit auffälligen Bildern und Überschriften. „Ich spreche offen über Schwierigkeiten und die unterschiedlichen Bereiche des Extremismus. Ich kriege über Instagram oder Facebook oft Nachrichten von Jugendlichen, die um Hilfe bitten. Das ist einfacher, als zu einer Beratungsstelle zu gehen und oft der Anstoß für weitere Hilfsangebote.“
Sexismus aufdecken, Denkmuster verändern
Hassrede verbirgt sich auch dort, wo sie nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Klassische Medien nutzen in Überschriften manchmal diskriminierende Sprache: „Mit Begriffen wie Eifersuchtstragödie oder Familiendrama wird häusliche Gewalt gegen Frauen verharmlost oder als Einzeltat deklariert“, sagt Anne Jacob von Gender Equality Media. Der Verein setzt sich gegen diskriminierende Begriffe und Formulierungen in der Berichterstattung ein, die Machtstrukturen der Gesellschaft fortsetzen. „Sexismus ist keine Naturgewalt, er ist nicht einfach da. Er wird von Medien und Journalisten erschaffen. Dahinter steht ein System – das wollen wir zerstören“, sagt Britta Häfemeier.
Mit Medienbeobachtung und öffentlicher Kritik gegen diskriminierende Sprache im Journalismus. „Wir lieben Pressefreiheit so sehr wie wir Sexismus hassen.“
Mithilfe von Medienscreenings und auf Basis zuvor bestimmter Kategorien und Schlagwörter spüren sie mehrmals in der Woche diskriminierende Sprache in deutschen Leitmedien und regionalen Zeitungen auf. „Wir haben zum Beispiel Schlagwörter wie Sexopfer. Das ist extrem problematisch, weil es sexuelle Gewalt als Sex deklariert und eine Täterperspektive einnimmt. Im Grunde genommen geht es hier um Vergewaltigung“, erklärt Anne.
Auffällige Begriffe und Formulierungen werden in Screenshots gesammelt und die verantwortlichen Journalisten über Social Media zur Überarbeitung aufgefordert. „Wir bauen den Kontakt direkt über Twitter auf. Das versandet nicht. Es ist persönlich und bewegt die Person zu einer Reaktion. Ignoriert werden wir nur selten“, sagt Anne. Mehr als die Hälfte der kritisierten Überschriften wird angepasst. „Wir kriegen auch Hass und Beschimpfungen ab. Es bleibt nicht nur bei persönlichen Beleidigungen, gerade wurde auch unsere Website gehackt. Wir versuchen uns davon nicht einschüchtern zu lassen und machen einfach weiter."