Ayse Özbabacan, Leiterin der Abteilung Integrationspolitik der Stadt Stuttgart, plädiert für pragmatische Zuversicht. Vieles sei in den vergangenen zehn Jahren gelungen. Das gibt ihr Hoffnung für die Zukunft.
Besonders kontrovers fand ich Angela Merkels Satz damals gar nicht. „Wir schaffen das“ – ja, klar, habe ich gedacht. In Stuttgart wussten wir, dass die Aufnahme vieler Geflüchteter in kurzer Zeit nicht einfach wird. Aber wir fühlten uns gut vorbereitet.
Schon in den Jahren zuvor haben wir an unseren Strukturen gearbeitet. Wir haben etwa das Welcome Center Stuttgart aufgebaut, wo Neubürger:innen alles Wichtige zu Themen wie Deutsch lernen, Arbeiten und Aufenthaltsrecht erfahren. Wir haben auch ermöglicht, dass Sprachkurse während des laufenden Asylverfahrens besucht werden können. Das mag nebensächlich klingen, ist aber tatsächlich sehr wichtig. Integration läuft nun einmal vor allem über die Sprache.
Diese Schilderungen von Ayse Özbabacan sind Teil einer Serie aus unserem Förderthema Einwanderungsgesellschaft. 2015 sagte Angela Merkel den berühmten Satz „Wir schaffen das!“, sie meinte damit die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter, die innerhalb weniger Monate nach Deutschland kamen. Wir haben Expert:innen und Partner:innen aus unseren Projekten gefragt: Was haben wir in Deutschland in Sachen Integration geschafft in diesen 10 Jahren?
Uns war auch von Anfang an klar: Ohne die Zivilgesellschaft schaffen wir das nicht. 2015 hatten wir sechs Freundeskreise, in denen sich Ehrenamtliche für Geflüchtete engagierten. Ende 2016 waren es schon 40 Freundeskreise mit rund 3.000 Ehrenamtlichen – für insgesamt etwa 10. 000 Geflüchtete. Heute ist diese Hilfsbereitschaft immer noch ähnlich hoch.
Zu unserem Stuttgarter Weg hat es aber auch von Anfang an gehört, die Flüchtlinge in die Verantwortung zu nehmen, sie zu befähigen, zu empowern. Wir sind in die Unterkünfte gegangen, haben ganz konkret gefragt: Was bringt ihr mit? Was könnt ihr einbringen?
So sind zum Beispiel kleine Nähereien entstanden, in denen Geflüchtete nicht nur für die Mitbewohner:innen nähten, sondern auch den deutschen Nachbar:innen das Schneidern beibrachten. Ein syrischer Anwalt konnte hier zwar nicht als Jurist arbeiten, aber er sprach sehr gutes Deutsch und half anderen beim Ausfüllen von Formularen. Es gründeten sich auch viele Vereine von Geflüchteten, zum Beispiel ein Verein von und für geflüchteten Afghaninnen.
„Gerade im aktuellen, aufgeheizten politischen Klima ist es wichtig, zu zeigen: Integration funktioniert – und ist für Wirtschaft und Gesellschaft ein Gewinn.“
Viele, die 2015 gekommen sind, sind inzwischen eingebürgert. Sie haben Deutsch gelernt, manche sogar schwäbisch. Sie arbeiten, oft in Bereichen, in denen Fachkräfte besonders knapp sind. Sie zahlen Steuern und Sozialabgaben. Und sie bringen sich auch politisch ein – in den Parteien, im internationalen Ausschuss, in der Kommunalpolitik.
Natürlich haben wir auch Fehler gemacht. Natürlich läuft nicht alles perfekt. Wir bräuchten zum Beispiel noch mehr Kitaplätze, damit die Eltern arbeiten gehen können. Weil die Behörden überlastet sind, dauert es manchmal auch zu lange, bis Arbeitsgenehmigungen ausgestellt werden. Auch im Bereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung können wir noch mehr tun. Und es braucht womöglich noch mehr Mut von Arbeitgeber:innen, Menschen anzustellen, die noch nicht perfekt Deutsch können. Über diese Herausforderungen sollten wir reden. Aber wir müssen auch mehr über unsere Erfolge sprechen. Gerade im aktuellen, aufgeheizten politischen Klima ist es wichtig, zu zeigen: Integration funktioniert – und ist für Wirtschaft und Gesellschaft ein Gewinn.
Merkel hat im Jahr 2015 nicht das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Sie hat für eine ruhige, pragmatische Zuversicht geworben. Diese Haltung sollten wir uns bewahren.