Demokratie findet nicht nur in Parlamenten und Gremien statt. Wir sind überzeugt: Demokratie beginnt an der gesellschaftlichen Basis, jeden Tag, überall. Das Programm „Allzeitorte“ ist unser Ansatz, Demokratie an Orte des täglichen Lebens zu holen. Wie das gehen kann, zeigen wir hier.
Mit unserem Projekt Allzeitorte wollen wir der Demokratie Brücken in den Alltag bauen: Seit Januar 2024 unterstützen wir in ganz Deutschland Betreiber:innen unterschiedlichster Orte, Demokratieprojekte im Kleinen zu starten, gemeinsam mit Akteur:innen der politischen und soziokulturellen Bildung.
Solche Allzeitorte können ein Friseursalon sein, eine Gartenanlage oder eine Kleiderstube. „Es ist dieses Mosaik, das wir brauchen: möglichst viele Beteiligte, möglichst überall, im besten Fall langfristig. Wer sich einbringt, kann erleben, dass die eigene Stimme zählt, dass die eigene Meinung Gehör findet und dass wir alle einen Gestaltungsspielraum haben“, sagt Antje Scheidler, die Leiterin unseres Teams Demokratie. Genau das passiert an unseren zehn geförderten Allzeitorten in ganz Deutschland. Drei davon stellen wir hier vor.
Ein Bauwagen, ein paar Tische im Grünen, dazu Kaffee und Kuchen – viel brauchte es nicht, um im brandenburgischen Neuruppin einen neuen Raum für Austausch zu schaffen. Mit dem Projekt „Garten-Café: Wollen wir reden?“ wurde ein bereits bestehender Gemeinschaftsgarten zum Treffpunkt für Menschen, die sonst selten miteinander ins Gespräch kommen. „Wenn wir über den Gartenzaun schauen, sehen wir Menschen, die – genau wie wir – einfach ein gutes Leben wollen“, so beschreibt Projektleiterin Katharina Herold den Ansatz.
Jeden Freitag öffnet das Café seine Türen – oder besser: seine Gartenpforte. Nachbar:innen aller Generationen kommen zusammen, um über das zu sprechen, was sie bewegt, politisch, gesellschaftlich, oder ganz persönlich. Dabei geht es nicht um fertige Lösungen, sondern erstmal ums Zuhören, Verstehen und Mitgestalten. Und aus den Gesprächen wird im Lauf der Zeit mehr: Die Besucher:innen des Gartencafés haben zusammen ein Fotoprojekt umgesetzt und Ideen für den städtischen Bürgerhaushalt entwickelt, die das Leben im Stadtviertel verbessern könnten. So sind schlussendlich auch Verbindungen zu Politik und Verwaltung entstanden.
Im Friseursalon „Hair by Grazia“ in Netphen-Deuz geht es längst nicht mehr nur um Spitzen schneiden. Hier stoßen die Friseur:innen Gespräche an – über das Leben im Dorf, über Zusammenhalt, über das, was fehlt. Und diese Themen greift das Projekt „Herz zu Herz“ auf und macht daraus Impulse für mehr Zusammenhalt und Demokratie im Alltag. Dahinter stehen das Kulturzentrum Qulturwerkstatt e.V. und das Institut für Widerstand im Postfordismus. 500 handgeschriebene Komplimente auf bunten Postkarten tauchen plötzlich im Ort auf: auf Parkbänken, unter Scheibenwischern, in Läden. „Schön, dass du hier bist.“ „Danke, dass du heute gelächelt hast.“ Die Botschaften wirken. „So etwas verändert die Atmosphäre im Dorf“, sagt Eva-Nadine Wunderlich von der Qulturwerkstatt.
Auch Plakate in Schaufenstern, Luftballons mit Herzmotiven und ein Wunsch-Briefkasten setzen Zeichen – freundlich, einladend, verbindend. Aus den Gesprächen im Friseursalon entsteht auch der Wunsch nach neuen Begegnungsorten. Die Antwort: das monatliche „Qafé Herzlich“, inzwischen ein Treffpunkt für Menschen, die sich lange nicht gesehen haben – darunter etwa das Netzwerk Deuz, das einst Geflüchtete unterstützte. Und es geht weiter: Ein Holzhäuschen auf dem Supermarktparkplatz wollen die Netphener nun gemeinsam umgestalten, als Ort für Austausch und Symbol für Vielfalt.
„Herz zu Herz soll das Minimum sein: ein bisschen Miteinander, ein bisschen Wärme“, sagt Eva-Nadine Wunderlich. Aus diesem Minimum ist längst mehr geworden: eine Bewegung, die zeigt, wie viel Demokratie im Alltag steckt – zwischen Kamm, Kaffee und Komplimenten.
Das Projekt „Kleider.Machen.Leute“ im sächsischen Königstein zeigt, was aus einem bereitgestellten Raum entstehen kann, wenn Teilhabe nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht ist. Schon immer sind in der Kleiderstube der Diakonie die unterschiedlichsten Menschen zusammengekommen. Daran hat der Verein weltbewusst e.V. zusammen mit der Aktion Zivilcourage angeknüpft und ein neues Miteinander geschaffen.
Im Laufe der Zeit ist in der Kleiderstube eine Community entstanden, die ganz eigene Aktivitäten angestoßen hat: etwa einen Nähkurs, in dem alte Schnittmuster neu genutzt werden. Oder einen Malkurs für alle, oder eine Zukunftswerkstatt für Senior:innen. „Kleider.Machen.Leute“ macht die Türen weit auf. Es lädt die Menschen ein, ihre eigenen Ideen mitzubringen – und sie auch in die Tat umzusetzen. Das hat den Austausch intensiver gemacht. So werden in der Kleiderstube längst mehr nur Kleider getauscht, sondern auch Perspektiven.
Wir leben in einer Zeit, in der das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse schwindet und rechtsextreme Parteien an Zulauf gewinnen. Daher legen wir von der Robert Bosch Stiftung 2025 einen Schwerpunkt auf das Thema Demokratie. Erfahren Sie hier, welche Ansätze wir verfolgen und was wir mit unseren Partner:innen bewirken wollen.