Drei Schulleiter:innen erzählen, warum Demokratiebildung jetzt so wichtig ist und warum sie die bundesweite Initiative #IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt angestoßen haben.
Kriege, Extremismus und Wahlen – an den Schulen spiegeln sich die Konflikte der Gesellschaft wider, und das rückt die Demokratiebildung verstärkt in den Fokus. Die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung haben deshalb in Kooperation mit der ARD und der ZEIT Verlagsgruppe die Initiative #IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt gestartet. Höhepunkt ist ein bundesweiter Aktionstag am 6. Juni. Den Anstoß für die Initiative gab das Preisträgernetzwerk des Deutschen Schulpreises, dem mehr als 100 Schulen angehören. Wir haben drei Schulleitungen aus dem Netzwerk gefragt, wie sich das Miteinander an ihrer Schule verändert hat und warum es gerade jetzt so wichtig ist, Demokratie zu fördern.
Die Initiative #IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt will dazu beitragen, dass sich Schulen nachhaltig mit Demokratiebildung auseinandersetzen. Dazu gibt es auf dem Deutschen Schulportal ganzjährig Fortbildungs- und Informationsangebote für Lehrkräfte. Die Schirmherrschaft für den bundesweiten Aktionstag am 6. Juni hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernommen. Zahlreiche Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche UNESCO-Kommission und die Kultusministerien unterstützen die Initiative. Die vollständige Liste der Unterstützer:innen finden Sie auf der Website.
„Wir haben in diesem Schuljahr bemerkt, dass wir den Bereich Demokratiebildung viel stärker in den Mittelpunkt rücken müssen. Partizipation ist bei uns an der Schule eigentlich schon lange ein großes Thema, aber durch die Schulschließungen während der Coronapandemie ist viel davon bei den Kindern verloren gegangen. Die Schüler:innen waren weniger mit der Schule verbunden, weil es viele Angebote lange Zeit nicht gab. Das spiegelte sich zum Beispiel im Vandalismus wider.
„Was braucht ihr?“
Wir haben darauf reagiert, indem wir die Schüler:innen noch stärker einbeziehen. Beim Thema Toiletten haben wir die Kids gefragt: ,Was braucht ihr, damit dieser Ort funktioniert?‘ Die Kinder wollten Kunst auf der Toilette, und das haben wir umgesetzt. Gerade haben wir eine Toilettenvernissage veranstaltet. Der Vandalismus ist um 90 Prozent zurückgegangen. Das heißt, wir müssen den Kindern zeigen, dass sie eine Stimme haben, die zählt. Nicht nur im Unterricht.
In einer Schule gibt es überall Situationen des Miteinanders und deshalb auch überall Situationen von gelebter Demokratie. Anfang des Jahres gab es nach den CORRECTIV-Recherchen zu den Abschiebeplänen von Rechtsradikalen in Heidelberg große Demonstrationen. Auch Schüler:innen der Waldparkschule habe ich dort gesehen. An unserer Schule lernen sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund. Mit der Aktion #IchStehAuf können wir unseren Schüler:innen eine Stimme geben.“
„Der 7. Oktober hat an unserer Schule sehr viel hochgewirbelt. Ich habe dabei selbst eine Menge dazugelernt, genauso wie das ganze Kollegium. Als die Hamas am 7. Oktober Israel angriff, waren die Schulen in NRW in den Herbstferien. Im Kollegiums-Chat der Lehrkräfte gab es eine große Unsicherheit darüber, wie der Terrorangriff und die Vergeltung an unserer Schule mit vielen muslimisch geprägten Kindern und Jugendlichen kommuniziert werden könnte; es gab Angst vor Konflikten, die wir als Lehrkräfte nicht mehr im Griff haben könnten.
„Das hat uns noch nie jemand gefragt“
Tatsächlich haben wir dann eine ganz andere Erfahrung gemacht. Die Schüler:innen schauten sehr differenziert auf das, was im Nahostkonflikt passiert, wenn wir ihnen ernsthaft zuhörten. Gerade auch jene, die selbst aus den palästinensischen Gebieten kommen, waren oft besser informiert als wir Lehrkräfte. Seitdem hat sich etwas verändert. Viele Lehrkräfte gehen bewusster in das Gespräch, fragen nach, hören zu. Aussagen werden nicht gleich in Schubladen sortiert. Und das merken die Schüler:innen. Sie freuen sich, dass wir offener geworden sind für politische Diskussionen, dass wir ernsthaft daran interessiert sind, was sie denken. Nicht selten habe ich von ihnen den Satz gehört: ,Das hat uns noch nie jemand gefragt.‘
Wir haben im Kollegium zwei Fortbildungstage zum Thema ,Rassismus und Ausgrenzung‘ organisiert. Es ging darum, den Kindern und Jugendlichen weniger mit Klischees zu begegnen als mit authentischer Aufmerksamkeit. Am Ende des Schuljahres werden wir drei Projekttage mit der gesamten Schulgemeinschaft zum Thema Vielfalt veranstalten.“
Im Fördergebiet Bildung macht sich die Robert Bosch Stiftung für zukunftsfähige Kitas und Schulen in Deutschland stark. Mit eigenen Projekten und im Rahmen ihrer Förderung hebt sie Wissen und erprobt Lösungen, von denen das ganze Bildungssystem profitiert. Dafür arbeitet sie eng mit Akteur:innen aus Bildungseinrichtungen, Verwaltung, Forschung und Politik zusammen.
„Die Agonie, die zurzeit in der Gesellschaft zu beobachten ist, sehen wir auch vor Ort. In Thüringen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt, und wir blicken – wie das Kaninchen auf die Schlange – auf politische Entwicklungen, die verhindern könnten, dass wir weiterhin in einem weltoffenen Land leben. Für uns ist es wichtig, aus dieser Erstarrung herauszukommen und uns aktiv an den gesellschaftlichen Diskussionen zu beteiligen.
„Wir wollen uns als Schule bemerkbar machen“
Wir sind als Schule dem Netzwerk ,Für ein weltoffenes Thüringen‘ beigetreten. Das ist seither auf einem großen Banner zur Straße hin für alle sichtbar. Wir sind also schon aufgestanden, und wir möchten ein bewusstes Signal setzen: Wir schotten uns nicht ab, wir verteidigen universale Menschenrechte, die für alle da sind. Wir bleiben offen für Menschen mit Fluchterfahrung, auch wenn die damit verbundenen Herausforderungen für die Kommunen groß sind. Mit der Initiative #IchStehAuf können wir dieses Signal auch bundesweit setzen, das ist uns wichtig. Die leisen Menschen mit den konstruktiven Ideen sind oft nicht hörbar, im Gegensatz zu den lauten, die mit platten Parolen agieren. Wir wollen uns als Schule bemerkbar machen, uns mit anderen zusammenschließen und deutlich machen, dass es jetzt darum geht, dass wir ein demokratisches Land bleiben.
Natürlich diskutieren wir an unserer Schule Grundfragen wie Migration oder Krieg und Frieden gemeinsam mit den Schüler:innen. Und natürlich gibt es wie in der Gesellschaft auch bei uns unterschiedliche Auffassungen. Wir organisieren das ganze Jahr über Gesprächskreise mit Organisationen und mit Politiker:innen. Partizipation gehört zum Konzept der Jenaplan-Schule. Und unsere Erfahrung zeigt: Wenn die Kinder gelernt haben, ihre eigene Meinung gut zu formulieren, anderen zuzuhören und zu diskutieren, dann gelingt es auch, sich auf gemeinsame grundlegende Ansprüche an die Gesellschaft zu einigen.“
Wenn die Dialogbereitschaft endet und Meinungsverschiedenheiten in Hass übergehen, betrifft das uns alle: Es gefährdet das demokratische Zusammenleben. Was können wir dem entgegensetzen? Ermutigende Ansätze gibt es aus all unseren Fördergebieten – und um diese Ansätze geht es in unserem Dossier.