Dr. Raphaela Schweiger, Leiterin für unsere Themen Migration und Einwanderungsgesellschaft, kam Anfang 2015 zur Robert Bosch Stiftung. Hier beschreibt sie, wie Stiftungen das Thema Integration voranbringen können – gerade in der jetzigen Zeit.
2015 war ein Jahr ohne Schlaf. Tag und Nacht wurden die Bälle hin- und her geworfen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft, in der Wissenschaft. Jeder versuchte, auf Fragen zu antworten, auf die es noch keine Antworten gab: Wie soll eine Kommune über Nacht Hunderte Geflüchtete unterbringen? Es war eine Zeit der Energie und Euphorie. Aber es war schon damals klar: Dieses Momentum wird irgendwann abbrechen. Der Begriff „hospitality fatigue“ war bekannt.
Deshalb war klar: Wir müssen als Stiftung dranbleiben, langfristig und verlässlich arbeiten. Das ist vielleicht der größte Erfolg – die Kontinuität. In über 50 Kommunen haben wir seitdem gewirkt und sektorenübergreifende Bündnisse für Integration aufgebaut. In ländlichen Räumen gab es vor 2015 wenig Erfahrung mit Zuwanderung, selten Integrationsbeauftragte oder eine Strategie. Heute gibt es Gremien wie das von unserer Stiftung angestoßene Forum Integration in ländlichen Räumen, in dem sich kommunale Vertreter:innen aus ganz Deutschland regelmäßig vernetzen und sich über innovative Konzepte und Projekte austauschen.
Diese Schilderungen von Raphaela Schweiger sind Teil einer Serie aus unserem Förderthema Einwanderungsgesellschaft. 2015 sagte Angela Merkel den berühmten Satz „Wir schaffen das!“, sie meinte damit die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter, die innerhalb weniger Monate nach Deutschland kamen. Wir haben Expert:innen und Partner:innen aus unseren Projekten gefragt: Was haben wir in Deutschland in Sachen Integration geschafft in den vergangenen 10 Jahren?
Alle unsere Themen sind in den letzten Monaten schwieriger geworden. Beim Thema Migration arbeiten wir mit sehr unterschiedlichen politischen Akteur:innen zusammen – und schauen, wie man bestehende Strukturen wie das Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention stabilisieren kann. Durch das neue, rauere Klima geht es nicht mehr nur darum, Räume für Dialog zu schaffen, sondern auch um Safer Spaces.
Und wir fragen uns: Wie verhindert man, dass sich betroffene Gruppen zurückziehen? Wie können sie sich weiterhin einbringen? Das betrifft übrigens nicht nur geflüchtete Menschen, sondern auch ehrenamtlich Engagierte und kommunale Politiker:innen. Vielleicht ist diese geteilte Erfahrung auch eine Schnittstelle, an der etwas Neues entstehen kann.
„In der gesellschaftlichen Debatte ging es in den letzten Jahren oft nur um zwei Extreme: Entweder man ist für offene Grenzen oder für Abschottung. Wir stehen bewusst dazwischen.“
In der gesellschaftlichen Debatte ging es in den letzten Jahren oft nur um zwei Extreme: Entweder man ist für offene Grenzen oder für Abschottung. Wir stehen bewusst dazwischen. Deutschland braucht Zuwanderung – aber sie muss geordnet und gesteuert werden, und es braucht gute Kommunikation und Austausch darüber. Nur so können wir langfristig unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen.
Das Besondere an unserer Stiftungsarbeit ist, dass sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig stattfindet. Einerseits unterstützen wir kommunale Community-Projekte wie in Cottbus-Sandow – einem Stadtteil mit sozialen Konflikten, hohem AfD-Wähleranteil und einer diversen Bevölkerung, darunter viele Geflüchtete. Dort entstehen neue Formen des Miteinanders. Wir fragen uns: Was lässt sich daraus lernen? Was lässt sich auf andere Orte übertragen?
Gleichzeitig begleiten wir internationale Prozesse und fördern etwa den Mayors Migration Council: Dieses Gremium stärkt die Stimme von Städten auf dem internationalen Parkett, etwa wenn es um Lösungen für die jetzt schon spürbaren Folgen von klimabedingter Migration geht. Und irgendwann merkt man: Die Herausforderungen, vor denen Bürgermeister:innen in Deutschland und Ghana stehen, sind gar nicht so verschieden.
Selbst die größten Stiftungen können keine Haushaltslücken schließen – aber wir können Neues nicht nur denken, sondern erproben und weiterentwickeln. Ein Beispiel ist ein Konzept, das wir aus anderen Ländern, etwa Italien, nach Deutschland übertragen: Wie lassen sich Fachkräfte unter Geflüchteten in Drittstaaten identifizieren – und wie kann ihre Integration und der direkte Arbeitsmarktzugang in Deutschland ermöglicht werden? Das schafft eine Win-win-win-Situation. Auch auf europäischer Ebene engagieren wir uns – etwa über die European Philanthropic Initiative for Migration, in der 18 Stiftungen gemeinsam Projekte fördern: besonders dort, wo es bislang wenige philanthropische Strukturen gibt, wie in Mittel- und Osteuropa.
Deutschland ist ein Einwanderungsland – das ist die Realität. Wichtig ist, dass wir uns von dem veränderten politischen Klima und den vielen Krisenherden nicht einschüchtern lassen. Ich sehe es so: Krisen sind unangenehm – aber sie sind auch Möglichkeitsfenster. In solchen Situationen sind Entscheidungsträger:innen in Wirtschaft und Politik häufig offen für Ideen von Akteur:innen, die fünf Schritte vorausdenken können. Und wenn sich dieses Fenster öffnet, dann müssen wir mit unseren Partner:innen da sein.