Ungleichheit reduzieren

So könnte ein Bürgerrat zur Steuergerechtigkeit beitragen

Die meisten Deutschen wünschen sich eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen. Doch wie das aussehen soll, ist oft unklar. Denn die wichtigste Stellschraube, das Steuersystem, ist für viele eine Blackbox. Ein Bürgerrat für Steuergerechtigkeit wäre eine Abhilfe, zeigt eine neue Studie. 

Text
Claudia Hagen
Bilder
André Stiebitz
Datum
13. November 2023
73Prozent der Westdeutschen meinen, dass sich der Staat für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren soll. In Ostdeutschland sind es 81 Prozent. Quelle: bpb

Die meisten Menschen in Deutschland sind unzufrieden mit der Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Bevölkerung. Ein breit geteiltes Ungerechtigkeitsempfinden ist Studien zufolge jedoch ein großer Risikofaktor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Frage nach den richtigen Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit wird allerdings kontrovers diskutiert. Ein Bürgerrat zum Thema Steuern und Gerechtigkeit kann hierbei Abhilfe schaffen, zeigt eine von der Robert Bosch Stiftung geförderte Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit. Co-Autor Christoph Trautvetter erklärt, warum ein breiteres Verständnis für das Thema Steuern die Demokratie stärken kann. 

Zum ersten Mal setzt die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode drei Bürgerrate ein. Warum sollte einer davon das Thema Steuern und Gerechtigkeit behandeln?

Trautvetter: Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Das Gefühl, es gehe bei der Verteilung von wirtschaftlichen Gewinnen nicht gerecht zu, ist zu einem wesentlichen Risikofaktor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geworden. Staatliche Finanzpolitik und das Steuersystem könnten für einen Ausgleich sorgen. Aber die Forschung zeigt auch: Für viele Menschen sind Staatshaushalt und Steuern eine Blackbox. Die öffentliche und politische Debatte darüber ist weder inklusiv noch repräsentativ. Es gibt zwar einen breit geteilten Wunsch nach mehr Gerechtigkeit, aber vielen Menschen fällt es schwer, daraus konkrete Wünsche an die Politik abzuleiten. 

Zur Person

Christoph Trautvetter

Der Politologe und Ökonom ist wissenschaftlicher Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit und Co-Autor der Machbarkeitsstudie für einen Bürgerrat zum Thema Steuern und Gerechtigkeit. 

Warum sehen Sie in einem Bürgerrat eine Antwort auf diese Herausforderungen? Wie müsste ein solcher Bürgerrat aussehen?

Bürgerräte sind besonders gut dafür geeignet, komplexe und kontroverse Fragen zu diskutieren. Die Teilnehmenden der Bürgerräte werden zufällig ausgelost und so zusammengesetzt, dass sie die Bevölkerung möglichst gut repräsentieren. Die Zeit für die Sammlung von Informationen und für den persönlichen Austausch ermöglichen es – vor allem auch im Vergleich zu Volksabstimmungen - die hohen Zugangshürden zum Verständnis des Themas zu überwinden. Damit die Teilnehmenden eigene Perspektiven und Erfahrungen einbringen können, sollte der Bürgerrat grundlegende Verteilungsfragen diskutieren, die uns alle betreffen. Unabhängig davon stellt die Komplexität des Themas besonders hohe Ansprüche an den Prozess. Dafür gibt es vielfältige Best Practice Erfahrungen – vom Verfahren, die Menschen an der Haustür zur Teilnahme einzuladen über die Anhörung von Betroffenen bis hin zu ausgewogener Informationssammlung und Moderation.

„Ungleichheit hat zur Folge, dass sich Menschen aus verschiedenen Einkommensgruppen seltener austauschen. Das ist ein Problem für die Demokratie. Hier kann ein Bürgerrat zu Steuern und Gerechtigkeit ansetzen.“

Zitat vonEllen Ehmke, Senior Expert Ungleichheit, Robert Bosch Stiftung

Steuern und Gerechtigkeit sind ein großes und komplexes Thema. Mit welcher Fragestellung sollte sich der Bürgerrat beschäftigen? Welche Ergebnisse kann er liefern?

Letztlich müsste der Bundestag über die Fragestellung entscheiden. Wir schlagen zwei Fragestellungen vor, die sich grundlegend mit einer gerechten Verteilung von wirtschaftlichen Ressourcen beschäftigen: Zum einen könnte die Frage lauten: „Zwischen Leistung und Respekt: Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?“ Eine Alternative wäre: „Zwischen ökologischer Transformation und sozialem Ausgleich: Wer trägt die Kosten?“. Für diesen Themenbereich der Verteilungsgerechtigkeit stimmte auch die große Mehrheit der Teilnehmenden aus unserem Mini-Bürgerrat. Ein Bürgerrat mit diesen Fragestellungen könnte helfen, tieferliegende Gründe für das weitverbreitete Ungerechtigkeitsempfinden zu beleuchten und bestehende Konflikte zu entschärfen. Er könnte definieren, wieviel Ungleichheit wir als Gesellschaft akzeptieren und wie wir sie effektiv begrenzen. Und damit beispielsweise einen Leitfaden für die sozial ökologische Transformation oder für eine Reform der Besteuerung von Arbeit und Vermögen festlegen.

Bürgerräte sind nicht das einzige Instrument, das Sie in der Machbarkeitstudie empfehlen. Was noch und warum?

Für den recht wahrscheinlichen Fall, dass sich im Bundestag aktuell keine Mehrheit für einen Bürgerrat zum Thema Gerechtigkeit und Steuern findet, schlagen wir vor, das Thema in einem zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrat aufzugreifen. Oder in einem stärker wissenschaftlich geprägten Format ein informiertes Meinungsbild zum Thema aus der Mitte der Gesellschaft zu erarbeiten. Ein Beispiel dafür könnte das in den USA entwickelte Format Deliberative Opinion Poll sein. Außerdem schlagen wir vor, die kontroverse Diskussion über die Erbschaftsteuer durch eine Kombination aus geschützter Debatte zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft mit einem Bürgerbeteiligungsformat zu begleiten. Insgesamt braucht es eine aktive Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu Gerechtigkeit und Steuern, um das Verständnis für das Thema in der Bevölkerung langfristig zu erhöhen. Denn das ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit die Zukunft unserer Demokratie ganz zentral.

Publikation

Ein Bürgerrat zu Gerechtigkeit und Steuern

Zum Download

Eine Machbarkeitsstudie des Netzwerks Steuergerechtigkeit für die Deutsche Bundespolitik.

Zum Download
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