Seit 2014 setzt der „Grand Beauty Salon“ auf die Kraft der Begegnung unterschiedlichster Menschen – beim Haareschneiden oder in der Kosmetikbehandlung. Solche offenen Räume braucht es heute mehr denn je, meint Projektleiterin Frauke Frech.
Wir begrüßen unsere Gäste oft schon auf der Straße: freundlich, einladend, zugewandt – so kommt man gut ins Gespräch. Wer unseren Salon für Schönes, Diversität und Dialog im diversen Stadtteil Leipzig-Grünau betritt, soll erst einmal ankommen. Tee trinken. Sich umschauen. Wir erklären dann, wer heute im Team ist, was möglich ist – Haare schneiden, Make-up, Massage – und fragen: Warum bist du heute da? Was brauchst du? Und was kannst du zurückgeben?
Alles begann 2014 in Augsburg – damals die Stadt mit einer der höchsten Zuwanderungsraten in Deutschland. Ich lebte im Grandhotel Cosmopolis, einer Fusion aus Flüchtlingsunterkunft, Hotel und sozialem Raum. Ich hatte mich schon zuvor mit den intimen Momenten des Haareschneidens beschäftigt – mit der Arbeit an der Oberfläche, die in die Tiefe führt. Dann traf ich dort auf viele Schönheitsexpert:innen aus dem Iran, aus Gambia, Afghanistan – mit unsicherem Aufenthalts- und Arbeitsstatus. Aber im Rahmen der Kunst konnten wir gemeinsam arbeiten – ohne komplizierte Anträge, ohne A1-Sprachtests. Einfach unbürokratisch ins Tun kommen, gemeinsam wirken.
Als Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das!“, war ich wirklich beflügelt. Ich hatte das Gefühl: Der Staat – der deutsche Staat – ist bereit, ,out of the box‘ zu denken und zu handeln. Aber das hat sich leider nicht erfüllt. Sprachkurse wurden später zurückgefahren, Arbeitsmarktzugänge blieben kompliziert, Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung, wie sich die politisch Handelnden die Zukunft vorstellen – in einer alternden Gesellschaft. Ich glaube daran, dass jeder Mensch das Recht auf Migration hat – und dafür setze ich mich ein.
Seit einigen Jahren sind wir in Leipzig aktiv. In einem Stadtteil mit hoher AfD-Wahlquote und hohem Zuwandereranteil – in dem sich nicht alle regelmäßige Friseurbesuche und Kosmetikbehandlungen leisten können. Meine Kolleg:innen kommen vor allem aus Lateinamerika, der Ukraine, dem Nahen Osten und Afghanistan. Manchmal ist ein Besucher nicht zufrieden mit dem Ergebnis des Haarschnitts. Aber wir bieten keine Dienstleistungen an, sondern nennen es Beauty Exchange. Nicht nur, weil unterschiedliche Erwartungen und Schönheitsideale aufeinandertreffen, sondern weil es ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist.
„Wir haben uns lange den Luxus erlaubt, unpolitisch zu sein. Einfach sein, machen und dadurch wirken. Aber wir fragen uns zunehmend, ob diese Positionierung noch reicht.“
Wir haben Stammgäste und Zufallsbesuche, die einfach in den Laden reinstolpern. Manche unserer Besucher:innen bringen Kuchen mit, andere helfen beim Übersetzen oder reparieren mal das Sofa. Nicht immer werden große Fragen verhandelt, es geht ums Erleben eines positiven Beisammenseins. Es gibt genug Negativität in der Welt.
Schönheit – das merke ich in unserer Arbeit täglich – berührt viele Aspekte des Lebens: Es geht um Self-Care, Freiheit, Wertschätzung, Bildung… Und wer Schönheitsbilder verändert, verändert gesellschaftliche Normen. Gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung haben wir zuletzt ein Workbook erarbeitet, mit dem andere von unserer Arbeit lernen, sie nachmachen, adaptieren können. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Idee weiter in der Gesellschaft ausbreitet.
Diese Schilderungen von Frauke Frech sind Teil einer Serie aus unserem Förderthema Einwanderungsgesellschaft. 2015 sagte Angela Merkel den berühmten Satz „Wir schaffen das!“, sie meinte damit die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter, die innerhalb weniger Monate nach Deutschland kamen. Wir haben Expert:innen und Partner:innen aus unseren Projekten gefragt: Was haben wir in Deutschland in Sachen Integration geschafft in diesen 10 Jahren?
Wir haben uns lange den Luxus erlaubt, unpolitisch zu sein. Ein bisschen wie ein Trojanisches Pferd: einfach sein, machen und dadurch wirken. Aber wir fragen uns zunehmend, ob diese Positionierung noch reicht. Vielleicht müssen wir deutlicher werden – wir diskutieren das im Team. Denn eigentlich ist es ja so: Je mehr Menschen in Deutschland sich vernachlässigt fühlen und misstrauisch aufeinander blicken, desto mehr braucht es offene Räume und positive Begegnungen. Und die können eben auch beim Haareschneiden entstehen.
Bei uns arbeiten hauptsächlich Frauen und non-binäre Personen. Zum Glück mussten wir bisher keine Übergriffe erleben. Was wir aber erleben: dass unsere Kolleg:innen auf ihren Migrationsstatus reduziert werden und alltäglichen Rassismus. Den Vibe Shift der vergangenen Jahre spüren wir deutlich. Förderungen brechen weg. Wir selbst haben das Glück, gewachsene Förderpartnerschaften zu haben – auch mit dem Land Sachsen. Aber ich sehe, wie zentral es wäre, bestehende Strukturen langfristig zu sichern. Sonst geht gefährlich viel verloren.