Förderprogramm LEVEL up!

Was Migranten­organisationen in Deutschland bewegen

Rund 14.000 Migrantenorganisationen gibt es in Deutschland. Welche Kraft von ihnen ausgeht, zeigt sich im Programm LEVEL up!. Drei geförderte Organisationen geben Einblicke.

Autorin
Dr. Ceyda Nurtsch
Fotos
Nico Vogelsaenger, Timea Capusneanu, Mathursan Sooriyakumaran
Datum
18. Dezember 2023

Knapp zwei Jahre lang sind in unserem Förderprogramm LEVEL up! 10 Migrantenorganisationen aus dem gesamten Bundesgebiet gefördert worden. Das Ziel: migrantische und postmigrantische Organisationen in entscheidenden Entwicklungsschritten zu unterstützen, ihrem eigenen „level up“. Die geförderten Projekte sind in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen aktiv. Drei Projektleiterinnen berichten von ihrer Arbeit.

 

Größere Safe Spaces für Rom:nja und Sinti:zze in Sachsen

Welchen positiven Einfluss persönlicher Einsatz auf das Leben von anderen Menschen haben kann, spürt Timea Capusneanu tagtäglich bei ihrer Arbeit bei Romano Sumnal e.V., Verband der Roma und Sinti in Sachsen. Die LEVEL up!-Förderung unterstützte ihre Kinder- und Jugendarbeit in Torgau Nordwest, einer Plattenbausiedlung, in der viele Zugewanderte, unter anderem viele Rom:nja aus südeuropäischen EU-Ländern in prekären Verhältnissen leben.

„In dem Stadtteil gibt es einfach nichts, man kann sich das kaum vorstellen.“

Zitat vonTimea Capusneanu vom Romano Sumnal e.V., Verband der Roma und Sinti in Sachsen
Zitat vonTimea Capusneanu vom Romano Sumnal e.V., Verband der Roma und Sinti in Sachsen

„In dem Stadtteil gibt es einfach gar nichts, man kann sich das kaum vorstellen. Nur einen Supermarkt, einen Bäcker, der drei Stunden aufhat, und eine Kneipe“, erzählt die zurückhaltende Frau konzentriert. Die Kinder seien stigmatisiert, Diskriminierung und Rassismus bestimmten ihren Alltag. „Sie hören ständig demütigende Aussagen von Mitschüler:innen, aber auch von Lehrer:innen. Sie haben es tagtäglich mit verbaler Gewalt zu tun. Wenn sie dann körperlich darauf reagieren, gibt‘s natürlich Ärger.“ Es gebe auch viele Drogenprobleme. „Viele sind sehr ambitioniert und erkennen ihre Situation - ihnen ist die ganze gesellschaftliche Sache sehr bewusst und sie würden alles tun, um da rauszukommen. Aber ob sie das schaffen?“

Zwei Kinder stehen an Staffeleien und malen
Malstunde beim Verein Romano Sumnal - der einzigen Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche in Torgau Nordwest

Seit 2022 bieten Timea Capusneanu und ihr Team soziokulturelle Angebote an. Sie wollen die Kinder auffangen, ihnen Alternativen zur Gewalt aufzeigen. So organisieren sie Ausflüge und Ferienprojekte, haben eine Mädchengruppe gegründet und vernetzten sie mit anderen Jugendlichen aus der Umgebung. Dabei sei es vor allem wichtig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, betont Timea Capusneanu. „Ich sehe, dass sich die Jugendlichen über die Jahre immer mehr öffnen, dass es ihnen viel bedeutet, dass sie in unseren Raum kommen können und sich sicher fühlen.“

Oft fühle sich ihre Arbeit an wie ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt sie. „Wenn ich es mit den Behörden zu tun habe, wird meine Motivation immer wieder zertrampelt. Aber die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gibt mir die Motivation, weiterzumachen.“

Jetzt bewerben

LEVEL up!

Ausschreibung und Bewerbung

Starke Migrantenorganisationen stärken die Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit diesem Grundgedanken fördern wir im Programm LEVEL up! Migrantenorganisationen in ihrer Weiterentwicklung. Im Januar 2024 geht das Programm in eine neue Runde. Bis zum 4. Februar 2024 können sich wieder unterschiedlichste Migrantenorganisationen, Organisationen von Menschen mit Rassismuserfahrung und jüdische Organisationen bewerben.

Ausschreibung und Bewerbung

Erst offener Sporttreff, heute anerkannter Jugendhilfe-Träger in Hamburg

Mit Kindern und Jugendlichen, die von der Schule oder Behörden häufig den Stempel „problematisch“ aufgedrückt bekommen, hat auch Nassy Ahmed-Buscher jeden Tag zu tun. Gemeinsam mit ihrem Bruder Kareem gründete sie 2021 in Hamburg St. Pauli die Silbersack Hood Talentförderung, ein gemeinnütziges Unternehmen mit einem großen Sport-, Kultur- und Bildungsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Vielfalt, so ihr Motto, ist eine Chance und eine Ressource.

Das Projekt blickt auf eine rasante Erfolgsgeschichte zurück. Während der Corona-Zeit trainieren Nassy Ahmed-Buschers Brüder täglich auf dem „Sportplatz am Silbersack“. Bald kommen immer mehr Kinder dazu, sie wollen zuschauen, mitmachen. Es dauert nicht lange, dann folgen die ersten Spenden. Mittlerweile bietet die Talentförderung Angebote in den Bereichen Sport, Musik, Kunst und Bildung, sowie, seit neuestem, ein umfassendes Ferienprogramm. Ein Team aus 60 Leuten, Pädagog:innen, Trainer:innen, Kunst- und Musikschaffenden, engagiert sich hier, 55 davon ehrenamtlich. Die LEVEL up!-Förderung finanzierte die Geschäftsführungsstelle.

Gruppe von Jugendlichen auf einem Sportplatz vor einer Wand mit Graffiti
Drei Jugendlicher mit Mikrofon auf einer Bühne
Der Verein Silbersack Hood in Hamburg arbeitet dort, wo die Umstände als "problematisch" gelten - mit einem großen Sportangebot oder Musikprojekten

„Wir haben hier 90 Prozent Migrationsanteil. Viele Familien leben in Armut und sind bildungsfern“, erzählt Nassy Ahmed-Buscher. „Prostitution, Waffen, Drogen, die Kinder werden hier tagtäglich mit dem vollen Programm konfrontiert. Aber auch die Erwachsenen. Deshalb bieten wir in unserem Team auch Leuten einen Platz, etwa als Trainer, die schon aufgegeben hatten, die sonst ausgegrenzt werden, damit sie ihre Expertise und ihre Lebenssicht weitergeben können“, erklärt sie.

Die Silbersack Hood, eng vernetzt mit Schulen und Behörden, ist mittlerweile ein anerkannter Träger in der freien Jugendhilfe. Ein Meilenstein. Denn nun kann sie sich auch auf anderen Ebenen einbringen, etwa in Jugendhilfeausschüssen. „Wir sind viel mehr als nur ein Hilfsprojekt“, sagt Nassy Ahmed-Buscher. „Wir sind eine große bunte Familie und bekommen wahnsinnig viel zurück.“ Der nächste Schritt ist die Erwachsenenbildung. Und ihr großer Traum: Ein eigenes Gym.

Empowerment für tamilische Frauen in NRW

Nithy Shabesan ist eine Frau mit einem warmherzigen Lächeln. Ihr Frauencafé im Verein für tamilische Künstler e.V. liegt im Dortmunder Unionsviertel. Der Verein, den sie gemeinsam mit ihrem Mann ehrenamtlich betreibt, ist eine wichtige Anlaufstelle für die rund 2.000 Tamil:innen, die in Dortmund und Umgebung leben. Er setzt sich dafür ein, dass die tamilische Kultur und Literatur bewahrt, an die nächsten Generationen weitergegeben und in Deutschland bekannter wird.

Das Frauencafé und die Arbeit mit den Frauen, sagt Nithy Shabesan, ist ihr eine besondere Herzensangelegenheit. „Bei unseren Treffen bekommen die Frauen die Möglichkeit, mal etwas anderes, etwas für sich zu machen. Zuhause stehen sie häufig unter Druck, da ist die Hausarbeit und sie können oft nicht ausgelassen sein. In unserem Café wird viel gequatscht, gelacht, wir basteln, machen Handarbeit, tanzen zusammen und machen Sport“, erzählt sie.

Tamilische Frauen in traditionellen Gewändern stehen im Kreis und halten die Hände in die Mitte
Das Frauencafé des Vereins für tamilische Künstler e.V. will Frauen einen eigenen Raum geben - und Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln

Die meisten der Frauen kommen aus Sri Lanka, viele leben schon seit über 20 Jahren in Deutschland. Frauen mit Migrationshintergrund hätten es in der Gesellschaft oft besonders schwer, so Nithy Shabesan. „Oft hindert die Sprachbarriere die Frauen daran, ihre Dinge selbst zu erledigen. Deshalb bieten wir Deutsch-Sprachkurse an. Aber ganz besonders wichtig ist mir die technische Schulung der Frauen. Also, dass sie ihre eigenen Mails schreiben oder ein Fax verschicken, ihre Telefonate selbst führen, Formulare von Ämtern ausfüllen oder allein zum Arzt gehen können“, so die ausgebildete Informatikerin. „Wenn eine Frau allein zum Arzt gehen kann und mich nicht mehr braucht, ist das ein Erfolg für mich.“

Mit dem Projektgeld aus LEVEL up! hat Nithy Shabesan eine zusätzliche Frauenberatung sowie eine Kraft für Büroarbeit und Projektanträge finanziert. Mittlerweile sei die tamilische Frauengemeinschaft eine große Familie geworden, erzählt sie. In der Zukunft würde sie den Frauen gerne noch mehr ermöglichen, sie für die Welt und das Land, in dem sie leben, öffnen. Etwa durch Ausflüge.

Förderprogramm LEVEL up!

Nach dem Prinzip der Co-Creation

Das Programm LEVEL up! war eine Premiere bei der Robert Bosch Stiftung. Erstmals ist ein Förderprogramm in Co-Creation mit Partner:innen entstanden. Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und die "neuen deutschen organisationen – das postmigrantische Netzwerk" (ndo) haben die Details der Förderung mit ausgearbeitet. „TGD und ndo haben deutlich gemacht, dass die Förderung so flexibel wie möglich ausgestaltet sein sollte, wenn sie zur Stärkung kleinerer Initiativen und (post-) migrantischer Organisationen, die ja sehr unterschiedlich sind, beitragen soll“, sagt Volker Nüske, Senior Projektmanager für das Thema Einwanderungsgesellschaft in der Stiftung.

Häufig sind Förderungen zweckgebunden an bestimmte inhaltliche Ausrichtungen und damit verbundene konkrete Maßnahmen. LEVEL up! stellte jedoch die Entwicklungsschritte der geförderten Organisationen in den Mittelpunkt, die wirklich notwendig sind. Die Fördermittel konnten an diesem Ziel ausgerichtet und daher ganz unterschiedlich eingesetzt werden: etwa für eine Geschäftsleitungsstelle, für Bürokräfte, für die Konzept- und Organisationsentwicklung oder das Anmieten von Büro- oder Ausstellungsräumen.

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