Khalid Al Aboud kam 2014 auf der Flucht vor dem Assad-Regime nach Berlin. Hier arbeitet er als Journalist – und beobachtet die Debatte um Integration aus doppelter Perspektive: der persönlichen wie der beruflichen.
Ich war schon einige Monate in Deutschland, als Angela Merkel ihren berühmten Satz sagte: „Wir schaffen das!“ Mein Deutsch war damals noch holprig, aber ich habe sofort gestutzt und mich gefragt: Wer ist eigentlich mit diesem „Wir“ gemeint? Die deutsche Gesellschaft? Nur die Politik? Oder vielleicht auch wir Geflüchteten selbst?
Ich finde: Die Gesellschaft, all die lokalen Initiativen, die unzähligen Ehrenamtlichen vor Ort, sie haben es sehr wohl geschafft. Im Herbst 2015, als Hunderttausende Geflüchtete ankamen, habe ich selbst in einer Berliner Erstaufnahmestelle geholfen und war überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Bürger:innen. Was die Menschen alles gespendet haben: Kleidung, Spielsachen für die Kinder – ein Mann brachte sogar seine Gitarre. In dieser Zeit erschien in der Berliner Boulevardzeitung BZ ein Willkommensbrief des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller auf Arabisch – dazu nützliche Tipps für die Geflüchteten, um sich im Alltag besser zu orientieren. Das hat mir als Journalist natürlich besonders gut gefallen.
In den Monaten und Jahren nach 2015 ist von der Willkommenskultur immer weniger zu spüren gewesen. Rechte Parteien haben früh begonnen, Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry sprach 2016 davon, an der Grenze notfalls auf Flüchtlinge schießen zu lassen. 2018 bezeichnete der damalige Innenminister Horst Seehofer die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“. Und Friedrich Merz sprach 2023 von „kleinen Paschas“ an deutschen Grundschulen. Der Vibe Shift, den wir jetzt leider erleben, hat also eine lange Vorgeschichte.
„Wir sind nicht hier, um etwas zu nehmen – sondern um etwas beizutragen. Wir bedrohen oder stören die deutsche Kultur nicht, wir können sie bereichern.“
Ich denke auch, dass die Integrationspolitik besser hätte organisiert werden können. In den Sprachkursen wurde zum Beispiel kaum auf das unterschiedliche Bildungsniveau der Teilnehmenden Rücksicht genommen – als seien alle Geflüchteten gleich. Wir lesen in den Zeitungen täglich vom Fachkräftemangel, während Zehntausende hochqualifizierte Menschen mit Fluchterfahrung nicht in ihren erlernten Berufen, zum Beispiel als Ärzt:innen oder Ingenieur:innen arbeiten dürfen. Das macht mich wütend. Bei aller Dankbarkeit gegenüber Deutschland sage ich deswegen auch: Die deutsche Politik hat es nicht wirklich geschafft.
Diese Schilderungen von Khalid Al Aboud sind Teil einer Serie aus unseren Förderthema Einwanderungsgesellschaft. 2015 sagte Angela Merkel den berühmten Satz „Wir schaffen das!“, sie meinte damit die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter, die innerhalb weniger Monate nach Deutschland kamen. Aus diesem Anlass haben wir Expert:innen und Partner:innen aus unseren Projekten gefragt: Was haben wir in Deutschland denn geschafft in diesen 10 Jahren?
Es wäre schön, wenn die deutsche Öffentlichkeit, die Medien, uns Geflüchteten besser zuhören würden. Übrigens nicht nur, wenn es um Sprachkurse oder die Arbeitsmarktintegration geht. Und nicht nur, wenn sich wieder einmal die sogenannte Flüchtlingskrise jährt. Wir haben auch etwas zu sagen zum Nahverkehr, zur Wohnungsnot, zum Mindestlohn – zu all den Themen, die das Leben in diesem Land täglich betreffen.
Und es bräuchte auch einen Blick für die Erfolgsgeschichten, für alles, was wir Geflüchtete in den vergangenen Jahren geleistet haben. Wir sind nicht hier, um etwas zu nehmen – sondern um etwas beizutragen. Wir bedrohen oder stören die deutsche Kultur nicht, wir können sie bereichern. Wir wollen kein Bürgergeld, wir wollen arbeiten – und dadurch auch die Zukunft dieses Landes sichern.
Wenn das wirklich gesehen und verstanden würde – dann könnten wir es gemeinsam schaffen.