Auf dem Weltflüchtlingsforum in Genf berät die internationale Staatengemeinschaft darüber, wie sie Geflüchtete besser schützen kann. Naheliegende Lösungen finden dabei bisher zu wenig Berücksichtigung, meint Hannes Einsporn.
Vom 13. bis 15. Dezember 2023 veranstalten die Vereinten Nationen in Genf das Weltflüchtlingsforum (Global Refugee Forum – GRF), die weltweit größte Konferenz zur internationalen Flüchtlingspolitik. 2018 hatte die UN-Generalversammlung den Globalen Pakt für Flüchtlinge (Global Compact on Refugees) verabschiedet und damit einen längst überfälligen Schritt getan, um die Verantwortung für Geflüchtete auf globaler Ebene stärker zu verteilen und deren Situation zu verbessern. Seitdem haben zahlreiche neue Krisen und Konflikte Millionen Menschen zusätzlich in die Flucht getrieben – seien es der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die zunehmend chaotischen Verhältnisse in Venezuela oder der Quasi-Zusammenbruch des Sudans. Fünf Jahre nach Verabschiedung des Pakts soll das Weltflüchtlingsforum jetzt zum zweiten Mal überprüfen, wie dessen Umsetzung vorangeht und neue Ideen und Lösungen für eine bessere internationale Zusammenarbeit aufzeigen. Die Robert Bosch Stiftung setzt sich auf dem Forum mit zahlreichen Partnerorganisationen für konkrete Verbesserungen des internationalen Flüchtlingsschutzes ein.
Derzeit lastet die Verantwortung für Geflüchtete stark auf den Schultern der jeweiligen Nachbarstaaten eines Konflikts. Dort fehlt es den Menschen allzu oft an einer langfristigen Perspektive. In akuten Krisen haben sich außerdem flexible Ansätze bewährt, die Geflüchteten einen größeren Entscheidungsspielraum geben – das hilft den Aufnahmegesellschaften und Geflüchteten gleichermaßen. Ein Beispiel ist die nach dem russischen Angriffskrieg aktivierte Massenzustrom-Richtlinie: Sie ermöglichte es ukrainischen Geflüchteten, schnell und unbürokratisch zu Freunden, Familienangehörigen oder Gastgebern in verschiedene europäische Länder zu reisen – aber auch dorthin, wo sie gute Chancen auf einen Job hatten. Das wiederum verringerte den Druck auf Unterkünfte und Unterstützungsleistungen in den unmittelbaren Grenzstaaten wie beispielsweise Polen.
„Das Weltflüchtlingsforum in Genf sollte Lösungen dafür aufzeigen, wie wir Geflüchteten mehr Optionen bieten und damit auch die Verantwortung international stärker teilen können.“
Im Rahmen der gemeinsam mit dem Migration Policy Institute erarbeiteten Initiative "Jenseits von „territorialem Asyl“ – Wege zu Schutz in einer Welt mit Grenzen" sollen zukunftsweisende Zugangswege zu Schutz identifiziert und evaluiert werden, die für mehr Gerechtigkeit sorgen und zu einer flexibleren, nachhaltigeren Infrastruktur führen.
Ein anderer Ansatz, der Geflüchteten mehr Möglichkeiten und damit mehr Handlungsspielräume gibt, besteht darin, ihnen die Arbeitsaufnahme in anderen Ländern zu erleichtern. Hierfür setzt sich unter anderem die Initiative Global Task Force on Refugee Labor Mobility ein. Denn zahlreiche Menschen auf der Flucht sind gleichzeitig potenzielle Arbeitskräfte. Oft stecken sie jedoch jahrelang in einem Land fest, in dem es ihnen an Perspektiven fehlt. In Kanada oder Großbritannien gibt es bereits Programme zur Arbeitsmigration von Geflüchteten, andere Länder sind dabei, solche Wege zu eröffnen.
Um als Arbeitskraft in ein Land migrieren zu können, sind gültige Ausweispapiere nötig. Weil viele Geflüchtete diese nicht besitzen, könnte ein „Nansen-Pass 2.0“ Abhilfe schaffen, ein allgemein anerkannter Identitätsnachweis für Geflüchtete. Beim Weltflüchtlingsforum werben zahlreiche Akteure bei Staaten um eine Unterstützung dieser Idee.
Ein weiterer Ansatz zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes sind sogenannte „Community Sponsorship“-Programme. Dabei werden Geflüchtete direkt mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft, die Menschen aufnehmen wollen, zusammengebracht. Über diese Form der Vermittlung haben bereits hunderttausende Schutzsuchende aus der Ukraine und Afghanistan ein neues Zuhause gefunden. Um diese Programme auszuweiten, unterstützen wir als Stiftung auf dem Weltflüchtlingsforum die Einrichtung eines „Community Sponsorship Fund“. Mit diesem Fund sollen speziell Menschen, die Geflüchtete aufnehmen wollen, aber in Ländern mit niedrigem Einkommen leben, unterstützt werden.
Oft übersehen wird auch, welche Rolle Städte bei der Verbesserung des Flüchtlingsschutzes einnehmen: In Städten leben die meisten Geflüchteten weltweit. Städte sollten daher mitreden können, wie internationale Flüchtlingspolitik gestaltet wird – und ausreichend unterstützt werden. Der Mayors Migration Council, ein langjähriger Partner der Stiftung, wird auch dieses Jahr mit einer Delegation von Bürgermeister:innen aus verschiedenen Teilen der Welt beim Weltflüchtlingsforum teilnehmen.
Ein grundsätzliches Defizit in der internationalen Flüchtlingspolitik ist, dass Geflüchtete bislang zu wenig Mitspracherecht haben. Weniger als 3 Prozent der Teilnehmenden des letzten Weltflüchtlingsforums waren Geflüchtete. Damit leidet nicht nur die Legitimität des Forums. Auch tragen die Sichtweisen und das Wissen von Geflüchteten entscheidend dazu bei, bessere politische Instrumente und Programme zu entwickeln – für die Aufnahmegesellschaften und für die Flüchtlinge selbst.
Inzwischen gibt es zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, die von Flüchtlingen geführt werden und sich politisch einbringen wollen. Wir setzen uns dafür ein, dass sie neben mehr Mitsprachemöglichkeiten auch mehr finanzielle Unterstützung bekommen. Denn bisher geht nur ein Bruchteil der weltweiten Gelder für Geflüchtete an die von ihnen geführten Organisationen. Und dass, obwohl sie vor Ort wichtige Arbeit leisten und in der Regel am besten wissen, was Geflüchtete brauchen. Zusammen mit Open Society Foundations unterstützt die Robert Bosch Stiftung auf dem Weltflüchtlingsforum den „R-Space“, ein Ort für Diskussionen und Vernetzung zum Thema Leadership und Partizipation von Geflüchteten – entwickelt und gestaltet von verschiedenen flüchtlingsgeführten Organisationen.
Der Mayors Migration Council stärkt und befähigt Städte darin, Migrationspolitik auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene mitzugestalten. Ziel ist es, verschiedene Instrumente der Migrationspolitik besser auf die Realitäten vor Ort abzustimmen, sodass Neuankommende und aufnehmende Kommunen gleichermaßen davon profitieren.