Kurz erklärt

EU-AU-Gipfel 2022: Ein Treffen mit Vorbehalten

Fast fünf Jahre nach dem letzten Gipfel kommen am 17. und 18. Februar erstmals wieder die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen und der Europäischen Union zusammen, um gemeinsam globale Herausforderungen anzugehen. Welche Themen verhandelt werden, welche Ergebnisse zu erwarten sind – und wie sich die Robert Bosch Stiftung rund um dieses wichtige Ereignis einbringt.

Text
Johan Dehoust
Bilder
Europäische Union; privat
Datum
15. Februar 2022

Seit mehr als 20 Jahren tauschen sich Regierende der Afrikanischen Union und der Europäischen Union aus, um eine strategische Partnerschaft aufzubauen. Ziel ist es, bei großen Themen wie Frieden, Sicherheit, Menschenrechten und Handel zusammenzuarbeiten und voneinander zu profitieren. Zuletzt jedoch ist der Austausch auf höchster politischer Ebene ins Stocken geraten. Fast fünf Jahre sind seit dem letzten Gipfeltreffen 2017 in Abidjan, Côte d’Ivoire, vergangen. Ein Grund ist die Corona-Pandemie. Aber nicht nur: Es liegt auch daran, dass sich beide Seiten nicht immer einig waren, welche Schwerpunkte gesetzt und wie sie festgelegt werden sollten.

Auf einem für 2020 geplanten Gipfel wollten die Staatschefs beider Kontinente eine neue Partnerschaft beschließen. Gleichzeitig sollte eine Nachfolgeregelung für das Cotonou-Abkommen ausgehandelt werden, das die Wirtschaftsbeziehungen der EU mit mehr als 70 früheren Kolonien in Afrika, Asien und dem Pazifikraum regelt. Dass nun in Brüssel am 17. und 18. Februar der sechste EU-AU-Gipfel ansteht, hat viel mit dem Engagement Frankreichs zu tun, das momentan die EU-Ratspräsidentschaft innehat und gemeinsam mit Senegal den Vorsitz des Gipfels übernimmt. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich vorgenommen, die „etwas ermüdete“ Beziehung zwischen den Kontinenten neu zu beleben.

Welche Themen stehen im Vordergrund?

Im März 2020, ein halbes Jahr vor dem ursprünglich geplanten Gipfel, schlug die Europäische Kommission unter dem Titel „Auf dem Weg zu einer umfassenden Strategie mit Afrika“ fünf zentrale Partnerschaften für die afrikanisch-europäische Zusammenarbeit vor: für eine grüne Wende und den Zugang zu Energie; für den digitalen Wandel; für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Beschäftigung; für Frieden und Governance sowie eine Partnerschaft für Migration und Mobilität.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde nicht nur der Gipfel verschoben – auch die gegenseitigen Erwartungen und Prioritäten mussten neu sortiert werden. Das Thema, das auf afrikanischer Seite beim diesjährigen Treffen im Fokus steht, ist die Produktion und Verteilung von Corona-Impfstoffen. Der EU ist es besonders wichtig, sich mit den afrikanischen Staaten auf gemeinsame Maßnahmen zum Klimaschutz zu verständigen. Sie will den afrikanischen „Green Deal“, den Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Frühjahr vergangenen Jahres anregte, konkretisieren.

„Im Idealfall kann der EU-AU-Gipfel eine Grundlage dafür schaffen, anders über Migration zu denken und zu sprechen. Migration und Mobilität sollten bei den anderen wichtigen Themen auf der Agenda, wie beispielsweise Klimawandel, digitale Zusammenarbeit oder Stabilität, auch als Chance mitgedacht werden.“

Zitat vonJessica Bither, Senior Expertin für Migration bei der Robert Bosch Stiftung

Migration sollte als Schlüssel zu den wichtigen Themen auf der Agenda mitgedacht werden

Während die großen Fragen, wie die Folgen der Pandemie, hoch auf der Agenda stehen, bleiben andere Themen, wie eine partnerschaftliche Gestaltung von Migration, weit unten auf der Agenda. Jessica Bither, Senior Expertin für Migration: „Im Idealfall kann der EU-AU-Gipfel eine Grundlage dafür schaffen, anders über Migration zu denken und zu sprechen. Migration und Mobilität sollten bei den anderen wichtigen Themen auf der Agenda, wie beispielsweise Klimawandel, digitale Zusammenarbeit oder Stabilität, auch als Chance mitgedacht werden.“ Zentral ist hierbei, nicht nur aus europäischer Sicht zu denken und zu handeln.

Derzeit drängt die EU afrikanische Länder, ihre Grenzen besser zu sichern, um zu verhindern, dass illegale Migrant:innen nach Europa kommen. Dabei werden sie zwar von Europa mit Geld und Ausrüstung versorgt, doch Ziel muss es sein, gemeinsam und konstruktiv Ansätze zu entwickeln, wie eine menschenwürdige Migration aussehen kann. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass es nicht nur um Menschen geht, die sich auf den Weg nach Europa machen. Mindestens genauso wichtig ist die Mobilität innerhalb Afrikas: viele Migrant:innen streben nach einer besseren beruflichen Perspektive innerhalb des Kontinents. Doch auch andere Gründe, wie die Auswirkungen des Klimawandels führen verstärkt dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen. Ende 2018 lebten knapp 6,8 Millionen Geflüchtete und 17,8 Millionen Binnenvertriebene auf dem afrikanischen Kontinent. Im Vergleich dazu waren in Europa laut UNHCR 2,6 Millionen Geflüchtete registriert.

Welche Fortschritte sind von dem Gipfeltreffen zu erwarten?

Wahrscheinlich ist, dass am Ende des Gipfels weitere Maßnahmen beschlossen werden, wie auf dem afrikanischen Kontinent mehr Menschen gegen Covid-19 geimpft werden können. Die EU hat im November 2021 bereits 100 Millionen Impfdosen geliefert, aber um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, reicht das bei Weitem nicht aus. Es sind weitere Investitionen notwendig, und es braucht lokale Produktionsstätten.

Mit einem konkreten Ergebnis ist auch beim Klimaschutz zu rechnen: Es ist zu erwarten, dass ein Investitionspaket zum Green Deal verabschiedet wird. Bei allen anderen Themen sind keine größeren Fortschritte absehbar. Es heißt zwar, dass die EU und die AU eine gemeinsame Vision für 2030 entwickeln und verkünden werden – es wäre allerdings eine Überraschung, wenn diese nicht vage bliebe.

Welche Akzente setzt die Robert Bosch Stiftung rund um den Gipfel?

Die Stiftung arbeitet mit afrikanischen Partner:innen zusammen, um eine klimaresiliente Entwicklung zu unterstützen, und zeigt über Modellprojekte auf, wie eine menschenwürdigere Migration aussehen kann. Ein wichtiges Ziel ist es, afrikanische Perspektiven stärker in regionale und globale Diskurse einzubringen und gemeinsam mit verschiedenen Akteur:innen – von Wissenschaftler:innen über Bürgermeister:innen bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen – Lösungsansätze zu entwickeln.

Mit einigen dieser zukunftsweisenden Projekte und Initiativen wird sie rund um den EU-AU-Gipfel präsent sein. Ein Beispiel ist der europäisch-afrikanische Bürgermeisterdialog:  Seit 2020 setzt sich eine wachsende Zahl an Bürgermeister:innen von beiden Kontinenten für eine gleichberechtigtere Partnerschaft ein und setzt innovative und pragmatische Migrationsansätze in ihren Städten um. Einige von ihnen werden ihre Erfahrungen auf dem Gipfel an Regierende beider Kontinente weitergeben. Sie haben vier zentrale Forderungen formuliert: öffentliche und private Finanzierung für einen grünen und gerechten Wirtschaftsaufschwung, eine gerechte Impfstoffverteilung, sichere und legale Wege für Migration, sowie die Einbindung von Bürgermeister:innen bei allen zukünftigen Gipfeln.

Ein weiteres Beispiel, wie die Stiftung Akteur:innen unterstützt, die sich für die afrikanisch-europäische Partnerschaft einsetzen: die Knowledge Platform for Migration Governance in Africa, ein Zusammenschluss afrikanischer Migrationswissenschaftler:innen. Sie haben im Vorfeld zum Gipfel ein Positionspapier erarbeitet, das wichtige Denkanstöße liefert.

Hoffnungen und Erwartungen

„Afrika und Europa müssen gemeinsame Lösungen für globale Herausforderungen finden, über Pandemien und Klimawandel bis hin zu Migration. Dafür brauchen wir neue Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, und wir brauchen sie schnell.”

„Wir hoffen, dass der EU-AU-Gipfel mehr zivilgesellschaftliche Partnerschaften zwischen den beiden Kontinenten fördern wird, um Migration und menschliche Mobilität in absehbarer Zeit aus verschiedenen Perspektiven besser lenken zu können.” 

„Wir brauchen eine gemeinsame Strategie von AU und der EU, die darauf abzielt, den afrikanischen Kontinent zu entwickeln und gleichzeitig Europa mit qualifizierten Arbeitskräften zu versorgen – und die afrikanische Jugend mit technischen und beruflichen Fähigkeiten auszustatten.”

„Die Beziehungen zwischen der EU und der AU müssen auf Respekt und Ehrlichkeit beruhen. Dafür muss die EU als Normalität akzeptieren. Migration war schon immer ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Geschichte. Das Gleiche gilt für Afrika. Lassen Sie uns entsprechend handeln, indem wir uns auf das menschliche und universelle Recht auf Mobilität konzentrieren.”

„Eine Partnerschaft auf Augenhöhe kann nicht von Staaten allein erreicht werden. Wir brauchen die Stimmen und Aktionen afrikanischer und europäischer Innovatoren, die vor Ort etwas bewirken können: Bürgermeister und lokale Führungskräfte, Unternehmen, Kreative und Aktivisten. Und vor allem muss Europa in Afrika als seinem strategischen Nachbarn investieren, wenn wir einen grünen und gerechten Aufschwung für alle erreichen wollen.”