Reportage
Wie geht Gerechtigkeit?

Diskriminierung, mangelnde Teilhabe, ungleiche Entfaltungsmöglichkeiten: Wie können wir dazu beitragen, in Zukunft allen Menschen ein Leben in Würde und Gleichberechtigung zu ermöglichen? Diese Frage stellte sich in diesem Jahr das internationale Wissenschafts- und Medienfestival Silbersalz in Halle (Saale). Wir haben vor Ort bei einigen Expert:innen nachgefragt.
 

Sabine Fischer | Oktober 2021

Was bedeutet es, von Ungleichheit betroffen zu sein? Wo können wir ansetzen, um sozialer Benachteiligung, Diskriminierung oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten? Und was kann man aus den Versäumnissen der Vergangenheit lernen? Fünf Tage lang erkundete das von der Robert Bosch Stiftung und dem Documentary Campus initiierte Science and Media Festival Silbersalz in diesem Jahr Stellschrauben für eine gerechtere Welt. Das Motto: Ungleichheit. 

Wissenschaft erlebbar machen

„Unsere Generation will etwas verändern. Soziale Ungerechtigkeit treibt uns an. Darin, sie zu überwinden, liegt unsere Aufgabe", sagt die panafrikanische Aktivistin Aya Chebbi auf dem Podium im Dom zu Halle - und bringt damit nicht zuletzt ein Fokusthema des Festivals auf den Punkt. Zum vierten Mal machte das internationale Wissenschafts- und Medienfestival in Halle (Saale) Wissenschaft für alle erlebbar: Laien trafen auf Expert:innen, Wissenschaftler:innen auf Kunstschaffende, Jugendliche auf YouTuber:innen. Gemeinsam gingen sie der Frage nach, welche Rolle die Wissenschaft für uns heute und in Zukunft spielt. Als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bietet das Festival der Wissenschaftskommunikation in ihren verschiedenen Facetten so eine Bühne. Mit zahlreichen Panels, Filmvorführungen und Kunstinstallationen verwandelte die Halle’sche Altstadt sich fünf Tage lang in eine Spielwiese für Ideen und internationalen Austausch.

Viele Ebenen und neue Perspektiven

Durch Vernetzung und Austausch können neue Perspektiven entstehen. Eine der zentralen Fragen dabei ist es, wie sich verschiedene Dimensionen von Ungleichheit gegenseitig beeinflussen. Gleich mehrere Diskussionsrunden des Silbersalz-Festivals setzten sich damit auseinander und legten ihren Fokus dabei zum Beispiel auf das Verhältnis von sozialer Ungleichheit und Machtverhältnissen. Dr. Nico Paech, Postwachstumsökonom und Professor an der Universität Siegen, forderte im Panel „Frisch sortiert! Wirtschaft und Wachstum neu denken“ einen gewissenhafteren Umgang mit übermäßigem Wirtschaftswachstum. Die Auswirkungen dieser Wachstumsketten zu reflektieren und einzufangen, sei ein zentraler Hebel gegen Ungleichheit: „Supply Chains, die sich zweimal um die Welt wickeln lassen, sind nicht beherrschbar“, sagte er. „Dort etwas mehr Anstand hineinzubringen, finde ich sinnvoll. Aber das darf nicht nur zur Gewissensberuhigung stattfinden.“ 

Etwas drastischer setzte sich der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit der Frage auseinander. Bei der Vorstellung seines postkapitalistischen Science-Fiction-Romans „Into another now” hinterfragte er den Fokus aktueller Systeme: „Der Homo oeconomicus ist heute die Basis jeder politischen Mainstream-Ideologie. Aber für ihn zählt nur sein Eigennutz - und so sollte die Welt nicht funktionieren." 

Wir können das System zum Guten verändern

Doch wie kann eine gemeinsame Anstrengung für ein gerechteres Morgen aussehen? Eine Chance liegt darin, fehlende Teilhabemöglichkeiten zu überwinden. Diesem Gedanken ging unter anderem das Panel „An der Schnittstelle von technologischem Wandel und sozialer Gerechtigkeit" nach. Dass technologischer Fortschritt viele Menschen grundlegend ausschließt, müsse in Zukunft korrigiert werden, findet Nakeema Damali Stefflbauer, Gründerin der NGO “Frauenloop”. Sie sieht das Potenzial, einen neuen, gerechteren Weg einzuschlagen: “Ich bin optimistisch, dass wir die Art und Weise, wie Technologie Menschen ausschließt, verändern können. In den frühen 2000er Jahren, als ich mich das erste Mal mit der Branche beschäftigte, haben alle ständig dazugelernt. So sehe ich das immer noch - wir können das System zum Guten verändern." 

Verschiedene Narrative von Ungleichheit zu offenbaren, Schnittstellen aufzuzeigen und ein Bewusstsein für  Dimensionen zu schaffen: Mit diesem Anliegen erreichte das Silbersalz-Festival in diesem Jahr rund 12.000 Teilnehmende. Bei Workshops für Jugendliche, eindrucksvollen Kunstinstallationen in einem umgenutzten Kaufhaus oder audiovisuellen Live-Events erkundeten sie das Thema auf dem Festivalgelände - und gingen anschließend mit neuen Ideen nach Hause.