Feuer am Amazonas: „Die Entwaldungsrate wird wieder steigen“

Die Aufregung um die Brände im Amazonasgebiet ist groß. Steht der brasilianische Regenwald und mit ihm die ganze Erde vor einer ökologischen Katastrophe? Und sind die wirtschaftlichen Interessen Brasiliens überhaupt mit dem Umweltschutz vereinbar? Jan Börner forschte als Robert Bosch Juniorprofessor zur nachhaltigen Nutzung tropischer Regenwälder. Im Interview erklärt er, woher die Feuer kommen, welche Auswirkungen sie haben und warum wir etwas vorsichtiger reagieren sollten.

Robert Bosch Stiftung | August 2019
Rauch im Regenwald
Adobe Stock/ Whitcomberd

Herr Börner, die Brände im Amazonasgebiet haben weltweit große Sorge um den Erhalt des Regenwaldes im Amazonasgebiet ausgelöst. Manche Umweltschützer und Politiker befürchten eine ökologische Katastrophe. Was passiert eigentlich gerade vor Ort?

Das Thema wird bei uns zumeist oberflächlich betrachtet: Feuer vernichtet den Regenwald. Doch die Feuer kommen jedes Jahr während der Trockenzeit im Amazonasgebiet vor. In der gesamten Region werden Flächen durch Brandrodung für die Produktion erschlossen. Viele der Feuer brennen dabei auf bereits genutzten oder ehemals genutzten Flächen, um sie weiter zu bewirtschaften. Da sind zum einen die Kleinbauern, die Mais und Bohnen anbauen. Zum anderen befreien Viehbauern ihre Weiden durch Feuer von der Verbuschung, damit Gras für ihre Rinder nachwächst. Hinzu kommen unkontrollierte Brände, ausgelöst durch Unwetter und Trockenheit.

Warum ist die Situation in diesem Jahr dennoch außergewöhnlich?

Neben den Feuern zum Erhalt und zur Wiedergewinnung bestehender Nutzflächen brennen immer wieder auch benachbarte, bislang unberührte Waldflächen mit ab. Hier spekulieren einige Bauern offenbar darauf, diese später mitnutzen zu dürfen. Zudem liegt die Zahl der registrierten Feuer um 70 bis 80 Prozent über dem Vorjahr – und das, obwohl Brasilien kein besonders trockenes Jahr erlebt. Somit könnten die vermehrten Feuer erste Auswirkungen der veränderten Politik der neuen brasilianischen Regierung sein, die die Zügel deutlich lockerer lässt. Landnutzer trauen sich wieder mehr.

Porträt Jan Börner

Zur Person

Jan Börner ist Professor für Ökonomik nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie an der Universität Bonn. Bis 2017 war er Robert Bosch Juniorprofessor und forschte mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung zur nachhaltigen Nutzung tropischer Regenwälder.

Wie hat sich die Entwaldung im Amazonasgebiet über die vergangenen Jahre entwickelt?

Von 2004 bis 2012 ist die jährlich entwaldete Fläche im Amazonasgebiet von rund 28.000 Quadratkilometern auf 4.000 bis 6.000 Quadratkilometer zurückgegangen. Das lag vor allem daran, dass die damalige Regierung bestehende Umweltschutzgesetze ernst genommen und konsequent durchgesetzt hat. Mit der wirtschaftlichen Krise in Brasilien wurden die Mittel für den Umweltschutz ab 2012 gekürzt und die Entwaldungsraten sind seitdem wieder leicht gestiegen.

Können Sie aus den aktuellen Bränden schon auf die entwaldete Fläche für das laufende Jahr schließen?

Nein, neue verlässliche Daten zur entwaldeten Fläche werden von den brasilianischen Behörden in der Regel erst im Herbst veröffentlicht. Die Zunahme der Feuer ist dennoch beunruhigend und ich erwarte, dass die Entwaldungsrate wieder steigen wird.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Sie haben Ansätze zur nachhaltigen Nutzung tropischer Regenwälder erforscht. Kann ein Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen und dem Umweltschutz überhaupt gelingen?

Unsere eigenen Ergebnisse zu Brasilien und viele weitere Studien in anderen Ländern mit Tropenwald zeigen, dass Waldschutz funktionieren kann. Erfahrungen aus einzelnen Ländern sind allerdings selten übertragbar, weil die Rahmenbedingungen in jedem Land unterschiedlich sind. Eins ist aber klar: Ohne politischen Willen ist eine nachhaltige Nutzung des Regenwaldes kaum denkbar, denn für die Bauern ist es oft günstiger, neue Flächen in Betrieb zu nehmen statt in die Bodenfruchtbarkeit bestehender Flächen zu investieren. Eine ernst gemeinte Umweltpolitik und konsequent angewendete Umweltgesetze sind Grundlage für einen ressourcenschonenden Umgang mit dem Regenwald und oft Voraussetzung dafür, dass neue Technologien und Produktionsmethoden zur nachhaltigen Intensivierung der Landwirtschaft beitragen.

Wie beurteilen Sie die internationalen Reaktionen auf die Brände?

Das Gespräch mit Ländern, deren tropischer Regenwald bedroht ist, muss auf Augenhöhe geführt werden: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Vergleichen wir beispielsweise die jährlichen pro Kopf Emissionen von klimawirksamen Gasen in Deutschland mit Brasilien, kommen wir bei uns auf fast doppelt so hohe Werte. Zu sagen: Wenn es brennt, dann zahlen wir nicht mehr für den Umweltschutz in Brasilien, scheint mir eine gefährliche Bevormundung zu sein, wenn es dafür keine vertragliche Grundlage gibt. Kein europäisches Land würde sich das gefallen lassen. Der Amazonas ist kein öffentliches Gut, sondern gehört größtenteils zu Brasilien. Auch dort gibt es zunehmend Menschen und Organisationen, die Regenwaldschutz einfordern. Diese gilt es auch in der Zukunft durch die uns zur Verfügung stehenden Mittel zu unterstützen.

Welche Möglichkeiten bleiben uns aus europäischer Sicht, um nicht tatenlos zusehen zu müssen?

Es sollte versucht werden, den Dialog in Sachen Umwelt- und Regenwaldschutz mit der brasilianischen Regierung wo immer möglich aufrechtzuerhalten. Je mehr Handelspartner von Brasilien dabei dieselbe Sprache sprechen desto besser. Es ist aus meiner Sicht nicht nur aus Umweltgesichtspunkten legitim, einzufordern, dass Brasilien bei der Produktion international gehandelter Agrargüter seine eigene Umweltgesetzgebung einhält. Ob und wann dies der Fall ist, lässt sich bei der aktuell steigenden Transparenz in den Wertschöpfungsketten immer besser nachweisen. In den Verhandlungen mit dem Mercosur könnte die Europäische Union diese Argumentationslinie strategischer einsetzen.

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