Landwirtschaft und Klimawandel

„Wir werden deutlich weniger tierische Produkte essen müssen“

Wetterextreme wie Dürren und Hitzewellen als Folge der Klimakrise werden auch in Deutschland häufiger auftreten. Wie das die Landwirtschaft verändern wird und wieso es dabei keine Verlierer geben muss, erklären die Direktor:innen des von der Robert Bosch Stiftung geförderten neuen Think Tanks Agora Agrar.

Text
Julia Rommel
Bilder
stock.adobe.com/Lars Johansson; Agora Agrar
Datum
18. Januar 2023

Herr Grethe, im Winter ist davon meist wenig zu spüren, doch seit 2017 herrscht in Deutschland weitgehend Dürre. Das ist eine unmittelbare Folge des Klimawandels. Wie stellen sich die Bäuerinnen und Bauern darauf ein? 

Harald Grethe: Für viele Landwirtinnen und Landwirte waren die Dürren der letzten Jahre eine große Belastung. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden Wetterextreme wie Dürren und Hitzewellen als Folge der Klimakrise auch in Deutschland häufiger auftreten. Die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion sind schon jetzt regional und je nach angebauter Frucht unterschiedlich. Insbesondere Gebiete mit wenig Niederschlag werden beeinträchtigt sein. Die Landwirtschaft steht daher vor großen Herausforderungen, sich anzupassen. Das betrifft die gesamten Anbausysteme: Wir müssen Fruchtfolgen anpassen, die Humus- und Bodenbewirtschaftung standortgerecht gestalten, Investitionen in Agroforstsysteme – eine Integration von Bäumen in die Landwirtschaft – verstärken, aber auch technische Lösungen wie die Züchtung trockenheitstoleranter Sorten voranbringen. 

Prof. Dr. Harald Grethe

Der Direktor des Thinktanks Agora Agrar ist zugleich Professor für internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2012 bis 2020 war er zudem Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBAE).

Frau Chemnitz, als wäre das nicht genug, fordert der Klimawandel die Landwirte auch auf anderer Ebene. Denn damit Deutschland sein Ziel erreicht, im Jahr 2045 klimaneutral zu sein, müssen die Treibhausgasemissionen in allen Wirtschaftsbereichen drastisch sinken. Was heißt das für die Land- und Forstwirtschaft und den Ernährungssektor? 

Christine Chemnitz: Unsere Ernährung wird sich verändern. Für einen ambitionierten Klimaschutz müssen wir als Gesellschaft im Jahr 2045 deutlich weniger tierische Produkte essen. Wir gehen bereits in diese Richtung, denn seit einigen Jahren sinkt der Fleischkonsum. Das ist gut, aber nicht ausreichend. Aktuell verzehrt eine Person in Deutschland durchschnittlich etwa 55 Kilo Fleisch pro Jahr. In einem klimaneutralen Deutschland werden wir voraussichtlich weniger als die Hälfte davon konsumieren. Parallel dazu sollte ein Umbau der Nutztierhaltung erfolgen. Wir sollten weniger Tiere halten, und diese unter besseren Bedingungen. Ein höheres Tierwohlniveau aber können Landwirtinnen und Landwirte nicht ohne eine faire Entlohnung sicherstellen. Das heißt, als Gesellschaft müssen wir mit öffentlichen Geldern das öffentlich gewünschte Gut Tierwohl „kaufen”. Außerdem brauchen wir große Investitionen in den Wald. Zum Beispiel müssen Fichten- und Kiefernwälder zu Mischwäldern umgebaut werden, um resilienter gegen Dürren und Schädlinge zu werden. Nur so können sie nachhaltig und verlässlich Kohlenstoff binden und zum Klimaschutz beitragen. 

Dr. Christine Chemnitz

Die promovierte Argrarökonomin Christine Chemnitz studierte Agrarwissenschaften in Göttingen und Berlin. Sie leitete über 15 Jahre das Referat internationale Agrar- und Ernährungspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung, ehe sie zusammen mit Harald Grethe den Thinktank Agorar Agrar ins Leben rief. 

Eine Reduktion der Treibhausgase allein wird aber nicht genügen…

Christine Chemnitz: Bei Agora Agrar widmen wir uns deshalb der zentralen Frage, wie wir unser knappes Land nutzen. Denn Land hat vielfältige Funktionen: Wir brauchen es unter anderem, um Lebensmittel zu produzieren, um Biodiversität zu schützen, um Kohlenstoff zu speichern und um Biomasse zu produzieren. Eine der großen politischen Steuerungsfragen ist deshalb: Wie nutzen wir Land in einer klimaneutralen Gesellschaft gerecht und nachhaltig? Im Moment verwenden wir viel Fläche für den Anbau von Futtermitteln. Wenn wir deutlich weniger Tiere halten und deutlich weniger tierische Produkte konsumieren, wird viel Fläche für andere Nutzungen frei.

Agora_Agrar-2023-Beitragsbild

Kluge Kombination: Auf dieser Fläche werden erneuerbare Energien und landwirtschaftliche Erzeugnisse produziert.

Harald Grethe:  Zudem brauchen wir eine langfristige politische Strategie zur Wiedervernässung der Moore. Zwar sind nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland trockengelegte Moore. Diese tragen aber fast 40 Prozent zu den Emissionen von Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Bodennutzung bei, weil ein trockengelegter Moorboden Kohlenstoff in die Luft abgibt. Im Jahr 2045 sollte deshalb ein großer Teil der Moore wiedervernässt sein. Das ist eine große Herausforderung, denn es bedeutet einen erheblichen Einschnitt für diejenigen, die diese Flächen heute nutzen. Die heutigen Formen von Ackerbau, Milchproduktion und Weidehaltung werden auf den allermeisten Flächen nicht mehr möglich sein. Stattdessen müssen Möglichkeiten für eine Nutzung der nassen Moore entwickelt und umgesetzt werden. Hierfür kommen z.B. so genannte Paludikulturen in Frage, also der Anbau von Schilf und Rohrkolben auf Niedermoor und Torfmoos auf Hochmoor. Dafür braucht es aber industrielle Abnehmer, die die Biomasse weiterverarbeiten. Insbesondere die Nutzung etwa als Bau- und Dämmstoffe sowie als Verpackungsmaterialien wird wirtschaftlich interessant werden. Auch Photovoltaik birgt große Einkommenschancen und leistet einen doppelten Klimaschutzbeitrag: Einerseits vermeiden wir damit die hohen Emissionen aus der trockenen Moornutzung und gleichzeitig tragen wir zum Ausbau der Solarenergie bei.

In den vergangenen Jahrhunderten war es gesellschaftlich erwünscht, die Moore trockenzulegen. Das hat einen großen Beitrag zur Ernährungssicherheit geleistet. Heute kann die Wiedervernässung einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Zitat vonHarald Grethe, Direktor Agora Agrar

Das bedeutet im Zweifelsfall für den Landwirt, dessen Land wiedervernässt werden soll, ein Ende seiner Milchviehhaltung. Frau Chemnitz, welche Weichen muss die Politik stellen, damit es bei der Transformation keine Verlierer gibt? 

Christine Chemnitz: Langfristige und verlässliche Strategien sind von zentraler Bedeutung. Landwirtinnen und Landwirte brauchen Investitionssicherheit. Deswegen ist es gerade in Bezug auf die Moore so wichtig, jetzt loszulegen und hierfür ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel für 2045 zu formulieren. Es geht darum, eine andere Form der Nutzung für die Landwirt:innen zu finden. Dafür muss die Politik jetzt in neue Wertschöpfungsketten investieren; muss prüfen, wo es Forschung und Investitionen braucht. Wandel ist immer herausfordernd. Je besser dieser Wandel politisch gestaltet wird, je inklusiver die Debatten stattfinden, desto weniger Verliererinnen und Verlierer wird es geben. 

Viele Menschen haben heute keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft. Sie kennen keine Bauern und wissen nicht, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Für einen solch grundlegenden Umbau, wie Sie ihn geschildert haben, braucht es die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit. Wie lässt sich die organisieren?

Harald Grethe: Viele junge Menschen haben ein sehr großes Interesse an gesunder Ernährung, Tierwohl und Klimaschutz. Umfragen zeigen, dass die Unterstützung für die Landwirtschaft in der Bevölkerung grundsätzlich groß ist. Darauf müssen wir aufbauen. Landwirtschaft muss sich stärker an gesellschaftlichen Zielen ausrichten und wir müssen besser erklären, was die Landwirtinnen und Landwirte leisten. Sie produzieren viel mehr als nur Lebensmittel. Diese „neuen“ Leistungen der Landwirtschaft, zum Beispiel mehr Tierwohl, den Schutz des Klimas und der Biodiversität, gibt es nicht umsonst – wir müssen sie bezahlen. Landwirtinnen und Landwirte können diese Leistungen nur dann erbringen, wenn sie damit ein angemessenes Einkommen erzielen. Mein Eindruck ist, dass die Gesellschaft das zunehmend versteht. Der große Handlungsstau liegt in der Politik.

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Zum Projekt

Agora Agrar ist ein unabhängiger, gemeinnütziger Thinktank für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft mit Sitz in Berlin. Er zeigt wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Wege zu einer klimaschonenden Landnutzung und Ernährung auf. Mit seiner Arbeit will er dazu beitragen, dass die demokratisch ausgehandelten Nachhaltigkeitsziele in Deutschland und Europa erreicht werden und unterstützt gesellschaftliche Aushandlungsprozesse für die notwendige Transformation. Gefördert wird der Thinktank von mehreren privaten Stiftungen und Organisationen, neben der Robert Bosch Stiftung sind das die ALV Foundation, die Bundesstiftung Umwelt, European Climate Foundation, Stiftung Mercator, Porticus und die Umweltstiftung Michael Otto.

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