Landnutzung und Ernährung in Europa sollen bis 2050 klimaneutral werden, das hat die Europäische Kommission in ihrem „Green Deal“ angekündigt. Weshalb es dazu den fundamentalen Umbau des Agrarsektors braucht, und was die neu gegründete „Agora Agrar. Der Think Tank für Ernährung, Landwirtschaft und Forst“ dazu beitragen kann, erklärt Ottilie Bälz, Bereichsleiterin Globale Fragen, im Interview.
Ottilie Bälz: Die Landwirtschaft in Deutschland und Europa trägt maßgeblich zur Emission klimaschädlicher Gase und damit zum Klimawandel bei. Laut Weltklimarat (IPCC) waren in Europa im vergangenen Jahr 10 Prozent der Emissionen auf die Landwirtschaft zurückzuführen: auf Methan aus der Tierhaltung sowie Lachgase aus landwirtschaftlich genutzten Böden - eine Folge der Düngung mit Stickstoff. Die intensivierte Landwirtschaft hat zudem zu einer Abnahme der biologischen Vielfalt beigetragen. Gleichzeitig sind Land- und Forstwirtschaft von den Folgen des Klimawandels unmittelbar betroffen, zum Beispiel durch Starkregen und Dürren. Das heißt: Es ist höchste Zeit zu handeln! Um aber die notwendigen Reformen in den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft und Forst anzustoßen und ihre politische Umsetzung voranzutreiben, brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Dazu haben wir die Agora Agrar zusammen mit anderen europäischen Stiftungen ins Leben gerufen.
Womit wird sie sich beschäftigen?
Auf Basis aktueller Forschung wird sie konkrete Vorschläge für Politikmaßnahmen in Deutschland und auf EU-Ebene erarbeiten und darauf hinwirken, Politiker, Landwirte, Industrie und Gesellschaft davon zu überzeugen, in die „Landwende“ zu investieren. Indem sie die verschiedenen Interessengruppen zusammenbringt, will sie potenzielle Interessenkonflikte adressieren und Unterstützung für Reformen organisieren. Außerdem will sie zu einer informierten und kritischen öffentlichen Debatte über die Zukunft unserer Landnutzung und Ernährung beitragen.
Warum unterstützt die Stiftung die Institution?
Die Europäische Kommission hat mit dem „Green Deal“, der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie ambitionierte Pläne für einen gerechten Übergang zu einer klimaneutralen und naturfreundlichen Landnutzung und Ernährung vorgelegt. Aber es ist noch nicht gelungen, diese Pläne in die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) als den zentralen finanziellen und administrativen Rahmen auf EU-Ebene zu übersetzen. Die Gründe dafür liegen u.a. in den gegensätzlichen Interessen verschiedener Akteursgruppen, aber auch im Dissenz zwischen EU-Mitgliedsstaaten.
In den nächsten Jahren wird es entscheidend darauf ankommen, in den Mitgliedsstaaten die nationalen Landwirtschaftspläne klimafreundlich auszugestalten und einen Konsens darüber herzustellen, dass diese „Landwende“ dringend notwendig ist. Nur auf dieser Grundlage kann es gelingen, mit der nächsten Reform der GAP 2027 eine die politischen Rahmenbedingungen auch auf EU-Ebene entsprechend zu verändern. Wir sind überzeugt, dass die Agora Agrar mit der Verbindung von aktueller Forschung, strategischer Kommunikation und partizipativen Dialogformaten dazu einen wesentlichen Beitrag leisten kann.
Eine zusätzliche Motivation war für uns, dass der neue Think Tank von einem Konsortium aus verschiedenen deutschen und europäischen Stiftungen getragen wird. Durch die Finanzierung ausschließlich mit philanthropischen Mitteln ist die inhaltliche und politische Unabhängigkeit der Agora Agrar gesichert.
Die Agora Agrar dockt an die Berliner Thinktank-Familie „Agora“ an. Die Thinktanks Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Agora Industrie haben sich innerhalb kurzer Zeit in der Fachwelt, in Industrie und Politik einen exzellenten Ruf erarbeitet und begleiten sehr erfolgreich den Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass sich die Agora Agrar in fünf Jahren entsprechend als der Think Tank für Ernährung, Landwirtschaft und Forst in Deutschland etabliert hat und von verschiedenen Interessengruppen als Akteur anerkannt ist, der eine sachliche, wissenschaftlich fundierte Diskussion über die Transformation in diesen Sektoren vorantreibt. Mit zwei hervorragend vernetzten Fachleuten an der Spitze, den Agrarwissenschaftlern Prof. Harald Grethe und Dr. Christine Chemnitz, wurden dafür ideale Voraussetzungen geschaffen. Ich hoffe, dass es gelingt, einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen über die Notwendigkeit für politische Reformen – und dass erste Ergebnisse in Deutschland sichtbar sind und auch auf EU-Ebene in die GAP-Reform einfließen.