Deutsches Schulbarometer

Immer mehr Kinder sorgen sich um finanzielle Situation ihrer Familie

Lehrkräfte beobachten immer häufiger Anzeichen von Kinderarmut bei ihren Schüler:innen. Das geht aus der aktuellen Befragung für das Deutsche Schulbarometer hervor. Das Verhalten der Schüler:innen und die hohe Arbeitsbelastung sind aktuell die größten Herausforderungen für Lehrkräfte. 

Text
Robert Bosch Stiftung
Bilder
Huyen Truong
Datum
20. September 2023

Schule ist der Ort, wo sich die Zukunft der Kinder und Jugendlichen mitentscheidet. Wie ist die aktuelle Situation an deutschen Schulen? Vor welchen Herausforderungen stehen die Lehrkräfte? Zu diesen und anderen Fragen liefert die repräsentative Erhebung des Deutsches Schulbarometers Antworten. Befragt wurden mehr als 1000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. 

Zum ersten Mal hat das Deutsche Schulbarometer für die aktuelle Ausgabe Lehrkräfte auch nach Anzeichen für Kinderarmut bei ihren Schüler:innen gefragt. Im Ergebnis nehmen die Lehrkräfte in allen Bevölkerungsschichten erkennbare Indizien für Kinderarmut wahr.  Das wird in sozial benachteiligten Lagen besonders deutlich. Neben den Sorgen um die finanzielle Situation der Eltern beobachtet jede dritte Lehrkraft, dass Schüler:innen häufiger Schulmaterialien fehlen und sie ohne Frühstück in die Schule kommen. Auch besuchen weniger Kinder und Jugendliche außerschulische Lernorte wie Musikschulen und Vereine. Sie nehmen auch seltener an mehrtägigen Schulausflügen teil. 

Schulbarometer_2_23_Kinderarmut

„Arme Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden“, sagt Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. „Fehlendes Geld im Elternhaus verhindert die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das hat auch Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit.“

„Neben einer bedarfsdeckenden Kindergrundsicherung brauchen wir deshalb eine armutssensible Haltung der Pädagog:innen.“ 

Zitat vonDr. Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung der Robert Bosch Stiftung

Pädagog:innen müssten nicht nur in der Lage sein, die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche zu erkennen, sondern auch Stigmatisierungen entgegenwirken.

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Deutsches Schulbarometer

Factsheet zum Download

Die Robert Bosch Stiftung lässt seit 2019 für das Deutsche Schulbarometer regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen. Für die aktuelle Ausgabe wurden im Juni 2023 durch das Meinungsforschungsinstitut forsa 1.032 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen befragt.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der aktuellen Befragung sowie Grafiken stehen Ihnen zum Download zur Verfügung. 

Mehr über das Deutsche Schulbarometer sowie die Ergebnisse früherer Befragungen finden Sie auf der Projektseite sowie auf dem Deutschen Schulportal

Factsheet zum Download

Die größte Herausforderung ist das Verhalten der Schüler:innen

Als größte Herausforderung nennen die befragten Lehrkräfte zum ersten Mal das Verhalten ihrer Schüler:innen. Dieser Wert ist im Vergleich zu letzten Befragung im Jahr 2022 deutlich gestiegen. In die Kategorie fallen Verhaltensauffälligkeiten, Lernwille und Disziplin der Schüler:innen sowie Aggressivität, Gewalt und Mobbing. Diese Einschätzung wird leicht überdurchschnittlich von Lehrkräften an Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie an sogenannten Förder- und Sonderschulen geteilt. Aber auch mehr als ein Viertel der Lehrkräfte an Grundschulen sieht das Verhalten der noch sehr jungen Lernenden bereits als größte Herausforderung an. Unterschiede hinsichtlich der sozialen Lage der Schulen bestehen nicht. An zweiter Stelle nennen die Lehrkräfte Zeitmangel und ihre eigene Arbeitsbelastung. Letztere ist für Lehrkräfte an Gymnasium aktuell sogar die größte Herausforderung.  

Schulbarometer_2_23_hHerausforderungen

Jede dritte Lehrkraft beobachtet Ängste

Befragt nach den Verhaltensweisen ihrer Schüler:innen, nennen Lehrkräfte besonders häufig Konzentrationsprobleme. Außerdem beobachten Lehrkräfte eine übermäßige Onlinenutzung, die auch schon zwei Drittel der Grundschullehrkräfte bei ihren Schüler:innen sehen. Fast jeder dritte Lehrer nimmt auch Ängste bei Kindern und Jugendlichen wahr. Sie sind bei Kindern und Jugendlichen aus Familien in sozial schwierigen Lagen besonders ausgeprägt. Motivationsprobleme und aggressives Verhalten sind dagegen im Vergleich zu den Erhebungen während der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Absentismus ist vor allem an Berufsschulen ein großes Problem.  

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Zwei Drittel der Teilzeit-Lehrkräfte sind unter bestimmten Voraussetzungen bereit, aufzustocken

Als eine Maßnahme gegen den Lehrkräftemangel wird derzeit die Aufstockung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten diskutiert. Die Befragung ergab, dass aktuell rund 40 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit arbeiten. Doch wollen oder können die Lehrkräfte ihr Unterrichtsdeputat erhöhen? Die gute Nachricht: Zwei Drittel der Lehrkräfte in Teilzeit können sich vorstellen, aufzustocken – das aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. So fordern sie unter anderem die Umstellung des Deputatsmodells auf ein Arbeitszeitmodell, das die tatsächliche Arbeitszeit abbildet und auch Aufgaben außerhalb des Unterrichts berücksichtigt. 

„In unserem aktuellen Schulsystem wird der Lehrkräftemangel nicht dadurch behoben, dass Teilzeit-Lehrkräfte mehr arbeiten“, sagt Dagmar Wolf. „Der Arbeitsplatz Schule muss wieder attraktiver werden. Dazu gehört, die Sorgen der Lehrkräfte ernst zu nehmen und auf ihre Reformforderungen einzugehen. Eine umfassende Änderung des Arbeitszeitmodells kann Druck aus dem System nehmen und wäre ein erster Schritt zu einem zukunftsfähigen Bildungssystem.“

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In Bezug auf Inklusion zeigt sich ein desaströses Bild

Die Situation in Deutschland in Bezug auf die Entwicklung eines inklusiven Bildungswesens ist alarmierend: Zwar hat das Thema Inklusion eine hohe praktische Relevanz, denn an etwa 80 Prozent der Schulen werden Kinder mit Förderbedarf unterrichtet. Dennoch glauben drei Viertel der Lehrkräfte, dass Schüler:innen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf an Sonder- und Förderschulen besser gefördert werden können. Ein möglicher Grund hierfür könnte sein, dass drei Viertel der Lehrkräfte das Fehlen von multiprofessionellen Fachkräften für eine adäquate inklusive Beschulung an ihrer Schule beklagen. Der Aussage „Ich fühle mich bei der Umsetzung von Inklusion im schulischen Alltag häufig überfordert“ stimmen mehr als drei Viertel der Lehrkräfte an Grundschulen und an Gymnasien zu. Auch rund die Hälfte der Lehrkräfte an Förderschulen fühlt sich im Alltag häufig überfordert. Und nur etwa jede zehnte Fachkraft (9 %) wurde im Studium ausreichend für einen inklusiven Unterricht vorbereitet – bei Quereinsteiger:innen sind es 17 %.

Differenziert nach Regionen, ergab sich ein unterschieldiches Bild: Während in Ost- und Norddeutschland überdurchschnittlich häufig Schüler:innen mit sonderpädagogischem Bedarf (84 % bzw. 85 %) beschult werden, sind es hingegen in Bayern (70 %) und Baden-Württemberg (60 %) weit weniger. Gleichzeitig schätzen sich Lehrkräfte in Bundesländern mit überdurchschnittlicher Inklusionsquote selbst auch eher als erfahren in der inklusiven Beschulung ein. Was sich deutlich zeigt: Je erfahrener und somit kompetenter die Lehrkräfte in der inklusiven Beschulung sind, desto positiver sind sie auch gegenüber einer inklusiven Beschulung eingestellt – auch wenn die Einstellungen zu Inklusion der Lehrkräfte unverändert ambivalent sind.

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