Ghanas Metropole Accra muss sich zwei Herausforderungen gleichzeitig stellen: den Auswirkungen des Klimawandels und einer steigenden Zahl von Neuzuwanderer:innen, die in der Stadt ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Wie bewältigt sie diese Aufgabe?
Wenn dunkle Wolken über dem Golf von Guinea aufziehen, überkommt Matilda Aduuni ein bedrohliches Gefühl. Nicht etwa, weil die 24-Jährige Angst hat, nass zu werden, oder dass der Sturm sie von ihrer Arbeit als Näherin abhält. Für Matilda Aduuni könnte ein Unwetter zerstörerische Folgen haben. Denn sie lebt mit ihrem Mann in einer provisorischen Holzhütte in Glefe, einer dicht besiedelten informellen Siedlung in der Nähe von Accra. Glefe liegt zwischen einer Lagune und dem Meer und ist durch Überschwemmungen und Erosion gefährdet. Auch an diesem Tag ist Aduuni nach einem heftigen Regenguss damit beschäftigt, das Wasser aufzuwischen, das wieder einmal in ihre Hütte geflossen ist. Die Unwetterfolgen waren aber auch schon mal schlimmer: „Beim letzten Wolkenbruch hat der Sturm das Dach weggerissen und wir mussten es neu anbringen.“
Vor zwei Jahren zog Matilda Aduuni aus dem Nordosten Ghanas nach Accra, weil es in ihrer Heimatstadt aussichtslos war, nach Abschluss der Schneider-Ausbildung ein eigenes Modegeschäft zu eröffnen. Ihre Eltern sind Kleinbauern und konnten ihr keine Nähmaschine kaufen. Mit der Arbeit in den örtlichen Modeläden verdiente sie nur sehr wenig Geld: „Ich kam nach Accra, um eine bessere Arbeit zu finden.“ Matilda Aduuni träumt davon, einen eigenen Laden zu eröffnen und ihre Schneiderarbeiten zu höheren Preisen zu verkaufen. Schon jetzt kann sie ihrer Familie jeden Monat etwas Geld schicken, das sie mit dem Nähen verdient – „manchmal 100 Cedi (umgerechnet 12,50 Euro), manchmal 200 Cedi (25 Euro)“.
Wie Matilda Aduuni ziehen viele andere Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in die Großstadt – und landen in einkommensschwachen, informellen Stadtvierteln wie Glefe, das durch den Bebu-See vom Großraum Accra, der Metropolitan Assembly (AMA), getrennt ist. Hier gibt es keine befestigten Straßen, keinen Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen und keine Kanalisation. Das Wasser im Bebu-See ist grünlich, auf der Oberfläche treibt bunter Plastikmüll. „Wir haben hier einen Schutzwall, aber manchmal, wenn es stark regnet, kommt das Wasser näher und näher“, sagt sie.
Matilda Aduuni, 24 Jahre, wanderte im Dezember 2021 wegen fehlender Jobaussichten aus dem Norden Ghanas in die informelle Siedlung Glefe in Accra aus, wo sie jetzt eine Schneiderei betreibt.
Informelle Viertel wie Glefe gibt es viele in Accra. Laut der Volkszählung des ghanaischen Statistikamts von 2021 leben mehr als fünf Millionen Menschen in der Stadt. Die Metropole ist der Regierungssitz mit vielen zugeordneten Behörden, hier gibt es Bildungseinrichtungen und Unternehmen, in der Stadt wohnen viele indigene Gemeinschaften genauso wie Menschen, die nach Accra zugewandert sind. Laut der letzten Volks- und Wohnungszählung (2010) leben in der Greater Accra Metropolitan Area insgesamt 778.267 Menschen, die außerhalb des Großraums geboren wurden – das ist knapp jede:r sechste Einwohner:in.
In letzter Zeit haben die schwierigen klimatischen Bedingungen in Ghana immer mehr Menschen aus den ländlichen Gebieten in die Städte getrieben. Nach Angaben der AMA pendeln jeden Tag etwa zwei Millionen Menschen aus verschiedenen sozioökonomischen Gründen nach Accra – und nicht alle verlassen die Stadt am Abend wieder. Manche von ihnen landen in einem der elf informellen Viertel der Stadt und beginnen dort ihr „Accra Life“.
Starke Regenfälle haben die Siedlung Glefe überschwemmt.
Die größte informelle Siedlung in Accra heißt Old Fadama oder Agbogbloshie. Sie erstreckt sich über 1,6 Hektar auf einem Feuchtgebiet kurz vor der Stadtgrenze und beherbergt etwa 80.000 Ghanaer:innen. Jede:r von ihnen hat eine eigene Geschichte.
Im Jahr 2001 kam etwa Alhassan Baba Fuseini nach Old Fadama. Er stammt aus der Gemeinde Savelugu im Norden Ghanas, die er nach dem High-School-Abschluss verließ. „Ich wollte eigentlich dortbleiben und meine Eltern unterstützen“, sagt er, aber seine Familie konnte sich seine Ausbildung nicht leisten, die Erträge aus ihrem Maisanbau schwankten wegen unregelmäßiger Regenfälle und langer Trockenzeiten zuletzt stark. „Mein Ziel war, einen Job zu finden, damit ich etwas Geld sparen und weiter zur Schule gehen kann“, sagt er.
Laut der aktuellen Studie „Governing Climate Mobility“ des Center for Migration Studies (CMS) an der Universität Ghana sind Extremwetterereignisse wie Dürren und starke Regenfälle die Hauptgründe dafür, dass die Menschen aus dem Norden Ghanas vermehrt in die großen Städte ziehen. „Interessant ist, dass nicht nur der trockene Norden Ghanas vom Klimawandel betroffen ist, sondern auch eigentlich fruchtbare Orte“, sagt Professor Joseph Kofi Teye, Direktor des CMS. „Die Regenfälle kommen zwar, aber zur falschen Zeit – und das beeinträchtigt die Erträge.“
Professor Joseph Kofi Teye, Direktor des Centre for Migration Studies an der University of Ghana.
Aus diesem Grund müssen immer mehr Menschen ihre Felder und Höfe verlassen. Untersuchungen zeigen, dass viele Bäuerinnen und Bauern in das frühere Gebiet von Brong Ahafo und die Eastern Region übersiedeln, wo es regelmäßiger regnet, während es vor allem junge Menschen in die Städte zieht. Teye sagt: „Der Klimawandel steht in Wechselwirkung mit anderen Faktoren wie Armut, fehlender Arbeit und sozialem Wandel.“
Alhassan Baba Fuseini lebte zu Beginn seines „Accra Life“ in einer Holzhütte bei einem Verwandten in Old Fadama, bis er einen Job als Gelegenheitsarbeiter in einer Fabrik fand. Dadurch konnte er für sich selbst sorgen und für seine Ausbildung sparen. Heute koordiniert er die Datenerfassung bei der Ghana Federation of the Urban Poor, einer Ortsgruppe der Organisation Peoples Dialogue, die wiederum zu Slum Dwellers International (SDI) gehört. SDI setzt sich für die Eingliederung benachteiligter Communitys in das Stadtleben ein. Gemeinsam mit dem New Yorker Zolberg Institute on Migration and Mobility sucht SDI im Verbund mit den lokalen Gemeinschaften nach Lösungen, die den Migrant:innen und ihrer neuen Heimatgemeinde weiterhelfen. Unterstützt wird dieses Projekt, das in den westafrikanischen Städten Accra, Freetown, Daressalam und Monrovia durchgeführt wird, unter anderem von der Robert Bosch Stiftung.
In gewisser Weise ist der Job in der Datenerfassung perfekt für Alhassan Baba Fuseini: Aus eigener Erfahrung weiß er, mit welchen Herausforderungen die Bewohner:innen informeller Siedlungen zu kämpfen haben. Und er ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie viel Migrant:innen in ihrer neuen Heimat bewirken können.
Über das schwierige Leben in den informellen Siedlungen sagt er: „Es gibt keinen Bebauungsplan, jeder stellt seine Holz- oder Aluminiumhütte dort auf, wo gerade Platz ist.“ Leute, die etwas Geld haben, bauen mit Zementblöcken. Aber auch dort gebe es keinen Wasseranschluss oder sanitäre Einrichtungen in den Häusern. „Wir müssen also jedes Mal bezahlen, wenn wir eine öffentliche Toilette benutzen wollen. Wir kaufen Wasser von den Tankwagen für unseren täglichen Bedarf; wir müssen für alles bezahlen.“
Lange Zeit wurden die Bewohner:innen von den städtischen Behörden nicht in Förderprogrammen für den Einbau sanitärer Anlagen berücksichtigt. Da die Menschen keine Steuernummer und keine offizielle Adresse haben, leben sie in einer Parallelwelt. Fuseini sagt: „Die Politik konzentriert sich auf die Menschen in den offiziellen Siedlungen. Wir sind aber auch hier und arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir tragen auch zur Entwicklung der Stadt bei.“
Eine grundlegende Veränderung der städtischen Herangehensweise ist wichtig, weil der Klimawandel nicht nur die Abwanderung aus ländlichen Gebieten in die Stadt verstärkt, sondern auch die Menschen in den informellen Siedlungen gefährdet.
Alhassan Baba Fuseini, ein örtlicher Vertreter der Organisation Slum Dwellers International, steht am Ufer der Lagune von Glefe.
NGOs wie Slum Dwellers International versuchen daher, die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Gemeinsam mit der Accra Metropolitan Assembly haben sie beispielsweise ein Pilotprojekt zu „Hunger Resilience“ durchgeführt – und Daten zu Überschwemmungen erhoben, die Aufschluss über gefährdete Siedlungen in Accra geben, wie Salifu Abdul-Mujeeb, Projektleiter bei der SDI-Tochter Peoples Dialogue, erklärt. Er sagt, man müsse alle Interessengruppen einbinden, um eine erfolgreiche Strategie auszuarbeiten, die Accra widerstandsfähiger macht und die Folgen des Klimawandels in den Blick nimmt.
Die Robert Bosch Stiftung unterstützt das Zolberg Institute on Migration and Mobility der New School und das transnationale Netzwerk Slum Dwellers International (SDI), um die Datenlage zu klimabedingter Migration in der Region Subsahara-Afrika zu verbessern. Mit dem gewonnen Wissen wollen wir einen praxisorientierten Aktionsplan zur Verbesserung der Situation von Migrant:innen in den Städten entwickeln und lokale Akteur:innen aktiv in den Prozess einbinden.
Und er glaubt, dass seine Kolleg:innen in der Stadtverwaltung dies langsam auch so sehen. Trotzdem müsse die Stadt bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Politik noch offener für alle Gruppen werden. „Wir müssen die Stadt, die Zivilgesellschaft und die Bewohner:innen informeller Siedlungen in direkten Kontakt bringen, damit wir ihre Ansichten in die Entscheidungen der Stadtverwaltung einbeziehen können“, sagt Salifu Abdul-Mujeeb.
Accra ergreift aber auch schon heute weitergehende Maßnahmen, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen und Neuzugewanderten einen besseren Lebensstandard zu bieten. Im Jahr 2020 hat die AMA einen Fünfjahres-Klimaaktionsplan (CAP) entworfen. Er soll zu einer erheblichen Verringerung der Treibhausgasemissionen führen, die Lebensqualität verbessern, grüne Arbeitsplätze schaffen und die Stadt bis zum Jahr 2050 in Richtung Klimaresilienz und CO2-Neutralität bringen. Der Plan baut auf der nationalen Klimapolitik auf und ist im Einklang mit Ghanas Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Schon im Jahr 2008 hatte die Stadt eine Resilienzstrategie erarbeitet. Darin wurden zum einen Stressfaktoren in der Stadt wie Verkehr, Wohnen, Abfallwirtschaft, Energieverbrauch oder hohe Lebenshaltungskosten identifiziert – und Wege, diese Dinge anzugehen. „In den letzten Jahren hat die Kommunalpolitik gezeigt, dass die Stadt die Migrant:innen und die Auswirkungen des Klimawandels in den Fokus nimmt“, sagt Desmond Appiah, Programmmanager für African Cities For Clean Air des Städtenetzwerks C40 Cities und früher Berater des ehemaligen Bürgermeisters von Accra im Bereich Resilienz und Nachhaltigkeit. „Das wichtigste war, dass die Stadt den informellen Sektor als einen Teil von sich anerkannt hat.“
Desmond Appiah ist Programmleiter von African Cities For Clean Air des Städtenetzwerks C40 Cities.
Der Verwaltungsexperte berichtet, dass sich die Politik bisher nur an die 20 Prozent der Menschen richtete, die einen steuerpflichtigen Job haben, und die anderen 80 Prozent weitestgehend ignorierte. „Das ist einer der Hauptgründe, warum viele Maßnahmen gescheitert sind, denn die Stadt hat einen großen Teil ihrer Gesellschaft ausgegrenzt“, fügt er hinzu.
Doch das hat sich geändert: Die Stadt hat begonnen, die Menschen aus dem informellen Sektor in ihre Entscheidungen und Aktivitäten einzubeziehen. Sie hat beispielsweise die zentrale Rolle der Müllsammler:innen für die Abfallwirtschaft erkannt und sie mit professionellen Unternehmen zusammengebracht. „Die Stadt hat auch informelle Recycler:innen in das städtische Abfallmanagement aufgenommen, damit sie effizienter arbeiten können“, fügt er hinzu. Die Bürgermeisterin von Accra besucht außerdem einmal pro Woche informelle Siedlungen, um sich mit den Leuten dort auszutauschen.
Diese Initiativen hätten der Stadt geholfen, eine angemessene Abfallwirtschaft einzuführen, und gleichzeitig die Akzeptanz der Menschen aus dem informellen Sektor für politische Maßnahmen erhöht.
Für Desmond Appiah ist Migration deshalb essenziell, um die Entwicklung der Städte zu fördern. „Die Stadt hat einen Plan, und der lautet, eine intelligente, widerstandsfähige und nachhaltige Stadt aufzubauen. Aber wir müssen uns auch dafür einsetzen und sicherstellen, dass alle Communities daran teilhaben. Wir müssen den Migrant:innen zuhören und ihre Bedürfnisse berücksichtigen – und sie in unsere Planung einbinden.“