Wer bist du auf der digitalen Bühne?

Das Internet ermöglicht uns grenzenlose Kommunikation. Wir rücken enger zusammen und teilen Erlebnisse und Meinungen. Doch die schöne digitale Welt wird massiv gestört: Hass gefährdet unser Zusammenleben und die Demokratie. Was tun?

Alexandra Wolters | April 2019
Mann sitzt nachdenklich vor Laptop
Foto: samuel - stock.adobe.com

Das World Wide Web gibt vielen Menschen eine Stimme und ist zugleich ihre Bühne. Kommentare sind schnell geschrieben und noch schneller – gerne anonym – gepostet. Dabei sind Smiley und Herzchen oft nur einen Klick von der persönlichen Beleidigung, Gewaltandrohung und blankem Hass entfernt. Und dieser Hass kann mittlerweile jeden treffen, der sich im Internet in den Kommentarspalten, in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken äußert. Die Vereinten Nationen warnen vor einem aktuellen Anstieg der Hasskommentare im Internet, englisch „Hate Speech“. Dabei geht es vor allem um Diskriminierung und Einschüchterung. Die Sender von Hate Speech suchen die größtmögliche Aufmerksamkeit, möchten öffentliche Debatten bestimmen und die Gesellschaft spalten.

Wenige verbreiten immer mehr Hass

„Die Gefahr ist groß, dass Hate Speech die Demokratie von innen aushöhlt“, meint Gerald Hensel. Der deutsche Markenberater gründete 2017 den Verein „Fearless Democracy e.V.“, nachdem er selbst Hass im Netz erlebt hatte. Anlass war seine Aktion „Kein Geld für Rechts“. Die „Hater“ gaben erst Ruhe, als Hensel seinen Job aufgeben musste und um das eigene Leben fürchtete. Mit „Fearless Democracy“ möchte Hensel Strukturen des digitalen Extremismus offenlegen, betroffenen Menschen helfen und die Gesellschaft widerstandsfähiger gegen Populisten machen. Unterstützt von der Robert Bosch Stiftung entstand als erstes Projekt „Hate Aid“, eine Anlaufstelle für Menschen, die in Shitstorms geraten und durch Hasskampagnen eingeschüchtert werden.

Wenn du im Internet öffentlich kommunizierst, solltest du dir vorstellen, auf einer Bühne zu stehen. Und im Publikum sitzen deine Mutter und dein Chef

„Fatal ist, dass die schweigende Mehrheit gegenüber der lauten, Hass verbreitenden Minderheit nicht wahrgenommen wird“, sagt Hanna Gleiß. Sie ist Leiterin von „Das Nettz“, einer Vernetzungsstelle gegen Hate Speech, die von der Robert Bosch Stiftung initiiert wurde. Eigentlich seien es nur wenige User, die Hasskommentare verfassen und liken. „Aber leider sind diese Hass-Animateure und Info-Krieger oft mit mehreren falschen Identitäten sehr professionell im Internet unterwegs. Und sehr aktiv“, so Gleiß. „Das suggeriert eine große Meinungsmehrheit, die es so nicht gibt.“ „Das Nettz“ fördert die Zivilcourage im Netz und unterstützt Akteure bei ihrer Arbeit gegen Hate Speech.

Politik und Wirtschaft sind gefragt

„Es fehlen vonseiten der Politik und der großen Digitalkonzerne wie Facebook und Twitter klare Regeln“, bemängelt der Kommunikationsexperte Gerald Hensel. Vor allem die Unternehmen müssten endlich mehr Geld für die Eigenkontrolle durch geschulte Moderatoren in die Hand nehmen und auf Beschwerden schneller reagieren. Hensel sieht jeden Einzelnen in der Pflicht, sich gegen den Hass im Internet zu stellen und ein Bewusstsein für eine positive Debattenkultur im Netz zu schaffen. „Wenn du im Internet öffentlich kommunizierst, solltest du dir vorstellen, auf einer Bühne zu stehen. Und im Publikum sitzen
deine Mutter und dein Chef“, so ein Leitfaden, den Hensel zitiert. Diejenigen, die mit Hate Speech strategisch Beleidigungen und Volksverhetzung verbreiten, werde man nicht mehr erreichen. Da helfe auch kein Leitfaden. „Dafür brauchen wir in Zukunft Regularien. Jetzt können wir nur blocken und gegenhalten. Und das sollten wir auch tun.“

Profilbild Julia Ebner
Institute for Strategic Dialogue

Julia Ebner arbeitet für das Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) – und hat als Extremismusforscherin auch die Netzkommunikation im Blick.

Hate Speech ist ein weltweiter Trend

Wie sehen Sie die internationale Entwicklung der Debattenkultur im Internet?
Hate Speech und Desinformationskampagnen im Netz haben global in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Einige der Trends, die man zunächst vor allem in den USA beobachten konnte – wie gezielte Medienmanipulation, Hassrede und Kampagnen mit persönlichen Informationen –, sind mittlerweile auch in Europa angekommen. Die verwendeten Taktiken sind weltweit ähnlich. Die meisten Kampagnen werden in die großen sozialen Medien getragen, also auf Facebook, Twitter und Instagram, um hier Debatten im Mainstream oder in gegnerischen Filterblasen zu beeinflussen.

Wer steckt hinter diesen Kampagnen?
Oft sind es international vernetzte rechte Gruppen und Influencer. Ziel dieser Akteure ist es, ihre politischen Gegner einzuschüchtern und mundtot zu machen sowie normale Nutzer zu verwirren.

Was können wir für eine bessere Debattenkultur im Internet tun?
Wir brauchen einen ganzheitlichen Zugang. Die Aufgabe liegt bei der Politik, beim Privatsektor und auch bei der Zivilgesellschaft. Ich würde folgende Maßnahmen empfehlen: Transparenz und Verantwortlichkeit
über neue Regulierungen verschärfen, Gesetze gegen die gezielte Verbreitung von Falschinformation erlassen und bestehende Regeln für die Online-Kommunikation auf kleinere Plattformen und
extremistische Zufluchtsorte ausweiten. Zudem sollten wir die Moderationstechniken im Umgang mit Hassrede optimieren und die Initiativen von Anti-Hate-Speech-NGOs und -Aktivisten unterstützen.