Emissionshandel und Kohlenstoffprojekte brauchen viel Land im Globalen Süden. Wir beleuchten die Schattenseiten eines vermeintlich guten Klimaschutzkonzeptes.
Vom Amazonas bis zum Kongobecken investieren Regierungen und Unternehmen in landbasierte Kohlenstoffprojekte, um ihre Emissionen auszugleichen. Auf den ersten Blick erscheint der Handel mit Emissionszertifikaten wie ein Gewinn für das Klima. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass er einen enormen Landbedarf mit sich bringt. Millionen von Menschen sind von diesem Land abhängig, um ihre Ernährung, ihre Häuser, ihre Kultur und ihr Überleben zu sichern.
Die neue Publikation von TMG Research und der Robert Bosch Stiftung „Net Zero & Land Rights“ warnt davor, dass landbasierte CO₂-Entnahmestrategien, also Maßnahmen zur Entfernung und Speicherung von CO₂ durch Nutzung großer Landflächen, einen neuen globalen Landrausch auslösen könnten – mit weitreichenden Folgen. Sie könnten bestehende Nutzungskonflikte verschärfen, die Ernährungssicherheit gefährden, lokale Gemeinschaften verdrängen, die Rechte indigener Völker untergraben und soziale Ungleichheiten verstärken. Vor diesem Hintergrund plädieren die Studienautor:innen für einen gerechteren Umgang mit Landrechten im Kontext der Klimapolitik.
Emissionszertifikate ermöglichen es Ländern oder Unternehmen, ihre Treibhausgasemissionen durch Investitionen in kohlenstoffspeichernde Projekte, wie z. B. Waldschutz oder Aufforstung, an anderen Orten auszugleichen. Diese Ausgleichszahlungen, die auch als Kohlenstoffzertifikate bezeichnet werden, können gehandelt werden – und ihr Volumen steigt rasant an. Heute übersteigt der jährliche Wert der regulierten und freiwilligen CO₂-Märkte 1 Billion US-Dollar.
Aber diese Lösungen benötigen Land. Viel Land. Der Emissionshandel nutzt bereits mehr als 24 Millionen Hektar – das entspricht in etwa der Größe von Großbritannien. Bis 2060 könnten landbasierte Klimaschutzversprechen bis zu eine Milliarde Hektar erfordern – das ist fast die Größe Chinas oder der Vereinigten Staaten.
Länder mit hohem Einkommen lagern die Landnutzung aus, um ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Die Europäische Union beispielsweise will jährlich 310 Millionen Tonnen CO₂ durch landbasierte Strategien einsparen. Doch sie hinkt diesem Ziel bereits um mindestens 50 Millionen Tonnen hinterher – eine Lücke, die sie mit Kohlenstoffprojekten im Globalen Süden schließen will.
Diese Strategie verlagert das Problem der Landnutzung auf Regionen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, und verschärft damit die globalen Ungleichheiten. In Uganda beispielsweise hat ein 12.000 Hektar großes Waldschutzprojekt eines norwegischen Investors zu Zwangsräumungen und Gewalt geführt. In Kambodscha und Niger, wo Landrechte kaum gesichert sind, werden Aufforstungen ohne die Zustimmung der dort lebenden Menschen durchgeführt.
Klimaschutzmaßnahmen, die indigene Rechte und Geschlechtergerechtigkeit ignorieren, verschärfen soziale Ungerechtigkeiten und gefährden damit zugleich ihre Nachhaltigkeit.
Selbst in reichen Ländern wie Neuseeland kaufen Unternehmen Land für großflächige Monokulturplantagen und verdrängen unter dem Deckmantel „grüner Investitionen“ die lokalen Agrarflächen.
Kohlenstoffprojekte ignorieren oft traditionelle Landbesitzsysteme. Dabei handelt es sich um gemeinschaftliche Vereinbarungen, die den Landbesitz regeln, wenn keine formellen Eigentumsrechte existieren. Diese Systeme sind selten dokumentiert oder in nationalen Gesetzgebungen ausreichend geregelt, sodass Millionen Menschen heute von Enteignung bedroht sind.
In Afrika sind weniger als 10 % der Landrechte formell dokumentiert. Diese rechtliche Ausblendung traditioneller Formen des Landbesitzes nährt einen gefährlichen Mythos: die Idee des „unbewohnten Landes“. Die Einstufung von Land als ungenutzt oder unbesetzt ebnet den Weg für landbasierte Kohlenstoffprojekte, die die ausgrenzenden Praktiken der Vergangenheit wiederholen.
Indigene Gemeinschaften machen nur 5 % der Weltbevölkerung aus, schützen aber mehr als 80 % der weltweit noch verbliebenen Biodiversitätsregionen. Sie bewirtschaften über die Hälfte der intakten Wälder der Welt, besitzen rechtlich aber nur einen Bruchteil davon. Trotz ihrer entscheidenden Rolle für den Schutz von Ökosystemen werden ihre Landrechte häufig übergangen.
So beanspruchen Holzeinschlagkonzessionen in der Demokratischen Republik Kongo bereits bis zu 5 % der gesamten Landfläche des Landes. Darüber hinaus werden viele dieser Gebiete derzeit für den Emissionshandel in CO₂-Kompensationsprojekte umgewandelt. Bei diesen Umwandlungen werden die Rechte der indigenen und lokalen Gemeinschaften, die das Land seit Generationen bewirtschaften, häufig missachtet. In den meisten Fällen werden die Gemeinschaften nur minimal an Einnahmen beteiligt und haben kaum Einfluss auf die Gestaltung oder Umsetzung der Projekte. Im schlimmsten Fall werden sie vollständig von ihrem Land vertrieben.
Insbesondere Frauen werden benachteiligt. In Ländern mit niedrigem Einkommen bauen sie einen Großteil der Nahrungsmittel an, holen Wasser und versuchen, sich bei der Bewirtschaftung des Bodens an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen – und doch besitzen sie kaum Rechte an diesem Land. Das bedeutet auch, dass Frauen von Planungen, von möglichen Entschädigungen oder von Gewinneinahmen durch Kohlenstoffprojekte ausgeschlossen sind. Dadurch nimmt die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern noch weiter zu.
Projekte zum CO₂-Ausgleich können lokale Ernährungssysteme und Ökosysteme schädigen, wenn sie schlecht konzipiert sind. Ein großes Problem des Emissionshandels ist die Zunahme von Monokulturplantagen, die Nahrungspflanzen verdrängen, die biologische Vielfalt verringern und die Wasserversorgung belasten können.
In Neuseeland hat der Möbelriese IKEA über 20.000 Hektar Kiefern gepflanzt, um seine Netto-Null-Ziele zu erreichen. Der Verlust von Ackerland hat viele alarmiert. In der Republik Kongo finanziert das französische Energieunternehmen TotalEnergies eine neue, 40.000 Hektar große Akazienplantage. Laut Unternehmensangaben würde diese durchschnittlich 500.000 Tonnen CO₂ pro Jahr binden, was jedoch weniger als 2 % der jährlichen Emissionen des Unternehmens entspricht. Die Plantage hat aufgrund mangelnder Konsultation der lokalen Bevölkerung und der Einschränkungen traditioneller Landnutzung starken Widerstand im Land ausgelöst.
Kohlenstoffprojekte dürfen Klimaziele nicht auf Kosten der biologischen Vielfalt, der Ernährungssicherheit oder der Wasserversorgung verfolgen.
Die beiden größten Ölexporteure, Saudi-Arabien und Russland, benötigen zusammen mehr als die Hälfte aller Flächen, die weltweit zur Erfüllung der nationalen Klimaschutzzusagen benötigt werden. In Kenia haben Ausgleichsprojekte die Bewegungsfreiheit von Viehzüchtern, wie den Borana und Samburu, eingeschränkt und somit ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Dürren verringert.
Der Emissionshandel stellt oft finanzielle Gewinne über die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse der Menschen vor Ort, aber das muss nicht die Regel sein. Es gibt Möglichkeiten, CO₂-Projekte zu konzipieren und zu entwickeln, die mit Landrechten kompatibel sind. Im sumpfigen Yaeda-Tal in Tansania beispielsweise erhält das Volk der Hadza 60 % der Einnahmen aus einem CO₂-Kompensationsprojekt. Diese Einnahmen werden verwendet, um junge Menschen aus der Region als Scouts zu beschäftigen, die das Land vor illegalem Holzeinschlag und landwirtschaftlicher Besetzung schützen. Durch den Einbezug der lokalen Gemeinschaften ist dieses Projekt ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie CO₂-Gutschriften echte soziale und ökologische Vorteile erzielen können.
Der Erfolg von CO₂-Projekten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, basiert auf wichtigen Grundsätzen wie der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC), gesicherten Landrechten und einer gerechten Aufteilung von finanziellen Einnahmen und anderen Vorteilen.
Klimaschutz kann funktionieren, wenn er die Rechte der Menschen respektiert, die auf dem Land leben und es schützen.
Um Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen und ausbeuterische Marktpraktiken zu stoppen, müssen CO₂-Kompensationsprojekte auf Transparenz, Gerechtigkeit und Menschenrechten basieren. Dabei muss das Augenmerk insbesondere auf Landrechten liegen. Globale Rahmenwerke wie Artikel 6 des Pariser Abkommens und sein Kohlenstoffmarktmechanismus müssen starke Schutzvorkehrungen enthalten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Klimaschutzlösungen zu neuen Formen der Ausbeutung führen.