Vielfalt kann ländliche Räume stärken

Viele Kommunen in ländlichen Regionen wollen angesichts des demografischen Wandels vorhandene Potenziale besser erschließen und neue Bewohner gewinnen. Eine Möglichkeit ist die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen: In ländlichen Regionen steht ausreichend Wohnraum zur Verfügung, stabile und enge soziale Beziehungen können leichter entstehen und die kleineren und mittelständischen Unternehmen fragen Arbeitskräfte nach. Welche Chancen und Herausforderungen für die Integration von Neuzuwanderern – auch von Fachkräften – auf dem Land bestehen, zeigte die Konferenz „Land.Zuhause.Zukunft“ in Berlin.

Robert Bosch Stiftung | März 2019

„Integration im ländlichen Raum ist eine doppelte Kommunikations-Herausforderung: Wir müssen zeigen, warum der ländliche Raum für Menschen gute Chancen bietet, andererseits müssen wir vermitteln, welche Chance diese Menschen für die ländlichen Regionen sind“, sagte Annette Widmann-Mauz, Beauftragte der Bundesregierung für Flüchtlinge, Migration und Integration, bei der Eröffnung der Konferenz. Ein konstruktiver Ansatz basiere auf wissenschaftlicher, politischer und praktischer Ebene. Daher müsse man sich fragen, welche Potenziale ländliche Räume für die Integration von Flüchtlingen und Einwanderern bieten. Zwei wesentliche Aspekte seien bezahlbarer Wohnraum auf dem Land und oft bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz in mittelständischen Betrieben. Trotzdem ziehen Neueinwanderer früher oder später tendenziell lieber in Städte. Die Argumente für die Stadt seien weitgehend einheitlich: dort gibt es etablierte und herkunftsbezogene Netzwerke und Angebote.

Warum sollten Neuzuwanderer dort bleiben, wo Einheimische seit Jahren wegziehen?

In ländlichen Gebieten könnten solche Angebote und Strukturen durch eine übergreifende Zusammenarbeit von verschiedenen Trägern übernommen werden. „Konkrete Integrationsmaßnahmen, wie Sprachkurse für unterschiedliche Zielgruppen, oder Angebote für Frauen und Eltern spielen eine enorme Rolle“, bestätigte auch Widmann-Mauz. Die Politikerin schlug entsprechend vor, den Kommunen möglichst viel Kompetenz bei den Kursen zu geben. „Die Akteure vor Ort kennen Angebot und Nachfrage am besten.“ Der Bund gibt 2019 über 720 Millionen Euro für Integrationskurse aus - etwas weniger als 2018 (765 Millionen) und 2017 (859 Millionen). Dafür werden zusätzliche Integrationsmaßnahmen 2019 mit 227 Millionen Euro bezuschusst.

Allerdings beeinflusst nicht allein das Geld den Erfolg von Integrationskursen. Annette Widmann-Mauz: „Erfolgreiche Integration im ländlichen Raum hängt maßgeblich davon ab, ob es uns insgesamt gelingt, in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Denn warum sollten Geflüchtete oder Neuzuwanderer dort wohnen oder bleiben, wo Einheimische seit Jahren wegziehen?“

LAND – gute Ideen aus der Praxis

„Ländliche Räume bieten ganz besondere Chancen für die Integration von Neuzuwanderern, allerdings bestehen auch ganz besondere Herausforderungen“, bekräftigte Sandra Breka, Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung. „Vieles wird vor Ort angepackt, doch es gibt auch Fragen, die nur über landes- und bundespolitische Veränderungen gelöst werden können.“ Genau solche Fragen und gute Ideen für die vielfältigen Herausforderungen bearbeitet die Robert Bosch Stiftung in ihrem Förderprogramm „Land.Zuhause.Zukunft – Integration und Teilhabe von Neuzuwanderern in ländlichen Räumen“. Dafür führte die Stiftung 2017 knapp hundert Interviews mit unterschiedlichen Akteuren in sieben Landkreisen. In sechs Landkreisen werden nun bis Juni 2019 verschiedene Ansätze in der Praxis ausprobiert.

Beispielsweise beschäftigt sich der Landkreis Coburg mit dem Schwerpunkt Flüchtlinge und Migranten als Zielgruppe für die (Alten-)Pflege. Schnell zeigte sich, dass viele kleine Träger überfordert sind, den Menschen beim Ankommen zu helfen. „In der Regel endet die Anwerbung bei der Anwerbung“, so das Zwischenfazit der Teilnehmer. Dabei ist Integration mehr als Integration in den Arbeitsmarkt. „Interkulturelle Integration heißt für uns aber auch, dass wir bei einer 60-Betten-Einrichtung einen Kosovaren, einen Philippiner, einen Syrer und einen Vietnamesen beschäftigen. Da fragt man sich, wie wir das Thema kulturelle Öffnung im Alltag umgesetzt bekommen, auch bei den zu Pflegenden“, so Martina Berger vom Landratsamt Coburg. Eine Idee sei, alle Pflegekräfte aus dem Landkreis an einen Tisch zu bringen und zusätzlich die einheimische Bevölkerung auf die Zuwanderung vorzubereiten.

Im Landkreis Harz konzentriert sich das Förderprogramm auf Integration und Datenmanagement aus einer Hand. Das vorläufige Fazit ist drastisch: Für Integration fehlt ein kommunales Datenmanagement. „Wir brauchen einen Datenaustauschverbesserungsprozess 3.0“, forderte eine Teilnehmerin. Erste Orientierung gibt es bereits: Wie Kommunen sich auf den Weg machen können, ein individualisiertes kommunales Integrationsmonitoring aufzubauen, und welche Unterstützung es dafür braucht, steht in einer kürzlich veröffentlichten Kurz-Expertise der Robert Bosch Stiftung: Daten vernetzen, Integrationsverläufe individuell erfassen und begleiten.

ZUHAUSE – über die Bindung in ländlichen Räumen

In unterschiedlichen Konferenz-Workshops, an denen Vertreter aus über 40 Landkreisen teilnahmen, wurden praxisbezogene Wünsche und konkrete Empfehlungen formuliert. Klar und deutlich war die Forderung nach mehr Entscheidungsbefugnissen, zumal es nicht den einen ländlichen Raum gibt, der stellvertretend für alle steht, sondern die Anforderungen in jedem Landkreis unterschiedlich sind. Beim Thema Integrationspolitik und Integrationskonzepte wurde beispielsweise deutlich, dass mehr Kompetenzen für kommunale Integrationszuständige gewünscht sind, zum Beispiel bei der Jugendarbeit. Für die Fachkräftesicherung im ländlichen Raum ist ein Ausbau der Infrastruktur unabdingbar. Und bei Orientierungskursen für Zuwanderer sollten gemeinsame Werte und ein pluralistisches Bild vermittelt und keine normative Nachhilfe in Sachen Wertevermittlung gegeben werden.

ZUKUNFT – wie gestalten wir das Zusammenleben?

Die Abschlussdiskussion der Konferenz ging auf die Frage „Wie gestalten wir das Zusammenleben?“ ein. „One size fits all gibt es nicht“, sagte Dr. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat. „Wir brauchen Geduld für die Langfristigkeit und Toleranz für die vielen Rückschläge, mit denen wir umgehen müssen.“

Professorin Dr. Petra Bendel von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg schlug ein europaweites Matching-Verfahren vor: „Kommunen können auf freiwilliger Basis vorab ein Integrationsprofil erstellen und dieses mit den Bedürfnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten der Geflüchteten in den Hotspots in Griechenland und Italien abgleichen. So kann man auch viel besser darauf eingehen, was die einzelnen Menschen möchten, können und wo sie leben wollen.“  Dies würde zudem die Innovationskraft der Kommunen stärken, Strukturen verstetigen und die Mitsprache fördern.

Der Goslarer Landrat Thomas Brych sieht in der Abwanderung aus den ländlichen Räumen auch einen Vorteil. „Wir hatten so viel freien Wohnraum, dass wir keine einzige Massenunterkunft einrichten mussten und die Flüchtlinge ganz bewusst dezentral unterbringen konnten.“ Trotzdem sei seinem Landkreis „der große Wurf mit Kontakten zu Einheimischen noch nicht gelungen.“ Es hänge extrem viel an den unterschiedlichen Sprachfähigkeiten. Entsprechend ist seine Prognose wenig überraschend: „Integration dauert fünf Jahre, das würde ich verdoppeln, und richtig gelingen wird das auch erst in der Nachfolgegeneration“.

Ein Zuhause basiert auf Integration und Teilhabe

„Es muss gelingen, dass der Ort, den Flüchtlinge einst als neue Heimat zugewiesen bekommen haben, zur persönlichen Wahlheimat wird“, forderte auch Annette Widmann-Mauz. Ob dies fünf oder zehn Jahre dauert, hängt von vielen Faktoren ab. Fest steht bereits jetzt: Menschen, die sich auf dem Land zu Hause fühlen und dort eine Perspektive und Zukunft haben, bleiben und gestalten das Zusammenleben, so die Staatsministerin. Insofern sei „Land.Zuhause.Zukunft“ kein Slogan für Flüchtlinge oder Einwanderer, sondern für alle Menschen im Land. Und ein Auftrag an die Politik.