„Lokale Akteure sind der Schlüssel zu nachhaltigem Frieden“

Die Zahl gewaltsamer Konflikte und Kriege steigt weltweit seit Jahren. Friedensschlüsse tragen in vielen Fällen nur kurzfristig zu einer Entspannung der Situation bei. Mie Roesdahl erklärt, warum die Unterstützung lokaler Friedensakteur:innen eine Chance für nachhaltigen Frieden ist. 

Sabine Fischer | April 2021
Mie Roesdahl
Hans-Henrik Jensen

Zur Person

Mie Roesdahl arbeitet seit 25 Jahren in der Friedens- und Menschenrechtsförderung in Afrika, Asien und Europa. 2016 gründete sie Conducive Space for Peace. Mie Roesdahl setzt sich für Veränderungsprozesse und die Entwicklung neuer Ideen und Arbeitsabläufe in der Friedensförderung ein. Dabei arbeitet sie mit NGOs, politischen Entscheidungsträger:innen und anderen Stakeholdern zusammen.

Bei rund 60 Prozent aller Bürgerkriege eskaliert die Situation durchschnittlich 7 Jahre nach einem Friedensschluss erneut: Warum ist es so schwierig, solche Konflikte wirksam zu bearbeiten? 

Konflikte wie diese konnte die internationale Friedenszusammenarbeit bisher nicht nachhaltig bearbeiten – unter anderem, weil sie zu wenig auf die Bedürfnisse lokaler Friedensinitiativen und Akteure eingeht. Bilaterale Geldgeber konzentrieren sich immer stärker auf ihre nationalen Interessen. Somit liegt ihr Fokus weniger auf dem, was lokale Akteure in Konfliktgebieten wirklich bräuchten, um Frieden zu fördern. All das hat auch mit einem anhaltenden Machtgefälle zu tun: Wenn eine internationale Organisation mit ihren eigenen Zielen im Hinterkopf ankommt und lokalen Akteuren zu verstehen gibt, dass sie nur für bestimmte Zwecke Fördermittel erhalten, kann keine würdevolle Beziehung entstehen. Dann fehlt der Raum für diejenigen, mit denen man zusammenarbeitet.

Welche Rolle können lokale Friedensinitiativen spielen, wenn es darum geht, zu nachhaltigem Frieden beizutragen? 

Lokale Friedensinitiativen und -organisationen sind der Schlüssel zu nachhaltigem Frieden. Sie haben eine viel größere Legitimation als jeder, der Ideen und Ansätze von außen vorgibt. Lokale Friedensakteure haben außerdem einen riesigen Wissensschatz und sind vor Ort gut vernetzt. Viele von ihnen arbeiten seit Jahren in der Friedensförderung und haben gelernt, was funktioniert und was nicht. Sie können Prozesse kreativ anstoßen und strategisch und langfristig begleiten. Ich will die lokale Friedensförderung damit nicht romantisieren, sie steht ebenso vor Herausforderungen. Aber im Moment geben wir als internationale Organisationen ihr keine Chance, das eigene Potenzial zu entfalten. Und das, obwohl es vollkommen unlogisch ist zu glauben, irgendjemand von außen könne irgendwohin Frieden importieren – das sage ich, ohne die bedeutende Rolle internationaler Organisationen in der Friedensförderung kleinreden zu wollen. Wir sollten uns aber stärker darauf konzentrieren, lokale Friedensakteure bestmöglich zu unterstützen. Und wir sollten achtsam sein, wie unsere Beziehungen zueinander aussehen, wie wir mit Machtgefällen umgehen und voneinander lernen können.

Mie Roesdahl Conducive Space for peace convening
Andrew James Benson

Wie kann ein Paradigmenwechsel in der globalen Friedensförderung aussehen? Conducive Space for Peace entwickelt gemeinsam mit anderen Stakeholdern neue Ansätze. 

Wie können lokale Friedensakteur:innen am besten unterstützt werden?

Am wichtigsten ist es, nachzufragen und zu verstehen, was lokale Akteure wirklich brauchen. Das klingt einfach, ist aber oft recht kompliziert. Denn hat man die Frage einmal gestellt, sollte man auch in der Lage sein, Bedürfnisse, die die Akteure äußern, zu erfüllen. Doch gerade hier tun sich internationale Organisationen oft schwer, weil ihre Strukturen und Prozesse nicht dafür gemacht sind. Zum Beispiel sind die Fördermittel oft nicht flexibel genug einsetzbar, um Akteure vor Ort nachhaltig und langfristig unterstützen zu können. Ins Gespräch zu kommen ist also ein guter Anfang. Damit das zu Erfolgen führt, müssen wir aber vor allem das System der Friedenszusammenarbeit ändern.  

Wie müsste sich das aktuelle System der Friedenszusammenarbeit verändern, damit wir nachhaltigen Frieden effektiver fördern können? Was muss in internationalen Organisationen passieren? 

Ein zentraler Aspekt sind die Fördermethoden und -mechanismen internationaler Organisationen. Um Fördermittel zu erhalten, müssen oft hohe Anforderungen erfüllt werden. So muss regelmäßig Bericht erstattet, die Aktivitäten nach den Prioritäten der Förderer ausgerichtet werden oder es müssen Anträge auf Englisch ausgefüllt werden, auch wenn die Muttersprache gar nicht Englisch ist. Einige der relevantesten Fördermittel der UN zum Beispiel bekommt man nur, wenn man nachweisen kann, dass man in der Vergangenheit schon hohe Fördersummen verwaltet hat. Bei den meisten kleinen lokalen Organisationen ist das aber nicht der Fall. Sie wissen also, was man vor Ort tun müsste, um Frieden zu fördern, erfüllen aber nicht die Anforderungen, um die notwendige finanzielle Unterstützung zu erhalten. Im Rahmen dieser Förderstrukturen gibt es einiges zu tun. Wenn es um Veränderung geht, sollte man aber auch darüber hinausdenken: Es geht genauso darum, wie man miteinander umgeht, wie man auftritt und wie man ein Gespräch gestaltet.

Wir brauchen Räume, in denen verschiedene Akteure zusammenkommen können.

Wie kann ein solcher Wandel stattfinden? 

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Die Welt und die globale Friedenszusammenarbeit verändern sich. Das sollten wir als Chance begreifen: Es gibt gerade ein Momentum für Veränderung. Immer mehr Menschen – auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter internationaler Organisationen – gehen mutig voran, setzen sich für den Wandel ein und erkunden neue Wege. Es gibt viele  Initiativen, aber leider ändert sich bisher zu wenig darin, wie die globale Friedensförderung als Ganzes lokale Friedensinitiativen unterstützt. Wir versuchen Menschen, die etwas verändern wollen, miteinander zu verbinden und sie dabei zu unterstützen, voneinander zu lernen. Diese Veränderungen sind aber nicht einfach und sie werden nur langsam passieren.  

Welche Rolle können private Stiftungen wie die Robert Bosch Stiftung dabei spielen? 

Private Stiftungen, die ihre eigene Arbeitsweise überdenken, haben eine besondere Verantwortung, ihre Erkenntnisse zu teilen. Sie brauchen außerdem den Mut, sich auf struktureller, normativer, praktischer und operativer Ebene zu verändern. Mir ist es wichtig zu sagen, dass allein Gespräche und die Anpassung von Leitlinien am Ende keinen großen Unterschied machen werden. Wir haben in der internationalen Friedensförderung bereits fantastische Leitlinien. Darin geht es um Selbstbestimmung, Flexibilität, Lokalisierung – um all die Dinge, die uns zeigen, wie wir eigentlich arbeiten sollten, um lokale Friedensakteure zu unterstützen. Aber es kommt in der Praxis nicht an. Um das zu ändern, gibt es verschiedene Wege. Ein Beispiel: Private Stiftungen haben oft einen großen Wissensschatz und viel Erfahrung in den Themen, in denen sie aktiv sind. Außerdem haben sie riesige Netzwerke. Ein guter Schritt wäre es zum Beispiel, diese Netzwerke so zu mobilisieren, dass dadurch ein breiter Wandel des Systems der globalen Friedenszusammenarbeit in Gang gesetzt wird und ein Raum entsteht, in dem verschiedene Akteure zusammenkommen können.