Interview
„Der gerechte Übergang gehört zu den größten Herausforderungen der Klimapolitik“
Kalifornien verbietet Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, klimafreundliche Mahlzeiten sind voll im Trend und Präsident Biden plant den Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur: Die USA melden sich zurück im Kampf gegen den Klimawandel. Samantha Gross, Fellow an der Brookings Institution, erklärt, was dies für ein gespaltenes Land bedeutet und wie die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union einen gerechten Übergang zu einer klimaneutralen Welt unterstützt.
New Yorker Spitzenrestaurants servieren seit neuestem „treibhausgasneutrale Gerichte“ und haben Rindfleisch von ihren Speisekarten verbannt. Der Bundesstaat Kalifornien verhängt ab 2035 ein Zulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotoren. Spiegeln derartige Maßnahmen die aktuelle Haltung der Menschen in den USA wider?
Samantha Gross: Viele Menschen in den USA machen sich große Sorgen um das Klima. Vor kurzem habe ich in einer Studie gelesen, dass etwa 65 Prozent der US-Amerikaner:innen den Klimawandel als Krise wahrnehmen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung steht diesem Thema also nicht gleichgültig gegenüber. Dadurch entsteht ein Markt für Waren wie treibhausgasneutrale Gerichte und emissionsarme Fahrzeuge. Solche Strategien sind allerdings ambivalent. Während der Übergang zu Elektroautos einen wesentlichen Beitrag zu einer Minderung der Treibhausgasemissionen in den USA leistet, geht von treibhausgasneutralen Speisen eher eine symbolische Wirkung aus. Wir benötigen einen Strukturwandel, um unseren Agrarsektor zu reformieren und emissionsärmer zu gestalten.
Zur Person
Samantha Gross ist Wissenschaftlerin und Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative Fellow der Robert Bosch Academy. Sie arbeitet als Expertin im Bereich Energie- und Umweltpolitik, einschließlich Klimapolitik, internationale Kooperation sowie Energiegeopolitik und globale Energiemärkte. Zuvor war sie in verschiedenen Positionen tätig, beispielsweise als Direktorin für integrierte Forschung der IHS Cambridge Energy Research Associates und als Direktorin des Office of International Climate and Clean Energy im US-Energieministerium.
Die USA melden sich zurück im Kampf gegen den Klimawandel und werfen nach ihrem Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen unter Präsident Trump nun ihr gesamtes diplomatisches Gewicht in die Waagschale – nichtsdestotrotz ist das Land noch immer politisch gespalten. Wie wichtig ist der Klimaschutz auf nationaler Ebene?
Er ist überaus wichtig, damit die USA zum einen ihre Treibhausgasemissionen reduzieren und zum anderen auf internationaler Ebene glaubwürdig für einen besseren Klimaschutz eintreten können. Allerdings erlebt das Land derzeit eine starke Polarisierung. Wenn 65 Prozent der Amerikaner:innen von einer Klimakrise sprechen, bleiben noch immer 35 Prozent, die anderer Meinung sind – und die Mehrheit von ihnen sind Anhänger:innen der Republikaner. Dies bedeutet, dass eine der beiden großen Parteien wichtige Klimaschutzmaßnahmen nicht unterstützt, wodurch ihre Umsetzung zur politischen Herausforderung wird. Was sich insbesondere dann bemerkbar macht, wenn wichtige Gesetze der Zustimmung im Kongress bedürfen. Die Biden-Regierung bemüht sich daher nach besten Kräften im Rahmen ihrer politischen Möglichkeiten, Ergebnisse zu erzielen. Vor uns liegt kein leichter Weg, doch wir können es meines Erachtens schaffen. Die starke Polarisierung in unserem Land ist zwar sehr bedauerlich, doch da genügend Amerikaner:innen unser Anliegen teilen, hoffe ich, dass ein politischer Kurswechsel mit der Zeit möglich sein wird.
Denken Sie, dass das Engagement diesmal andauern wird?
Wenn Präsident Bidens Klimapolitik auch nach seiner Amtszeit fortbestehen soll, muss sie vor allem mit dem wirtschaftlichen Gefüge unseres Landes verwoben werden. Wenn z.B. Unternehmen jetzt in kohlenstoffarme Technologien investieren, schlagen sie damit einen Pfad ein, der die Richtung weist. Je mehr Maßnahmen wir jetzt auf den Weg bringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie die Zeit überdauern und sich durchsetzen.
Samantha Gross bei einer Diskussionsrunde zu energiepolitischen Herausforderungen auf dem von der Washington Post organisierten „Energy 202“-Panel.
Europa hat den Green Deal, die USA haben den Biden-Plan: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten?
Die USA und die Europäische Union verfolgen dasselbe übergeordnete Ziel, nämlich die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu bringen. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen: Während Europa vorrangig auf CO2-Bepreisung setzt, verfügen wir in den USA nicht über die nötigen Mehrheiten im Kongress, um ein solches System einzuführen. Stattdessen stehen bei uns sektorspezifische politische Maßnahmen im Fokus. Mit Blick auf eine Zusammenarbeit können sich die genannten Unterschiede als Herausforderung erweisen. Beispielsweise im Handel: Europa plant ein CO2-Grenzausgleichssystem für CO2-intensive Importe. Das heißt, die EU würde bei der Einfuhr von Waren ihren CO2-Preis aufschlagen, wenn diese im Ausland keiner vergleichbaren Bepreisung unterliegen. In der amerikanischen Wirtschaft werden allerdings in naher Zukunft keine CO2-Preise, sondern möglicherweise andere Formen von CO2-Minderungsprogrammen gelten. Wir müssen daher nach Möglichkeiten suchen, um unsere jeweiligen Regelungen gegenseitig anzuerkennen und zu verstehen, dass wir trotz dieser Unterschiede auf dieselben Ziele hinarbeiten.
„Die USA und die EU müssen verstehen, dass sie ein gemeinsames Ziel verfolgen“
Ein „gerechter Übergang“, die sozialverträgliche Ausgestaltung des notwendigen Strukturwandels auf dem Weg zur klimaneutralen Gesellschaft, sind sowohl für die Biden-Regierung als auch für die Europäische Kommission von zentraler Bedeutung. Wie gerecht kann eine solche Transformation angesichts der Dringlichkeit und des Umfangs der tiefgreifenden Veränderungen ausfallen?
Tatsächlich bleibt uns nicht viel Zeit. Wir haben zu lange gewartet und inzwischen einen Punkt erreicht, an dem schnelles Handeln gefordert ist, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, den globalen Anstieg der Durchschnittstemperaturen zu begrenzen. Ein gerechter Übergang stellt uns in diesem Zusammenhang vor die größte Herausforderung. Arbeitnehmer:innen und Gemeinschaften, die auf den Einsatz fossiler Brennstoffe angewiesen sind, müssen sich neu erfinden. Dafür gibt es kein Patentrezept. Zu einem solchen Übergang muss auch die Bereitstellung moderner Energiedienstleistungen für die Hunderten von Millionen von Menschen in aller Welt gehören, die derzeit von solchen Diensten abgeschnitten sind. Solange eine emissionsarme Wirtschaft nicht dazu beiträgt, ihre Lebensumstände zu verbessern, kann sie in keinem Fall eine Lösung bieten. Dies müssen wir im Hinterkopf behalten: Durch unsere Maßnahmen gegen den Klimawandel dürfen sich die Lebensumstände derer, die schon heute benachteiligt sind, nicht weiter verschlechtern.
Derzeit kommen lediglich 2 % der globalen Philanthropie dem Klimaschutz zugute. Wie können Stiftungen im Kampf gegen den Klimawandel einen signifikanten Beitrag zu einem gerechten Übergang leisten?
Stiftungen können auf mehreren Ebenen einen wertvollen Beitrag leisten: Beispielsweise können sie in Projekten veranschaulichen, wie ein gerechter Übergang im kleineren Maßstab aussehen kann. Oder sie können in einem spezifischen Bereich verschiedene Maßnahmen erproben und so aufzeigen, welche davon wirksam sind. Darüber hinaus könnten sie sich auch auf politische Themen und auf Bildungsangebote konzentrieren – denn gebildete Menschen treffen gute Entscheidungen. In diesen Bereichen könnten Stiftungen mit ihren Geldern sehr viel Gutes bewirken.