Klimabedingte Migration

„Hört auf uns! Wir kennen die Probleme und wissen, wie man damit umgeht“

Was sind die Treiber der Migration in Afrika? Diese Frage untersucht das African Migration Observatory der Afrikanischen Union, das sich auf die Generierung von Daten und Wissen konzentriert. Direktorin Dr. Namira Negm erläutert im Interview die Auswirkungen der Klimakrise auf die Migration.

Text
Kerstin Lohse-Friedrich
Bilder
Imago/Xinhua; Imago/Zuma wire; African Union Commission 2018
Datum
21. Februar 2023
38 Mio.Menschen in Ostafrika könnten bis 2025 klimabedingt ihre Heimat verlassen haben

Der afrikanische Kontinent ist am stärksten vom Klimawandel betroffen, obwohl er am wenigsten zur Verursachung beiträgt. Am Horn von Afrika herrscht eine große Dürre, andere Regionen leider unter Überschwemmungen. Widmen die Regierungen des afrikanischen Kontinents den Auswirkungen des Klimawandels die notwendige Aufmerksamkeit?
 
In Afrika wächst das Bewusstsein. Natürlich gibt es bereits zahlreiche Berichte über die Klimakrise in Afrika. Doch bis vor kurzem wurden sowohl die Binnenmigration als auch die Vertreibung und manchmal sogar die Mobilität über Grenzen oder den Kontinent hinweg nicht mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Inzwischen gibt es Analysen, die ganz klar den Zusammenhang zwischen Migration und den Folgen des Klimawandels herstellen. Regierungen auf der ganzen Welt haben erkannt, dass Menschen aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen. Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen: 

Wenn ein Gebiet plötzlich unter einer Dürre oder Überschwemmungen leidet, werden Tausende, manchmal sogar Millionen von Menschen vertrieben. Allein in Somalia gibt es eine Million Binnenflüchtlinge. Nicht wegen des dortigen Kriegs, sondern wegen der Dürre. 

In vielen Ländern Nordafrikas wiederum regnet es entweder gar nicht, oder plötzliche und starke Regenfälle sorgen für Probleme. Aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels sind viele Gebiete gefährdet, darunter das Delta in Ägypten. Dort zeigen der Anstieg des Meeresspiegels, plötzliche und unerwartete Gewitter sowie der Rückgang des Zustroms von Süßwasser aus dem Nil verheerende Auswirkungen. Das Delta beherbergt 50 Millionen Einwohner. Ein Teil des Ackerlandes ist jedoch im Zuge der Versalzung nicht mehr für die Landwirtschaft geeignet. Die Bauern, die früher dort arbeiteten, wandern ab, wahrscheinlich in die Städte. Dies verursacht zusätzliche Probleme. 

Im Senegal müssen die Menschen, die wegen des Anstiegs des Meeresspiegels und der Küstenerosion nicht mehr vom Fischfang leben können, ihre Heimat verlassen. Sie versuchen, eine neue Arbeit zu finden, für die sie häufig nicht qualifiziert sind. Natürlich haben sie Schwierigkeiten, sich an ihre neue Heimat zu gewöhnen. Sowohl die Aufnahmegesellschaften als auch die Neuankömmlinge haben also zu kämpfen. Dies führt bereits jetzt zu Problemen und wird auch künftig eine Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Ländern darstellen. 

Zur Person

Ambassador Dr. Namira Negm

Seit März 2022 ist Botschafterin Dr. Namira Negm Direktorin des African Migration Obervatory der Afrikanischen Union in Rabat. 2017 übernahm sie als erste Frau die Position der Legal Counsel der Afrikanischen Union. Die ehemalige Ägyptische Botschafterin in Ruanda, die an der Universität London in internationalem Recht promovierte, hatte zuvor u.a. die Antikorruptionsabteilung im ägyptischen Außenministerium geleitet und war Juristische Beraterin der Ägyptischen Mission bei den Vereinten Nationen in New York. 

Sie sind Direktorin des African Migration Observatory der Afrikanischen Union. Was ist ihr Hauptziel? Und warum misst die AU dem Thema der (klimabedingten) Migration eine so hohe Priorität bei?
 

Die Afrikanische Union (AU) hat kürzlich drei neue Sonderorganisationen für Migration eingerichtet. Ich leite das African Migration Observatory in Rabat, dessen Aufgabe die Generierung von Daten und Wissen ist.  liegt. Es gibt noch zwei weitere: ein Observatory in Mali mit dem Schwerpunkt auf Forschung und Studien und eines im Sudan, das sich auf die praktische Umsetzung konzentriert. Die AU hat erkannt, dass es den veröffentlichten Daten und Studien über Migration und ihren Ursachen an Kohärenz mangelt und dass sie größtenteils nicht aus Afrika stammen. Es werden daher verlässliche Daten benötigt, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen. 

Ziel des African Migration Observatory ist es, mit den Mitgliedstaaten und regionalen Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika zusammenzuarbeiten, um glaubwürdige Daten zu generieren. Diese können in die regionalen Datenhubs eingespeist werden, um die politischen Entscheidungsträger mit entsprechenden Analysen zu unterstützen. Dies wird dazu beitragen, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, die in Programme umgesetzt werden können. Auf diese Weise sollen die Ursachen bekämpft werden, um die Migration, insbesondere die Klimamobilität auf dem Kontinent, besser zu steuern. 
 

30-40 Mio. Menschen in Westafrika denken darüber nach, aufgrund der Klimakrise ihre Heimat zu verlassen

Die Klimakrise trifft Gemeinschaften hart. Viele Menschen sind gezwungen umzuziehen. Wohin werden sie in den kommenden Jahren ziehen und wie bereiten sich die Länder darauf vor? 

Die vielfältigen Krisen, von denen die Menschen in vielen unserer Länder betroffen sind – Wirtschaftskrisen, Klimakrise und Kriege – führen zu Migration und Vertreibung. Dabei macht die Binnenvertreibung innerhalb von Landesgrenzen den größten Anteil aus. Am Horn von Afrika geht es derzeit um 18 Millionen Binnenflüchtlinge. Natürlich gibt es dafür viele Ursachen, nicht nur den Klimawandel, sondern auch Konflikte, wie in Äthiopien, wo wir die meisten Binnenvertriebenen haben. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ein großer Teil der gesamten Vertreibung auf den Klimawandel zurückzuführen ist. 

Bis 2050 könnte die Zahl der Menschen, die aufgrund der Klimakrise ihre Heimat verlassen müssen, weiter ansteigen: in Ostafrika auf 38 Millionen, in Nordafrika auf 19 bis 20 Millionen und in Westafrika auf 30 bis 40 Millionen Menschen. All diese Zahlen sind erschreckend, weil es sich dabei größtenteils um Entwicklungsländer handelt. Der Anstieg der Zahlen wird davon abhängen, wie es mit der globalen Erwärmung weitergeht. 

Was muss nun also genau getan werden? 

Um unser Wissen über die Ausmaße zu vertiefen, erwarten wir zunächst die Ergebnisse der „Deep Dives“ der Africa Climate Mobility Initiative. Sie arbeitet mit der Afrikanischen Union, der Weltbank und den Vereinten Nationen zusammen, und hat bereits Schlüsseldaten, Prognosen und Empfehlungen für den afrikanischen Kontinent vorgelegt hat, die es wert sind, genauer analysiert zu werden. Im Rahmen der sogenannten Deep Dives werden Städte, ländliche Gebiete, landwirtschaftliche Gemeinden und andere Communities besucht, um zu verstehen, was passiert, welche Migrationsmuster in den Hotspots bestehen und wohin die Menschen sich bewegen. 

Außerdem wird die Initiative Prozesse fortführen, bei denen Frauen, Jugendliche und andere Gruppen im Mittelpunkt stehen. Dies ist zentral, um zu verstehen, wer in der jeweiligen Gemeinschaft am meisten von der Klimakrise betroffen ist, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind und wie ihre Menschenrechte gewahrt werden können. All diese Informationen zeigen, dass die Africa Climate Mobility Initiative und andere Initiativen des African Migration Observatory verstärkt werden müssen, um die Ursachen der Migration zu verstehen und passende Lösungen zu entwickeln.

Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wie wir besser vorausplanen können, um Menschen davor zu bewahren, umziehen zu müssen. Denn wenn man die Betroffenen fragt, werden sie sagen: „Wir wollen nicht auswandern". Sie wollen ihre Familien und ihr Zuhause nicht verlassen. Wenn sie unter guten Bedingungen leben, werden sie nicht weggehen. Sie gehen aus Verzweiflung.

„Der Großteil der Migration, auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel, findet innerhalb und zwischen afrikanischen Staaten statt.“

Zitat vonNamira Negm
Ein Mann läuft vor einem Sandstum in Dollow, Somalia

April 14, 2022, Dollow, Jubaland, Somalia: Ein Mann läuft vor einem Sandsturm in Dollow im Südwesten Somalias. Somalia ist eines der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, und es wird erwartet, dass die Wetterextreme zunehmen werden.

Welche Anstrengungen erwarten Sie von Seiten des Globalen Nordens mit Blick auf die klimabedingte Migration auf dem afrikanischen Kontinent? Könnten Sie einige Beispiele für Gegenmaßnahmen nennen? 

Erstens, und das ist das Wichtigste, muss der Globale Norden seiner Verantwortung gerecht werden und die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren. Zweitens sollten die Länder ihre Zusagen für den auf der COP27 eingerichteten Fonds für Verluste und Schäden erfüllen. Es wird wichtig sein, dass die Mittel leicht zugänglich sind. Gleichzeitig sage ich immer: ‚Hört auf uns! Wir kennen die Probleme, wir kennen die Prioritäten und wir wissen, wie wir sie angehen können.‘ Einige Länder werden in der Lage sein, Ideen in Projekte umzusetzen  und zu finanzieren, andere können das nicht. Die Länder des Globalen Nordens sollten versuchen, die afrikanischen Länder bei der Weiterentwicklung ihrer Ideen und Lösungen zu unterstützen. Sie sollten Ressourcen und Technologien bereitstellen, um unter anderem Frühwarnsysteme und Anpassungspläne zu entwickeln. Dies wird auch dazu beitragen, klimabedingte Migration zu bewältigen. 
 

Sie sind Anwältin, spezialisiert auf Völkerrecht, waren Botschafterin in Ruanda und leiteten die Antikorruptionsabteilung im ägyptischen Außenministerium. Wie fließen diese Erfahrungen in Ihre aktuelle Arbeit ein? 

Nun, ich würde sagen, einmal Anwältin, immer Anwältin. Aber ich denke, all diese Erfahrungen zusammengenommen lassen mich über den Tellerrand hinausschauen. In meiner jetzigen Position geht es mir nicht darum, einfach nur neue und mehr Berichte für politische Entscheidungsträger zu erstellen, die sich vielleicht die Zusammenfassung durchlesen und dann wegducken. Ich versuche, so viele Partner:innen und Regierungen in Afrika zu erreichen, wie ich kann, um letztere bei der Erstellung verlässlicher Daten zu unterstützen. Ich prüfe, wie wir eine praktische und nicht nur theoretische Analyse durchführen können, um unseren Regierungen und Ministerien politische Leitlinien an die Hand zu geben, mit denen sie fundierte Entscheidungen in puncto Migrationspolitik treffen können. Die Treiber der Migration, darunter der Klimawandel, müssen ermittelt und analysiert werden. Und genau das ist mein Ziel. 
 

„Die Treiber der Migration, darunter der Klimawandel, müssen ermittelt und analysiert werden. Und genau das ist mein Ziel.“

Zitat vonNamira Negm

Sie waren die erste Frau in vielen Positionen, die Sie innehatten. Haben Sie einen besonderen Rat für jungen Frauen? 

Mein Rat an Frauen, die auf internationaler Ebene aktiv sein wollen, ist, gegen Klischees anzukämpfen und ihre Träume nie aufzugeben. Das ist das Einzige, was ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann. Man steht möglicherweise vor Hürden, wird diskriminiert, weil man eine Frau ist, oder aus welchen Gründen auch immer. Ab einem bestimmten Punkt sollten sie Ihr Geschlecht vergessen. Ich würde ihnen sagen: ‘Ihr seid Profis, konzentriert Euch darauf und sorgt dafür, dass ihr Vertrauen in Euch selbst habt. Denn Euch fehlt nichts im Vergleich zu anderen. Ihr habt einen Verstand, den Ihr nützen könnt, um Eure Ziele zu erreichen. Das Einzige, was ihr tun müsst: Konzentriert Euch und arbeitet hart für Eure Ziele!“

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