Landdegradation in Niger

(Über-)Leben mit dem Klimawandel

Jedes Jahr gehen in Niger 100.000 Hektar fruchtbares Land durch den Klimawandel verloren. Doch die Wüstenbildung ist nicht unumkehrbar. Wie ein Projekt in der Sahelzone nicht nur die Vegetation zurückbringt und die Ernte verfünffacht, sondern auch die Beziehungen zwischen den Menschen und ihrem Land verändert.

Text
Ghaya ben Mbarek
Bilder
Ali Moctar (Afroto)
Datum
24. Oktober 2022

Am ersten Tag unserer Reise in die Kommune Illéla besuchen wir das Dorf Kiré Kafada in einem verlassenen felsigen Tal in Zentral-Niger, wo Mitglieder dreier Stämme – der Tuareg, Peul und Hausa – gemeinsam ihr Land wieder begrünen wollen. Als wir uns dort auf den Boden setzen, erzählen sie uns, wie stolz sie auf das Erreichte seien. „Lasst uns zuerst um Segen bitten“, sagt ein Stammesmitglied und fordert uns auf, die Hände zu heben, um gemeinsam zu beten – ein Zeichen für die tiefe spirituelle Verbindung der Menschen zu ihrem Land.

Abdou Degi, 82 Jahre alt, einer der Ältesten, erzählt, warum ihre Vorfahren diesen Ort einst als Siedlungsplatz wählten. „Dieses Gebiet war ein Wald, der so dicht war, dass wir nicht einmal mitbekamen, wenn eine Kuh ihr Kalb zur Welt brachte“, sagt Abdou Degi. „Vor 40 Jahren war dieses Tal bewaldet, den ganzen Hügel hinauf“, sagt Ibrahim Abdoulaye, ein Bauer. „Es war schwierig, Parzellen für Baumwolle oder Süßkartoffeln anzulegen.“ Der 44-jährige Abdoul-Aziz Guidan Karo fügt hinzu: „Das Tal war auch ein Rückzugsgebiet für wilde Tiere wie Elefanten und Hyänen.“ An jedem Tag unserer Reise hören wir Geschichten über die grüne, üppige Vergangenheit, in der es fast zu viele Bäume gab. Wenn wir uns umsehen, können wir das kaum glauben. 

Das Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Temperaturen in der Sahelzone steigen 1,5-mal schneller als im globalen Durchschnitt. Schon heute machen unfruchtbare, kahle Flächen einen Großteil des nigrischen Staatsgebietes aus. Jedes Jahr gehen weitere 100.000 Hektar, die sich für Land- oder Weidewirtschaft eignen, verloren – durch Erosion und Landdegradation, ein Prozess, bei dem sich der Boden so verschlechtert, dass dort am Ende nichts mehr wächst. Gleichzeitig sind 85 Prozent der nigrischen Bevölkerung für ihren Lebensunterhalt auf Landwirtschaft angewiesen und daher besonders betroffen von Klimawandelfolgen wie Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden oder Wüstenbildung. Im Jahr 2015 verpflichtete sich die Republik Niger im Rahmen der African Forest Landscape Restoration Initiative (AFR100), bis 2029 3,2 Millionen Hektar degradierte Flächen wieder fruchtbar zu machen. Schließlich steht seit 2010 im Artikel 34 der Verfassung Nigers: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine gesunde Umwelt.“

Degradierte Flächen in Illela
Frauen auf den wüsten Feldern
In den Tälern der Illéla-Region wuchsen früher große Bäume. Kann dieses Ökosystem durch harte, gemeinschaftliche Arbeit wiederhergestellt werden?

Das World Resources Institute (WRI), ein Partner der Robert Bosch Stiftung, hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem nigrischen Umweltministerium und dessen Abteilung für Wasser und Wälder einen Aktionsplan für die Region Illéla ausgearbeitet. Das Ziel: die landwirtschaftliche Produktivität der Böden steigern und die Folgen des Klimawandels durch Anpassungsstrategien abmildern. Dazu gehört, dass bei der Restauration des Lands das Wissen und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden. Um herauszufinden, wie dieses Vorhaben das Leben der Menschen in der Region verändert, machten wir, ein Reporterteam im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, uns auf eine Reise in den Südwesten Nigers.

Illéla liegt knapp 500 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Niamey. Als der Jeep-Konvoi des Umweltministeriums nach einer zehnstündigen, holprigen Fahrt in der Provinzstadt Tahoua hält, hat die Dämmerung die Umgebung schon verschluckt. Am nächsten Morgen breitet sich eine endlose hügelige Landschaft in Gelb, Ocker und Orange vor unseren Augen aus. Doch diese scheinbare Gleichförmigkeit beherbergt verschiedene Biotope, die von den Menschen traditionell ganz unterschiedlich genutzt wurden. Da sind die Plateaus, auf denen das Vieh weidet, das wegen der ausbleibenden Regenfälle aber immer weniger Nahrung findet. Da sind die Hänge, die besonders von Erosion betroffen sind, aber trotzdem zunehmend als Ackerflächen dienen. Und da sind die Täler, in denen sich in der Regenzeit Flüsse und Tümpel bilden, worin Sorghum, Mais, Erdnüsse und Gemüse angebaut werden und fünf bis zehn Meter hohe Bäume wachsen. „Neben der Landdegradation sind die demografische Entwicklung und die schnell wachsenden Viehbestände unsere größte Herausforderung“, sagt Professor Tougiani Abasse vom National Institute of Agricultural Research of Niger und wissenschaftlicher Berater des WRI. Die Bevölkerung in Illéla wird sich von 170.000 im Jahr 2017 bis 2045 fast verdreifachen, weshalb immer mehr ungeeignete Flächen bewirtschaftet werden und von Degradation bedroht sind. Der steigende Holzbedarf der Menschen führt zu mehr Abholzung, dadurch wird die Vegetation ausgedünnt, und die natürliche Regenerationsfähigkeit des Bodens sinkt.

Tor zur Kommunalverwaltung Maire
Workshop von Professor Abasse
Der Schlüssel zu einem nachhaltigen Projekt liegt darin, dass die Kommunalverwaltungen und die Menschen vor Ort das Steuer in die Hand nehmen. Expert:innen wie Professor Abasse (ganz rechts) liefern Wissen und Feedback.

„Ich lebe seit zehn Jahren in der Region, und in dieser Zeit hatten wir nur eine einzige zufriedenstellende Ernte“, erzählt Salifou Garba, regionaler Umweltdirektor von Illéla und „Colonel Papa“ genannt, der auch unser Hausa-Übersetzer ist.

Eigenverantwortung und lokales Wissen sind Voraussetzung für nachhaltige Veränderungen

Die Republik Niger gehört seit Jahrzehnten zu den Ländern mit der geringsten Ernährungssicherheit weltweit und liegt auf dem letzten Rang des Human Development Index. In Niger hat man viele und nicht immer nur gute Erfahrungen mit Hilfs- und Entwicklungsprojekten gemacht. „Oft kommen internationale Organisationen, bringen Standardlösungen und verschwinden nach Abschluss des Projekts wieder“, sagt Colonel Papa. Im Aktionsplan für Illéla der Partner WRI und Umweltministerium heißt es: „Top-down-Ansätze führen dazu, dass die Betroffenen keine Verantwortung für die Restaurationsmaßnahmen übernehmen, sie vernachlässigen oft das lokale Know-how und sind nicht sehr nachhaltig.“ Diesen Fehler wollte man in Illéla nicht wiederholen und bezog von Beginn an die lokalen Verwaltungsbehörden, die Gemeinde- und Stammesführung und die Bevölkerung mit ein. Es wurden Workshops mit Männern und Frauen durchgeführt, um die Situation vor Ort besser zu verstehen, Wissen zu vermitteln, eine gemeinsame Vision zu entwickeln – und dann den Prozess voranzutreiben. „In einem ersten Schritt geht es darum, ein Problembewusstsein zu schaffen“, sagt Professor Abasse, „damit die Menschen das Phänomen der Landdegradation verstehen und wie es mit dem Klimawandel zusammenhängt.“

Autorin Ghaya Ben Mbarek in Illéla in einer Menschengruppe
Unsere Autorin Ghaya Ben Mbarek (Mitte) und Salifou Garba, der Umweltdirektor von Illéla (rechts daneben), im Gespräch mit Dorfbewohner:innen.

Der Boden auf den Plateaus und an den Hängen ist trocken und hart, fast wie ockerfarbener Asphalt. Wir begleiten eine Gruppe von Arbeiter:innen, darunter viele Frauen und junge Menschen, die mit Hacken und anderen Werkzeugen die harte Erdkruste aufschlagen und sogenannte „Halbmonde“ anlegen, circa 50 Zentimeter tiefe und vier bis fünf Meter lange, geschwungene Gruben, in denen sich Wasser und Nährstoffe sammeln. Das steigert die Fruchtbarkeit der Böden. Diese Form der Bodenbearbeitung hat Tradition, erklärt Colonel Papa: „Schon vor langer Zeit grub man hier kleine Löcher, um Wasser zu sammeln und dann Hirse anzupflanzen.“

Es ist eine harte, körperlich anstrengende Arbeit. „Wir haben über Monate den ganzen Tag gearbeitet, alle zusammen, Männer und Frauen“, erzählt Hadizatou Tanko, ein Landwirt aus Kiré Kafada. Indem die höher gelegenen Flächen bearbeitet werden, schützt man auch die Flussbetten und Tümpel im Tal vor Verschlammung. Neue Anpflanzungen und eine nachhaltige Holzernte, bei der Triebe im Boden verbleiben, tun ein Übriges. Fünf Jahre nach Beginn der ersten Restaurationsarbeiten wachsen im Flusstal wieder Bäume. „Es ist der ganzen Gemeinschaft zu verdanken, dass unsere Kinder hier nun wieder Gummiarabikum sammeln können“, sagt Hadizatou Tanko. Wie es scheint, führt die gemeinsame Arbeit auch zu einem neuen Gefühl der Zugehörigkeit. „Die Arbeit verändert die Beziehung der Leute zu ihrem Land“, sagt Professor Abasse. Mit ihren eigenen Händen sammeln die Menschen die Steine von den Feldern, formen daraus mit Dünger und Dung gefüllte Pflanzbottiche, in denen Pflanzen wachsen, die lange verschwunden waren. „Dass diese Arten wieder in das Gebiet zurückkehren, gibt den Leuten ein Gefühl von Kontrolle“, sagt Abasse.

Aushebung bei großer Hitze
Halbmond-Aushebung im Niger
In der extremen Hitze bearbeiten die Menschen die Erde, indem sie sogenannte Halbmonde ausheben. In diesen Anlagen sammeln sich Wasser und Nährstoffe.

Nach all der harten Arbeit wird geprüft, ob sich die Mühen lohnen. Die Erzählungen der Dorfbewohner:innen in Illéla machen Mut, aber das WRI hat auch eine Kosten-Nutzen-Analyse dazu durchgeführt, wie die Maßnahmen das Leben und Wirtschaften verändert haben. Auf Flächen, die wiederhergestellt wurden, hat sich der Hirseertrag mehr als verfünffacht im Vergleich zu den nicht bearbeiteten Flächen – ähnlich verhielt es sich mit dem Ertrag von Sorghum und Erdnüssen. Außerdem kehrten Wildtiere in diese Gebiete zurück, mehr Holz und Futter wurde gewonnen.

Was sind die lokalen Lehren für die globale COP27-Konferenz?

Aber nicht das gesamte Bild ist rosig, oder besser gesagt: grün. Nicht alle bearbeiteten Flächen konnten restauriert werden. Und in der Analyse des WRI heißt es deutlich: „Die Ziele der Gemeinde Illéla bei der Restauration des ländlichen Raums werden nur schwer zu erreichen sein, wenn nicht ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen, um die Best-Practice-Beispiele zu skalieren – das heißt, sie auf andere Regionen zu übertragen.“

Auf der COP27 in Scharm El-Scheich im November 2022 soll der Stand der AFR100-Initiative von den teilnehmenden Staaten überprüft werden. Die Zwischenbilanz ist durchwachsen: Einerseits wurden große Landflächen in Subsahara-Afrika restauriert, andererseits fehlen vielerorts finanzielle Ressourcen und nicht immer ist absolut transparent nachvollziehbar, wohin die Gelder fließen. In der zweiten Phase des Projekts wird deshalb ein Fokus darauf liegen, Wege und Finanzierungsmechanismen zu etablieren, über die das Geld lokale Communities – wie die in Illéla – direkt erreicht. Die Überzeugung dahinter: Damit Restaurationsprojekte in der Breite funktionieren, müssen die Menschen vor Ort darüber entscheiden können, wofür sie das Geld im Kampf gegen die Klimakrise einsetzen.

Frauen im Niger
Die Restaurationsprojekte verändern auch die lokale Wirtschaft und geben zum Beispiel jungen Menschen und Frauen eine neue Perspektive.

Unter einem Baum besprechen die Bewohner:innen mit Professor Abasse und Colonel Papa die Lage. Der Austausch ist Teil des Alltags und des Konzepts: Landbesitzer:innen und Arbeiter:innen, Mitarbeitende von Staats- und Stammesbehörden, Männer und Frauen, alte und junge Menschen diskutieren über die Restauration ihrer Landflächen. Die Bewohner:innen sprechen bei Entscheidungen mit und kontrollieren den Prozess. Das Komitee soll mit ähnlichen Gruppen in anderen Gemeinden auf regionaler und nationaler Ebene zusammenarbeiten, um Erfahrungen zum Restaurationsprozess auszutauschen und eine Art Werkzeugkasten zu erarbeiten.

Der Kampf gegen die Degradation verändert das Land und die Umwelt, aber auch die lokale Wirtschaft und die Art und Weise, wie die Menschen zusammenleben. Menschen, die nicht mehr von ihrem eigenen Land leben können, können mit dem Lohn für die Restaurationsmaßnahmen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen. „Wir haben uns mit Leib und Seele in diese Arbeit gestürzt, weil sie für uns sehr viele Vorteile hat“, sagt die 65-jährige Mariama Aboubacar. „Wir erhalten alle drei Wochen einen festen Geldbetrag.“ Aber sie spricht nicht nur über das Geld und ihren Lebensunterhalt, sondern auch über das große Ganze: „Wir sind wirklich zufrieden damit, wie sich unser Land verändert hat. Und das ist für alle die größte Motivation.“

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"People take responsibility for their country themselves"

Zur Orientierung

Westafrika

Illéla liegt im Südwesten des Nigers. Das Reporter:innen-Team der Robert Bosch Stiftung brauchte mehr als zehn Stunden, um den Ort von der Hauptstadt Niamey aus mit zwei Jeeps des Umweltministeriums zu erreichen. Das Frühjahr ist die heißeste Jahreszeit – tagsüber hatte es selten weniger als 45 Grad Celsius.

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Über das Projekt

African Forest Landscape Restoration Initiative

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Die Wiederherstellung von Waldlandschaften als wichtige Kohlenstoffspeicher unseres Planeten ist für unseren Kampf gegen den Klimawandel und die Stärkung von Klimaresilienz von entscheidender Bedeutung. Der politische Wille, sich des Themas anzunehmen, wächst: Die African Forest Landscape Restoration Initiative (AFR100) umfasst 32 Länder, die zugesagt haben, bis 2030 insgesamt 128 Millionen Hektar Land aufzuforsten – eine Fläche mehr als dreimal so groß wie Deutschland. Nun müssen diese nationalen Zusagen in Restaurationserfolge vor Ort verwandelt werden. Wir unterstützen das World Resources Institute (WRI), eines der Hauptpartner der AFR100, darin, Restauration in zwei Schlüsselregionen, Makueni in Kenia und Illéla in Niger, voranzutreiben und entlang von Gerechtigkeitsprinzipien neu zu denken.

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