Das Einwanderungssystem der EU macht viele Arbeitsmigrant:innen abhängig von ihren Arbeitgebern, sagt Expertin Lilana Keith von unserer Partnerorganisation PICUM. Was sich ändern muss und wie PICUM darauf hinarbeitet, erklärt sie hier.
Arbeitsmigrant:innen gibt es in fast allen Wirtschaftsbereichen, und viele von ihnen leben unter prekären Bedingungen. Dabei unterscheiden sich Arbeiter:innen aus Nicht-EU-Ländern von solchen aus EU-Ländern in erster Linie durch ihren Aufenthaltsstatus und ihre Arbeitserlaubnis. Oftmals ist die Arbeitsgenehmigung direkt an den Arbeitgeber und Job gebunden, was in der Regel eine starke Abhängigkeit vom Arbeitgeber und einer bestimmten Stelle mit sich bringt, was Aufenthaltsstatus, Arbeitsgenehmigung, Einkommen und manchmal sogar die Unterkunft anbelangt. Und weil sie häufig die geltenden Vorschriften nicht kennen, sind solche Arbeiter:innen in vielen Fällen zusätzlich von den Informationen abhängig, die ihnen ihr Arbeitgeber gibt, der sich im Übrigen nicht selten auch um die administrativen Abläufe kümmert.
Auf diese Weise schafft das Einwanderungssystem eine Abhängigkeit der Arbeitsmigrant:innen von dem Arbeitgeber, der für ihre Arbeitsgenehmigung sorgt. Wenn überhaupt, bleiben diesen Menschen meist nur sehr riskante Alternativen. Gleichzeitig ist für viele Arbeitsmigrant:innen die Auswanderung aber mit hohen Investitionen verbunden. Viele sind hoch verschuldet und haben kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren könnten. Ihre Arbeitserlaubnis zu verlieren und das Land wieder verlassen zu müssen, bedeutet für sie möglicherweise, alles zu verlieren, wofür sie sich eingesetzt haben.
Es ist durchaus üblich, dass Arbeitsmigrant:innen weniger als den Mindestlohn erhalten und dass sie – teilweise extrem viele – unbezahlte Überstunden machen. Löhne werden zurückgehalten und teilweise erst Tage, Wochen oder sogar Monate später ausgezahlt – wenn überhaupt. Wir nennen das Lohndiebstahl. Die Arbeitsbedingungen sind oft extrem schlecht: Es gibt keine geeignete Arbeitsschutzausrüstung, keine Pausen, die Menschen erhalten kein Geld, wenn sie krank werden, und können keinen Urlaub nehmen. In vielen Fällen ist nicht vorhersehbar, ob es genug oder viel zu viel Arbeit gibt. Auch in puncto Stabilität und Sicherheit herrscht Fehlanzeige: Menschen werden von einem Tag auf den anderen entlassen, ohne Angabe von Gründen oder eine Abfindung.
Wir wollen vor allem systemische Veränderungen auf institutioneller und politischer Ebene bewirken. Unter anderem wollen wir für besseren Zugang zu Arbeitsgenehmigungen sorgen. Denn die aktuellen Kriterien und Bedingungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis spiegeln weder die Realität auf dem Arbeitsmarkt noch die Bedürfnisse der Arbeitsmigrant:innen wider. Durch die Arbeitsmigrationsregelungen vieler Länder ist es ihnen schlicht unmöglich, für bestimmte Tätigkeiten eine Genehmigung zu erhalten, etwa weil sie die Kriterien nicht erfüllen oder weil nicht genügend Arbeitsgenehmigungen verfügbar sind. Oder weil sie keine Papiere oder nur ein Touristenvisum haben und innerhalb desselben Landes keine Genehmigung beantragen dürfen.
Gleichzeitig wollen wir aber auch keine x-beliebige Erlaubnis um jeden Preis. Wir wollen vor allem bessere Genehmigungen: mit längerer Laufzeit, einfacher zu erneuern, besser auch hinsichtlich der Mobilität innerhalb des Arbeitsmarktes und der Unabhängigkeit vom Arbeitgeber, mit mehr Rechten für Familien, auf soziale Unterstützung und für einen geregelten Aufenthalt.
Ist die Arbeitsgenehmigung direkt an den Arbeitgeber gebunden, stehen die Menschen, sobald sie ihren Job verlieren, ohne Papiere da. Arbeitnehmer:innen ohne gültige Papiere stehen bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber aber oft nicht dieselben Rechtsmittel zur Verfügung wie anderen Bürger:innen. Arbeitsmigrant:innen sind in der Regel auch keine Gewerkschaftsmitglieder; das macht es schwierig und riskant für sie, die Beschwerdemechanismen der Arbeitsaufsicht zu nutzen oder vor ein Arbeitsgericht zu ziehen, um zu ihrem Recht zu kommen. Wir gehen zwar nicht davon aus, dass sehr viele Arbeitsmitgrant:innen diese durchaus komplexen Rechtsmittel in Anspruch nehmen würden. Sind sie ihnen aber von Anfang an versperrt und haben sie keine Möglichkeit, ihre Rechte auszuüben, gibt das den Arbeitgebern quasi einen Freibrief zur Ausbeutung.
Solche Systeme wollen wir ändern. Wir wollen dafür sorgen, dass alle Arbeiter:innen – auch die ohne Papiere – ihre Rechte wahrnehmen und mit ihren Arbeitgebern verhandeln können und dass sie, falls diese ihnen ihre Rechte nicht zugestehen, auch die Möglichkeit haben, Rechtsmittel einzulegen.
Eine der wichtigsten Reformen betrifft das Recht, den Arbeitgeber zu wechseln – das war auch eine unserer Prioritäten bei der Überarbeitung der Regeln. Zumindest auf dem Papier ist diese Änderung durchaus ein Schritt nach vorn. Arbeitsmigrant:innen haben nun das Recht, den Arbeitgeber zu wechseln, und gleichzeitig wurden die Möglichkeiten der Regierungen begrenzt, dieses Recht wieder einzuschränken. Jetzt müssen wir abwarten, wie die Praxis aussieht, und dafür sorgen, dass sich die von den Regierungen eingeführten Verfahren für den Arbeitgeberwechsel im Vergleich zu den aktuell geltenden Bedingungen dann auch tatsächlich wesentlich verbessern: hin zu einem einfachen, kostenlosen, schnellen und vorhersehbaren Ablauf.