Interview

„Für den Frieden gewinnen Klimaprognosen an Bedeutung“

Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Konflikten auf der ganzen Welt sind komplex. Die International Crisis Group verbindet Feldforschung mit Big-Data-Analysen, um Frühwarnzeichen für klimabedingte Konflikte zu identifizieren. Dr. Comfort Ero, Präsidentin und Geschäftsführerin der International Crisis Group, erklärt, wie dieser Ansatz die Politikgestaltung grundlegend verändern und viele Leben retten könnte.

Text
Henry Alt-Haaker
Bilder
D. SALA, CRISIS GROUP / J. DAVID DE LOSSY
Datum
23. Januar 2023

Frau Dr. Ero, wo bestehen gegenwärtig Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen dem Klimawandel und Konflikten?

Comfort Ero: Es gibt einen wachsenden Konsens darüber, dass man den Klimawandel als „Risikoverstärker“ betrachten muss. Das bedeutet, dass der Klimawandel bestehende Gefahren für Frieden und Sicherheit verschärft. Doch dieses Konzept ist für politische Entscheidungsträger:innen nur von begrenztem Nutzen. Wenn man diesen etwa berichtet, dass die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Auseinandersetzungen bei steigenden Temperaturen zunimmt, dann wissen sie trotzdem nicht, wie sie die Gewalt beenden können – außer vielleicht durch die Reduzierung von Emissionen. Die Aufgabe der International Crisis Group besteht darin, praktische Empfehlungen zur Konfliktprävention zu geben. Wir suchen deshalb nach direkten, klar identifizierbaren Verbindungen zwischen Klimawandel und Konflikten, auch wenn Gewalt natürlich von vielen weiteren Faktoren mit verursacht wird.

„Das Bewusstsein, dass Friedensförderung klimasensibel und Klimaarbeit konfliktsensibel sein sollte, breitet sich zwar bereits aus, aber noch nicht genug.“

Zitat vonDr. Comfort Ero, Vorsitzende & Geschäftsführerin der Crisis Group

Können Sie uns ein Beispiel für eine solche direkte Verbindung nennen?

Es gibt drei Situationen, in denen die Wechselwirkungen besonders stark sind. Erstens: der Wettbewerb um schwindende Ressourcen. Zweitens: die sicherheitspolitischen Konsequenzen von Massenmigration. Drittens: grenzübergreifende Streitigkeiten, insbesondere um Wasser. In unserem jüngsten interaktiven Briefing zum Südsudan spielen die ersten beiden Punkte eine wichtige Rolle: Durch nie da gewesene Überschwemmungen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, wurde das Hirtenvolk der Dinka in Richtung Süden nach Äquatoria verdrängt. In der Folge kam es mit den dort ansässigen Bauern zu Konflikten um Ressourcen. Diese Spannungen könnten den schwelenden Bürgerkrieg im Land neu entfachen. Denn die Äquatorianer:innen stören sich schon seit Generationen an den nomadisch lebenden Hirten, die Wasser, fruchtbares Land und andere lokale Ressourcen verbrauchen – lange Zeit mit staatlicher Unterstützung.

Hat die Peacebuilding-Community diese Wechselwirkungen erst seit Kurzem im Blick?

Regierungsvertreter:innen haben dafür ein größeres Problembewusstsein als früher. Aber sie wissen vielleicht noch nicht, wie sehr moderne meteorologische Modelle das Potenzial von Frühwarnsystemen vergrößert haben – dadurch entstehen neue Handlungsspielräume. Denn je besser die Klimaprognosen werden, desto effektiver können Regierungen und Behörden eingreifen. Was nicht bedeutet, dass dies auch geschieht. Ein Mangel an Wissen ist schließlich nicht der nicht einzige Grund, warum Regierungen nicht das Richtige tun. Aber: Wenn wir – wie bei dem Beispiel aus dem Südsudan – wissen, dass es in der kommenden Regenzeit in einer Region zu schweren Überschwemmungen kommen wird und wenn historische Daten nahelegen, dass die dadurch verursachte Migration einander feindlich gesinnte Gruppen in Kontakt bringt, dann entsteht ein signifikantes Zeitfenster, um das Problem anzugehen.

Zwei Frauen genießen den Sonnenuntergang am Sirwan-Fluss im Irak.
Zwei Frauen genießen den Sonnenuntergang am Sirwan-Fluss im Irak. Dort drohen im Iran errichtete Staudämme die Menschen von ihrer Wasserversorgung abzuschneiden. Alle Bilder in diesem Artikel sind Teil des Fotoprojekts „A water story“ von Daniela Sala.

Weitere Regionen, in denen ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konfliktpotenzial deutlich sichtbar ist, sind der Nahe und der Mittlere Osten und Nordafrika.

Obwohl der Klimawandel ein globales Problem ist, entstehen Risiken für Klimasicherheit stets in einem bestimmten Kontext und durch lokale Mechanismen. Wer sich mit Fragen zu Konfliktentstehung und -beschleunigung beschäftigt, darf Governance nicht vernachlässigen. Gute Regierungsführung kann viel dazu beitragen, die Verbindung zwischen Klimawandel und Konflikten zu durchbrechen – schlechte Regierungsführung bewirkt das Gegenteil. Das kann man zum Beispiel an der Stadt Basra im Südirak sehen. Schlechte Wasserqualität und Wassermangel stehen dort seit Jahren im Mittelpunkt von Protesten, die überregionale Auswirkungen haben. Anderswo im Irak haben die harten Lebensbedingungen in manchen Gebieten es dem IS einfach gemacht, neue Anhänger zu rekrutieren. Dennoch würde niemand behaupten, dass der Klimawandel für die Entstehung der Gruppe verantwortlich war.  

Müssen wir angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel Konflikte auf der ganzen Welt anheizt, neue Peacebuilding-Ansätze finden?

Das Bewusstsein, dass einerseits Peacebuilding klimasensibel und andererseits Klimaarbeit auch konfliktsensibel sein muss, verbreitet sich – aber wir stehen immer noch am Anfang. Die UNO hat in dieser Hinsicht wichtige Fortschritte gemacht und Klimaberater für ihre Missionen in Somalia, am Horn von Afrika und künftig im Irak ernannt. Auch wenn die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und einem bestimmten regionalen Konflikt nicht immer genau erforscht sind, so steht eindeutig fest: Jede Peacebuilding-Mission in einer Region, die vom Klimawandel betroffen ist, muss sich mit diesen Fragen beschäftigen. Die Erfolgschancen einer Mission verringern sich, wenn relevantes Fachwissen nicht genutzt wird – das gilt für das Thema Klima wie für das Thema Wirtschaft und alle anderen Fachgebiete.

Vorhin sagten Sie, dass es nicht genüge, darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel Konflikte verschärft, sondern dass wir die Prozesse besser und detaillierter verstehen müssten. Könnten Klimadaten in Zukunft eine Art politische Krisenvorhersage liefern?

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Methode der Konfliktprognose deutliche Einschränkungen hat. Wir sollten lieber von Frühwarnsystemen als von Vorhersagen sprechen. Ganz am Anfang steht stets die Frage, wonach und wo genau man sucht – die Datenanalyse muss immer durch Vor-Ort-Recherchen ergänzt werden. Trotzdem: Im Bereich der Klimasicherheit haben diese Risikovorhersagen ein besonderes Potenzial, schließlich sind Klimaprognosen auf Basis empirischer Daten wesentlich zuverlässiger als andere Vorhersagemodelle.

Bei der International Crisis Group kombinieren wir die Ergebnisse unserer Feldforschung mit Geodaten und klimawissenschaftlichen Erkenntnissen, um Risiken und mögliche Handlungsräume zu identifizieren. Wir haben ein dreistufiges System: Zuerst nutzen wir quantitative Analysen und Feldstudien, um die klimatischen Sicherheitsrisiken in einem bestimmten Land zu bewerten – etwa wenn zu einer langen Konfliktgeschichte eine akute Wasserknappheit hinzukommt. Im zweiten Schritt versuchen wir, aufgrund der Datenlage und meteorologischer Vorhersagen zu berechnen, wann und wie eine durch den Klimawandel verursachte Notlage und eine bestimmte politische Konstellation zu einer akuten Krise führen könnten. Und im dritten Schritt kommunizieren wir dieses Risiko an relevante Akteur:innen wie Regierungen oder multilaterale Institutionen und besprechen, in welcher Form interveniert werden soll.

Laut ihrem Mission Statement arbeitet die International Crisis Group daran, „Klimasicherheit in den Klimadiskurs zu integrieren“. Wie genau tun Sie das?

Etwa die Hälfte der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, leidet auch unter Konflikten. 88 Prozent der Binnenvertriebenen weltweit leben in Ländern, in denen es Konflikte gibt. Wir bei der International Crisis Group kümmern uns um Konfliktprävention. Deshalb ist uns dieser Zusammenhang sehr bewusst. Aber auch die politischen Entscheidungsträger:innen müssen sich damit auseinandersetzen. Wir hatten schon zu Beginn unserer Arbeit die Gelegenheit, eine Präsentation zu Klimawandel und Sicherheit vor dem UN-Sicherheitsrat zu halten. In letzter Zeit haben wir an einer Anhörung im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses teilgenommen, sprachen während der UN-Generalversammlung bei einem Panel auf Ministerebene zum Thema und führten vor dem Klimagipfel COP27 Gespräche auf höchster Ebene – unter anderem mit dem Gastgeberland Ägypten. Es braucht Zeit, politische Entscheidungsträger:innen zu beeinflussen, aber wir sehen Fortschritte.

Ein ausgedörrtes Flussbett.
Kawa Salar unter Palmen.
Das irakische Kurdistan leidet seit langem unter Wasserkrisen. Der Bauer Kawa Salar baute früher Reis und mehrere Fischfarmen an. Doch wegen der Wasserknappheit versucht er nun, auf die Ernte von Dattelpalmen umzusteigen.

Was wäre ein Beispiel für diesen Fortschritt?

Ägypten hat beispielsweise im Zuge unserer Beratung die Initiative „Climate Responses for Sustaining Peace“ ins Leben gerufen – mit Unterstützung des Cairo International Center for Conflict Resolution, Peacekeeping and Peacebuilding und in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union. Dieses Projekt ist das erste seiner Art. Und Deutschland, ein Vorreiter im Klimaschutz, hat auf Grundlage unserer Arbeit in Nigeria ein neues Klima- und Konfliktgremium ins Leben gerufen. Dennoch muss mehr getan werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen die Bedürfnisse jener Länder berücksichtigen, die mit einem Kaleidoskop von Konflikten und Klimarisiken konfrontiert sind. Dazu gehört auch die Klimafinanzierung, die dazu neigt, Länder zu übersehen, die sich in einem Konflikt befinden.

Sie haben in vielen von Konflikten betroffenen Ländern gearbeitet, von den pazifischen Inseln über den afrikanischen Kontinent bis Bosnien. Wie hat das Ihre Sicht auf die Welt und auf das Leben beeinflusst?

Für mich ist es eine echte Herzensangelegenheit, das Leid und das Sterben durch Kriege zu beenden – und es ist auch die Mission der International Crisis Group. Ich habe meine Jugend in Nigeria in der Zeit nach dem Bürgerkrieg verbracht und später mit vielen unterschiedlichen Communitys gearbeitet, die von Konflikten betroffen waren. Dadurch hat sich in mir die grundlegende Überzeugung verfestigt, dass wir mit präziser Analyse, praktischen Handlungsempfehlungen und gezielter Lobbyarbeit den Konfliktparteien über ihre Differenzen hinweghelfen können – und so Menschenleben retten.

In gewisser Weise ist diese Überzeugung heute wichtiger denn je. Wir leben in einer Zeit tiefgreifender geopolitischer Umwälzungen und Spannungen. Das multilaterale System hat Mühe, Antworten auf die aktuellen Herausforderungen zu finden. Millionen von Menschen leiden weiterhin, und Tausende sind in Ländern wie Syrien oder dem Jemen auf der Flucht. All dies kann unseren Versuch, tödliche Konflikte zu beenden, vergeblich erscheinen lassen. Aber genau deshalb hält die International Crisis Group ihren Kurs. Lange nachdem andere aufgegeben haben, drängen wir auf weiter reichende Maßnahmen.  Von kleinen politischen Reformen, die das Leid einfacher Bürger:innen lindern, bis hin zu Friedensabkommen, die jahrzehntelange Kämpfe beenden – jeden Tag entdecke ich neue Argumente, die meine grundlegende Überzeugung bekräftigen: In einer von Krieg und Konflikten zerrissenen Welt können wir viele Leben retten.

Dr. Comfort Ero

Sie ist Präsidentin und Geschäftsführerin der International Crisis Group, der weltweit führenden Organisation für Konfliktlösung. Seit Beginn ihrer beruflichen Laufbahn arbeitet sie in, mit und für Länder, die von Konflikten betroffen sind, zum Beispiel als Beauftragte für politische Angelegenheiten der UN-Mission in Liberia oder als stellvertretende Direktorin des Afrika-Programms des International Centre for Transitional Justice (2008–2010). Ero kam im Jahr 2001 als Projektleiterin für Westafrika zur International Crisis Group und wurde im Dezember 2021 zur Präsidentin ernannt. Dr. Comfort Ero hat an der London School of Economics promoviert und ist Mitglied der Redaktionsausschüsse verschiedener Fachzeitschriften, darunter „International Peacekeeping“.

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