Undercover bei Extremist:innen

Unter Webtrollen: Die Extremismusforscherin Julia Ebner begibt sich mit Tarnidentitäten in rechtsextreme Onlinemilieus. 

Jan Abele | Juni 2020
Julia Ebner
Sophie Green

Julia Ebner erforscht, wie rechtsextreme digitale Bewegungen strategisch gelenkt werden.

Von außen betrachtet sieht Julia Ebners Arbeitsplatz nicht anders aus als der anderer Wissenschaftler:innen. Der Unterschied ist, dass sie sich von ihrem Schreibtisch aus in Welten begibt, in denen Kriege geplant werden. Ebner, 1991 in Wien geboren und zurzeit Doktorandin an der Universität von Oxford, ist Extremismusforscherin. Sie untersucht ein gesellschaftliches Phänomen, das seine Anfänge oft im Verborgenen nimmt, im Extremfall aber schon mehrmals die Weltöffentlichkeit schockierte: Die rassistisch motivierten Attentäter etwa von Christchurch, El Paso, Pittsburgh oder Halle hatten sich vor ihren Taten vor allem in einschlägigen Internetforen radikalisiert. „Rechtsextremismus ist nicht neu, sondern die Art und Weise, wie er sich heute konstituiert und wirkt“, erzählt Julia Ebner. Um an diese Informationen zu gelangen, begab sie sich unter verschiedenen Identitäten selbst in die virtuellen Subkulturen. Das sind zum Beispiel Plattformen wie 4chan oder Messenger-Dienste wie Telegram. „Es ist ein Irrglaube, dass solche extremistischen Biotope nur verborgen im Darknet gedeihen. Oft braucht es nur einen Klick, um von einem YouTube-Video oder einer Facebook-Gruppe in einem einschlägigen Forum zu landen“, sagt Ebner. 

Rechtsextremismus ist nicht neu, sondern die Art und Weise, wie er sich heute konstituiert und wirkt.

Ihre Motivation, sich ins Auge des Sturms zu begeben, erklärt sich auch direkt aus einem Vorfall, der drei Jahre zurückliegt. Damals stand Tommy Robinson, einer der weltweit einflussreichsten ultrarechten Aktivisten und Gründer der rechtsextremen English Defence League vor ihrem Schreibtisch. Vor laufender Kamera beschuldigte er sie der Verbreitung von Unwahrheiten, um den Mitschnitt dann auf seinem YouTube-Kanal hochzuladen. Das Video wurde hunderttausendfach geklickt, Ebners damaliger Arbeitgeber massiv bedroht. Sie verlor ihren Job, weil ein rechter Krawallmacher mithilfe der sozialen Medien eine Gewalt mobilisieren kann, die nicht allein die Meinungsfreiheit bedroht – sondern in der Konsequenz die Demokratie. 

Ich wollte auch verstehen, inwiefern die Bewegungen strategisch gelenkt werden.

Heute arbeitet Julia Ebner für das Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London. Ihre Erfahrungen fließen dort in Studien und Gutachten ein, die etwa Regierungen weltweit dabei helfen, das neue Phänomen der Radikalisierung im Netz zu verstehen sowie Präventions- und Lösungskonzepte zu erstellen. Ebners Grundlagenforschungen sind auch Teil der aktuellen ISD-Studie „Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure“, die von der Robert Bosch Stiftung gefördert wurde und die verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Regierungen und Behörden weltweit genau darüber informiert sind, welche Gefahren für das Gemeinwohl täglich online entstehen.

Ebners Tarnidentität: Philosophiestudentin Jennifer Mayer. Deren Leben konstruierte sie bis ins Detail.
Sophie Green

Ebners Tarnidentität: Philosophiestudentin Jennifer Mayer. Deren Leben konstruierte sie bis ins Detail.

Im Laufe ihrer Netz-Recherchen merkte Ebner auch, wo sie an Grenzen stieß. „Man bekommt ja nur so viel zu sehen wie andere User auch. Ich wollte aber auch verstehen, inwiefern die Bewegungen strategisch gelenkt werden.“ So sei etwa die Kommunikationsstrategie der „Identitären Bewegung“, einer jungen rechtsextremistischen Organisation, die derzeit in Europa massiv expandiert, nicht allein in Onlineforen zu analysieren. Julia Ebners Recherchen traten in die Phase zwei: Sie machte undercover weiter, nun allerdings in der realen Welt. Dafür entwickelte sie eine Tarnidentität: Jennifer Mayer, Philosophiestudentin, deren Leben sie bis in kleinste Detail „wie eine Romanfigur“ konstruierte. Mit gefälschtem Twitterprofil suchte sie Kontakt zu den Identitär:innen und nahm schließlich sogar, mit Perücke getarnt, an konspirativen Treffen der Gruppe teil. 

Wenn sie gefragt wird, was sie befähigt, einen solchen Mut aufzubringen, dann antwortet sie nach einigem Zögern, dass ihr ein gewisses Maß an Naivität und Risikobereitschaft zu eigen sei. „Und die Einstellung, dass alles möglich ist, wenn man bereit ist, Grenzen zu überschreiten.“ Dass ihre Mutter Schauspielerin sei, mag auch hilfreich gewesen sein, ergänzt sie.