Nachwuchswissenschaftler for Future
Zehntausende junge Menschen beteiligen sich weltweit an den Demonstrationszügen der Protestbewegung „Fridays for Future“ und fordern mehr Klimaschutz. Sie sind laut, engagiert und haben das Thema mit Nachdruck auf die politische Agenda gebracht. Ihre Forderungen an die Politik erarbeiteten die Jugendlichen gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlern, die vorgeschlagenen Maßnahmen beruhen auf aktuellen Erkenntnissen. Wie Jugendliche im Austausch mit Wissenschaftlern unseren Alltag konkret nachhaltiger gestalten, zeigte der zweite Jugendkongress von „Our Common Future“.
Im Schnitt sind es nur 25 Minuten, ehe eine Plastiktüte im Mülleimer landet. Im starken Kontrast dazu steht die Verfallsdauer: Bis zur vollständigen Zersetzung dauert es 10 bis 20 Jahre. Eine Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen sind Biokunststoffe. Sie sind genauso robust, flexibel und dazu noch biologisch abbaubar. Das Problem: Sie verrotten zu langsam und können schlecht recycelt werden, da es kaum Trennsysteme oder Verwertungsanlagen gibt. Wie können Biokunststoffe also modifiziert werden, damit sie besser recycelbar sind? Dieser Frage gehen Schüler eines Lüneburger Gymnasiums gemeinsam mit Wissenschaftlern der Leuphana Universität seit zwei Jahren in Laborwochen, Workshops, auf Exkursionen und im Unterricht nach. Einer dieser Schüler ist Luca Girod: „Mich interessiert das Thema Nachhaltigkeit, ich bin chemie-affin und setze mich mit Alternativen zu fossilen Brennstoffen auseinander. Deswegen wollte ich mitmachen.“
Gemeinsam mit Wissenschaftlern echte Forschungsfragen lösen
Luca und seine Mitschüler arbeiten an einem Projekt von „Our Common Future“, bei dem Schüler zusammen mit Wissenschaftlern Forschungsfragen rund um Nachhaltigkeit nachgehen und konkrete Lösungsansätze finden. Ihre Idee für die Recycling-Problematik der Biokunststoffe: Mithilfe organischer Bindungen an den Kunststoffketten werden Sollbruchstellen montiert, die von der Natur besser gelöst werden können. Im ersten Forschungsjahr hat die künstliche Spaltung noch nicht zufriedenstellend funktioniert, dafür durch weitere Anpassungen im zweiten Jahr. Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Werkstoffrecyclings. Ihre ersten Ergebnisse stellt Luca beim Jugendkongress in Stuttgart vor, genau wie Schüler, Lehrer und Wissenschaftler anderer Projekte aus ganz Deutschland. Beim Kongress haben sie die Möglichkeit sich zu neuen Ideen, ihren Erfahrungen und Herausforderungen auszutauschen.
Beim Jugendkongress kommen die Teilnehmer verschiedener Projekte aus ganz Deutschland zusammen und präsentieren ihre Ideen, Erfahrungen und Ergebnisse - so wie Luca (Mitte).
Zwischen Hürden und Erfolgen im Forschungsprozess
Dass im Forschungsprozess nicht immer alles sofort funktioniert, haben auch rund 20 Jugendliche des Gymnasiums Carolinum in ihrem Projekt mit der Universität in Osnabrück erfahren. Sie erforschen nicht nur, ob vegetarische Fleisch- und Wurstersatzprodukte tatsächlich eine nachhaltige Alternative sind, sondern nehmen auch die Verpackung in den Blick. „Da gibt es auch Frustrationserlebnisse. Eine Lösung anzusetzen geht nicht so schnell wie erwartet, sondern dauert zwei Stunden. Das sind Erfahrungen, die wichtig sind“, sagt Chemiedidaktiker Prof. Dr. Marco Beeken. Bei ihm lernten die Schüler nicht nur viel über die Belastung der Umwelt durch Mikroplastik, sondern auch, was alles zu Wissenschaft gehört: Alle Messwerte und Beobachtungen müssen detailliert erfasst und protokolliert werden, Genauigkeit, Geduld und Sorgfalt sind besonders wichtig.
„Das Tolle ist, dass Schüler unvoreingenommen an Fragen herangehen. Sie bringen Optimismus mit, testen Ideen und probieren einfach aus.“
Das zahlt sich aus: Die Schüler haben zwei technische Verfahren zur Trennung von Mikroplastik entwickelt, die von der Fachwissenschaft der Universität publiziert und angewendet werden. Eine der Trennmethoden dient als quantitatives Verfahren, um genau zu bestimmen, wie viel Mikroplastik sich in einem Kosmetikprodukt befindet: Mithilfe einer Pad-Espressomaschine und individuell befüllbaren Kaffeepads wird beispielsweise Peeling mehrfach aufgebrüht. Das Mikroplastik sammelt sich dabei im Sieb und kann anschließend weiter analysiert werden.
„Das Tolle ist, dass Schüler unvoreingenommen an Fragen herangehen. Sie bringen Optimismus mit, testen Ideen und probieren einfach aus, ganz nach dem Motto ‚Das kriegen wir hin‘. Ich dagegen denke sofort an Probleme,“ erzählt Prof. Dr. Beeken. Ihm als Wissenschaftler gefällt die Langfristigkeit des Projekts: „So arbeiten die Schüler regelmäßig an einem Problem, in diesem Fall über zwei Jahre. Das ist eine intensive Begegnung. Sie leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung von wissenschaftlichen Experimenten.“ Durch die eigene Forschung entdecken sie, wie Wissenschaft zur Lösung globaler Probleme beitragen kann und lernen Möglichkeiten einer nachhaltigeren Lebensweise kennen.
Nachhaltigkeitsforschung zum Anfassen und Ausprobieren: Schüler des Johannes-Kepler-Gymnasiums Lebach erforschen gemeinsam mit Wissenschaftlern der Hochschule Trier, wie Kunststoffe wiederaufbereitet und daraus mit Hilfe von 3D-Druckern Ersatzteile hergestellt werden können.
Vom Experiment zum festen Bestandteil im Lehrplan
Auch Teilnehmer bereits abgeschlossener Projekte teilen ihre Erfahrungen auf dem Jugendkongress und zeigen, wie die Forschungsarbeit nach Projektende weitergehen kann. Als Experiment der Heinrich Heine Gemeinschaftsschule und Universität Halle entstand der „Garten der Kulturen“. Mitten in Halle-Neustadt, umgeben von grauen Betonbauten, gestalteten die Schüler eine urbane Brachfläche nach den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung. Der Boden wurde geoökologisch untersucht, um zu bestimmen, welche Pflanzen für den Anbau geeignet sind, und die Anwohner einbezogen: Was für Anforderungen und Bedarfe haben verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen an einen Gemeinschaftsgarten? Mittlerweile gibt es an der Gemeinschaftsschule eine Garten-AG, die sich hauptverantwortlich um den Garten kümmert. Auch auf dem Lehrplan wird der Garten als fester Bestandteil eingegliedert - nicht nur für den Biologieunterricht ist er spannend, sondern auch für Schulfächer wie Ethik und Deutsch.
Die Forderung nach mehr
So verschieden die Forschungsansätze sind, in einigen Punkten sind sich die Jugendlichen einig. Die Projekte vertiefen vorhandenes Wissen und bestärken sie, kritisch nachzufragen, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet und wie man sich dafür einsetzen kann. „Da gibt es Nachholbedarf für jeden, auch Aufklärungsarbeit ist wichtig. Benutzt weniger Kunststoffe, erhöht euer Konsumbewusstsein, trennt Müll. Denkt nachhaltig und schmeißt nicht zu viel Essen weg“, lautet der Appell von Luca. Seine Ziele für die Zukunft? „Ich möchte gerne die erste Firma für elektrische Wohnmobile gründen. Oder eine selbstversorgende Wohnsiedlung aufbauen.“ Und die anderen? „Viele wollen jetzt nach der Schule etwas mit Naturwissenschaft studieren“, sagt Prof. Dr. Beeken.