Eine neue Agenda für Afrika und Europa in 2021
Die Covid-19-Pandemie hat erneut vor Augen geführt, dass internationale Zusammenarbeit unerlässlich ist, um gegen Ungleichheit und weltweite Krisen anzugehen. Wie kann hierbei das Narrativ über Afrika verändert werden – von einem Fall für humanitäre Hilfen hin zu einem Kontinent, der Chancen und Investitionen für Europa zu bieten hat? Was können junge Menschen, die Zivilgesellschaft und Städte tun, um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa zu gestalten? Ein Essay über Chancen für beide Kontinente von Obiageli Ezekwesili, Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy, und Suma Chakrabarti, Vorsitzender des Kuratoriums des Overseas Development Institute (ODI).
Am 24. Februar 2021 entluden Mitarbeitende die erste Lieferung von Covid-19-Impfstoffen, die von der COVAX-Einrichtung am Kotoka International Airport in Accra, der Hauptstadt Ghanas, verteilt wurden.
2021 ist ein bedeutendes Jahr für die Beziehungen zwischen Afrika und Europa. Die Corona-Krise hat beide Kontinente hart getroffen, sowohl in humanitärer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Weg zur Erholung ist ungewiss. Während die Impfkampagnen in manchen europäischen Ländern rasch voranschreiten, freute man sich in Afrika, als man Ende Februar die erste Impfstoff-Ladung in Ghana entgegennehmen konnte. Es war das Ergebnis eines neuen Engagements der G7-Staaten zur Unterstützung der COVAX-Initiative und zur Weitergabe von Impfstoffüberschüssen. Die Ungleichheit im Impffortschritt auf beiden Kontinenten bleibt groß. Inzwischen ist sogar die Rede von einer neuen „Impfstoff-Diplomatie“ als Starthilfe für eine neue und ausgeglichenere Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa. Wird es funktionieren?
Die Vorzeichen sind bestenfalls gemischt. Der ursprünglich für das Jahr 2020 angesetzte und mit großer Spannung erwartete Gipfel der Afrikanischen und Europäischen Union (AU-EU) wird wohl bis auf Weiteres nicht stattfinden können. Ein für Dezember geplanter virtueller Mini-Gipfel im Rahmen des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs wurde in letzter Minute von Cyril Ramaphosa, dem damaligen Präsidenten der AU-Kommission, abgesagt. Das Interesse sei zu gering. Der aktuelle portugiesische EU-Ratspräsident drängt zwar darauf, ein Datum für einen Gipfel im Frühjahr festzusetzen, doch die Covid-19-Pandemie erschwert die Terminfindung, und eine Aussage der AU zu einem passenden Datum steht noch aus. Ob es nun einen Gipfel geben wird oder nicht: Für die Erholung von der Pandemie braucht es in jedem Fall eine starke Beziehung zwischen Afrika und Europa, und im Jahre 2021 muss es hier Fortschritte geben.
Über die Person
Obiageli "Oby" Ezekwesili ist Senior Economic Advisor bei der Africa Economic Development Policy Initiative (AEDPI) und Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy. Sie war die Vizepräsidentin der Weltbank für die Region Afrika, Gründungsdirektorin von Transparency International und ist ehemalige nigerianische Bildungsministerin sowie Ministerin für feste Mineralien.
Die Coronakrise als Lehrstück internationaler Kooperation
Um das zu erreichen, müssen wir zurück ans Reißbrett und ganz neu darüber nachdenken, welche Themen für beide Kontinente am wichtigsten sind. Wenn wir durch die Covid-19-Pandemie eines gelernt haben, dann, dass wir eine stärkere internationale Zusammenarbeit brauchen, um globalen Herausforderungen zu begegnen, uns gegenseitig mit unseren Stärken zu unterstützen und von den jeweiligen Erfahrungen zu lernen. Zum Beispiel sollte und könnte viel aus dem Umgang Afrikas mit Covid-19 gelernt werden und daraus, wie entscheidend die innerafrikanische Zusammenarbeit bei der Eindämmung der Ausbreitung des Virus war, basierend auf früheren Erfahrungen im Umgang mit Pandemien.
Diese Lehren können weltweit dabei helfen, besser für künftige globale gesundheitliche Herausforderungen gewappnet zu sein. Viren reisen ohne Visum. Wir brauchen deshalb gemeinsame Systeme und eine Vernetzung, die es uns ermöglicht, künftige Pandemien Seite an Seite zu bekämpfen. Ebenso ist es jetzt unbedingt erforderlich, gemeinsam einen gerechten Zugang zu Impfstoffen sicherzustellen, damit wir alle baldmöglichst geschützt sind und die Erholung von der Krise grenzüberschreitend beschleunigen können.
Dringende politische Themen auf dem Weg zu einer engeren Zusammenarbeit
Als nächstes sollten wir uns wieder auf die wichtigsten politischen Themen konzentrieren, die Afrika und Europa gemeinsam bearbeiten können. Und zwar in Form einer Zusammenarbeit in großem Maßstab anstatt auf der Grundlage von „Projekten“. Nur so können wir auch große globale Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien, Handel und die Zukunft der Arbeit angehen. In manchen Bereichen sind bereits Fortschritte zu verbuchen. Gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit wird nötiger sein denn je, um Afrikas Rückkehr in die Normalität nach der Pandemie zu unterstützen. Dazu gehört auch eine Anpassung finanzieller Instrumente und Prioritäten an diese neue Realität. Darüber hinaus müssen wir ungelöste aktuelle Themen und Meinungsverschiedenheiten bearbeiten, wie etwa das heikle Thema der Migration zwischen den Kontinenten.
In den letzten Jahren hat Europa es versäumt, gemeinsam mit Afrika die Realitäten von Migration und Mobilität mit Fokus auf geteiltem Wohlstand und gemeinsamen Chancen zu bearbeiten. Stattdessen setzte Europa in Sachen Migration allein auf Sicherheit, Eindämmung und Abschreckung. Es ist an der Zeit, hier einen Schritt weiterzugehen. Um diese Spannungen anzugehen und aufzulösen, brauchen wir eine neue, mutigere Vision, gekoppelt an entschlossenes Handeln und an Investitionen.
Über die Person
Sir Suma Chakrabarti ist Vorsitzender des Kuratoriums des Overseas Development Institute (ODI). Zuvor war er von 2012 bis 2020 der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Während seiner Präsidentschaft bei der EBRD erweiterte er den geografischen Schwerpunkt der Institution auf den Nahen Osten, setzte einen Fokus zur Unterstützung der ärmsten Länder und die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Er begann seine internationale Entwicklungskarriere als ODI Fellow in Botswana in den frühen 1980er Jahren.
Neue Allianzen brauchen neue Perspektiven
Ausgangspunkt dafür muss der Ansatz sein, dass Afrika und Europa nicht nur Nachbarn, sondern auch strategische Partner sind. Dazu gehört auch, verschiedene Dimensionen der regionalen Zusammenarbeit zu nutzen und so die bestehenden Plattformen und Instrumente sowohl der Afrikanischen als auch der Europäischen Union sowie der regionalen Entwicklungsbanken und anderer wichtiger Beteiligter einzusetzen und zu stärken.
Da, wo es noch politische Stolpersteine gibt, braucht es neue Investitionen in multilaterale Ansätze; und parallel dazu müssen wir neue oder stärkere Bündnisse schmieden. Der Wiedereinstieg der USA in internationale Prozesse bietet die Möglichkeit, die weltweite Zusammenarbeit an Schlüsselthemen zu verstärken. Die EU und die AU haben jetzt die einmalige Chance, in den transatlantischen Beziehungen einen neuen Ton anzuschlagen.
„Es liegt im Interesse Europas, Afrika nicht länger durch die humanitäre Brille, sondern als Handelspartner zu sehen.“
Der Wettbewerb zwischen den USA und China bietet Europa die Gelegenheit, einen Schritt nach vorne zu treten und weltweite strategische Zusammenarbeit aufzubauen, insbesondere in Afrika. Kurz gesagt, bietet sich gerade jetzt die einmalige Chance, einen Rahmen für neue, multilaterale Kooperationen nach der Pandemie zu schaffen – und dabei ist Afrika der naheliegendste Bündnispartner für Europa. Zudem ist Afrika auch ein potenzieller Geschäftspartner Europas. Es liegt also im Interesse Europas, Afrika nicht länger durch die humanitäre Brille, sondern als Handelspartner zu sehen.
Dafür braucht es in der EU jedoch neue Denkstrukturen und Perspektiven. Afrika könnte zum Beispiel wichtige Fähigkeiten zur Verfügung stellen, um die demografischen Bedarfe Europas zu erfüllen. Dies wird sich sehr wahrscheinlich aufgrund des unmittelbar und langfristig entstehenden Arbeitskräftemangels in den für die Erholung von der Pandemie entscheidenden Sektoren wie Gesundheits- und Sozialversorgung oder Landwirtschaft weiter verstärken. Um diese Engpässe zu beheben, wird es entscheidend sein, Mechanismen der Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Qualifikation und der Visaregelungen zu entwickeln – das aber erfordert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa. Einige der Vorschläge des neuen EU-Asyl- und Migrationspakts signalisieren bereits eine Bewegung in diese Richtung, doch es muss noch viel mehr geschehen, damit die sogenannten „Talent Partnerships“ gegenseitige Vorteile für beide Kontinente bieten.
„Wir können es uns nicht leisten, die Möglichkeiten einzuengen, die Migration für Wirtschaft und Gesellschaft bietet.“
In der Migrationsfrage sind auch nichtstaatliche Akteure gefragt
Private Stiftungen, Arbeitgebende und Investierende sowie Diaspora- und gewerkschaftliche Organisationen sind in den kommenden Jahren allesamt Schlüsselgruppen für eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Klima und Handel. Wir wissen, dass Migration und Mobilität ein mächtiger Motor der wirtschaftlichen Entwicklung sein können. Zu viele Einschränkungen limitieren den potenziellen Nutzen von Migration – und zwar sowohl für diejenigen, die gehen als auch für diejenigen, die bleiben. Arbeitgebende brauchen Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, ganz gleich, woher sie kommen. Das ist in Zeiten der Digitalisierung und des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft umso wichtiger. Wirtschaftssysteme müssen sich ändern und anpassen. Neue Fähigkeiten sind gefragt, für neue und andersartige Jobs.
Wir können es uns ganz einfach nicht leisten, den Zugang zu Arbeitsmärkten durch Migrationspolitik zu beschränken und die Möglichkeiten einzuengen, die Migration für Wirtschaft und Gesellschaft bietet. Und zu guter Letzt braucht Europa einen klügeren und wirksameren Ansatz für Investitionen des Privatsektors in Afrika. Viele klein- und mittelständische europäische Unternehmen würden gerne nach Afrika expandieren, aber dafür braucht es Systeme, Visa und Unterstützung.
Fokus auf Kommunen und Städte
In Zukunft werden wir mehr und bessere Investitionen in Kommunen und Städte brauchen. Während Migrationspolitik Sache nationaler Regierungen ist, nehmen immer mehr lokale Politiker das Heft selbst in die Hand, wenn es um grenzüberschreitende Zusammenarbeit geht.
Eine Gruppe visionärer Bürgermeister aus Städten in Afrika und Europa, allen voran Mailand und Freetown, arbeiten bereits zusammen daran, ihre Städte zu Orten zu machen, an denen junge Menschen sich weiterentwickeln können, an denen Migration eine Wahlmöglichkeit ist und Neuankömmlinge rasch ein Zuhause finden. Der aus dieser Initiative entstandene, von den Städten organisierte Dialog der Bürgermeister über Wachstum und Solidarität liefert praktische Lösungen für Migration und Mobilität, indem Aktivitäten und Ressourcen gebündelt werden und man in Schlüsselbereichen der Stadtentwicklung zusammenarbeitet. Dazu gehören auch umweltverträgliche Wirtschaftsmodelle, Projekte im Wohnungswesen, weitere städtische Leistungen und inklusive regionale Verwaltungen.
Video ansehen: Unsere Diskussion mit Obiageli Ezekwesili and Suma Chakrabarti
Die Zivilgesellschaft in Afrika und Europa – insbesondere junge Menschen – spielt eine Schlüsselrolle dabei, migrationsfeindlichen Narrativen etwas entgegenzusetzen und lokale Innovation voranzutreiben. Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen leisten häufig einen Beitrag zur Erprobung praktischer Lösungsansätze zur Bewältigung des Wandels von Fähigkeiten und Technologien. Ebenso sind es zivilgesellschaftliche Organisationen, die bei Menschenrechtsverletzungen eine gewisse Kontrolle auf europäische Regierungen ausüben, insbesondere seit der so genannten „Flüchtlingskrise“ 2015.
Junge Menschen in Afrika und Europa können das Narrativ der Beziehungen zwischen beiden Kontinenten verändern, das historisch stark durch den transatlantischen Sklavenhandel und die Kolonialzeit geprägt ist. Daher ist es eine kluge Investition, junge Menschen dabei zu unterstützen, über Kontinente hinweg zusammenzuarbeiten und Lösungen für globalen Herausforderungen zu entwickeln.
Schließlich haben wir gelernt, dass es nicht ausreicht, polarisierende Themen wie Migration allein anhand von wirtschaftlichen Daten und Fakten sowie Kosten-Nutzen-Rechnungen zu bearbeiten, um europäische Politiker zu einem Beitrag zu einem konstruktiven Narrativ zu bewegen. Wir brauchen einen ehrlichen Dialog auf der Basis von konkreten Vorschlägen und erprobten Konzepten von Think Tanks, Stiftungen und anderen Akteuren; nur so können wir die Kluft zwischen politischen Narrativen und der gelebten Realität von Menschen auf der Flucht überwinden. Dieser Dialog muss an unsere gemeinsamen Anstrengungen im Mittelmeer angeschlossen werden, damit wir als stärkere und gleichberechtigtere Partner aus der Coronakrise hervorgehen.