Was bedeutet es, eine Flucht- oder Migrationsgeschichte zu haben und queer zu sein? Drei Beteiligte unseres Programms für queere Geflüchtete und Migrant:innen erzählen ihre Geschichten: von teils erfüllten Hoffnungen auf ein freieres Leben in Deutschland, aber auch von doppelter Diskriminierung.
Wer in Deutschland Flucht- oder Migrationsgeschichte hat, für den steigt das Risiko, strukturell diskriminiert zu werden – sei es auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem oder im täglichen Leben. Gehört die Person zusätzlich zur LGBTIQ+-Community, kommen Ausgrenzung und Anfeindungen gleich von mehreren Seiten. Vor welchen Hürden stehen Menschen angesichts dieser Mehrfachdiskriminierung? Wir haben mit drei Beteiligten aus unserem Programm für queere Geflüchtete und Migrant:innen gesprochen, die diese Situation hautnah erleben – und sich gerade deshalb dafür einsetzen, sie zu verbessern.
Wir fördern Organisationen und Initiativen, die sich für queere Geflüchtete und Migrant:innen einsetzen, gemeinsam mit dem LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Demnächst beginnt eine neue Förderphase, bis zum 31. Juli 2025 werden Bewerbungen angenommen.
In Kenia, wo ich als queere Aktivistin aktiv war, habe ich immer einen Weg zur Flucht gesucht. In meiner Heimat ist Queerness ein gesellschaftliches Tabu, das selbst in toleranten Familien als Schande wahrgenommen wird. Ich habe zum Beispiel oft erlebt, dass lesbische Frauen dazu gedrängt wurden, wenigstens ein Kind mit einem Mann zu bekommen, wenn sie schon nicht heiraten wollten. Zwangsehen, Konversionstherapie oder geschlechtsspezifische Gewalt sind nur einige Formen von Missbrauch, die queere Menschen in Kenia erleben.
Ich selbst wurde von meiner Familie zu einer religiösen Therapie für meine Homosexualität gezwungen und dort körperlich und seelisch missbraucht. In Nairobi, wo ich studiert habe, gibt es – anders als in ländlichen Regionen – zwar eine Infrastruktur für queere Menschen, aber diese Räume sind oft elitär und klassizistisch. Selbst, wenn man, wie ich, Kontakt zu anderen hatte, war man ständig in Gefahr, verhaftet oder angegriffen zu werden.
Hier sehe ich Frauen, die sich auf offener Straße an den Händen halten und denke daran, wie oft ich für eine scheinbar so kleine Sache fast verhaftet wurde.
Ich wollte nicht mehr in Angst leben – das war meine größte Hoffnung, als ich 2021 nach Deutschland kam. Zum Teil hat sich das bewahrheitet. Hier sehe ich Frauen, die sich auf offener Straße an den Händen halten und denke daran, wie oft ich für eine scheinbar so kleine Sache fast verhaftet wurde. Gleichzeitig erlebe ich, so wie viele andere queere Geflüchtete, auch strukturelle Diskriminierung. Während des Asylverfahrens zum Beispiel müssen wir nachweisen, dass wir wirklich queer sind – etwas, das heteronormativen Geflüchteten oder queeren Deutschen nie passieren würde. Ich musste eine lange, auslaugende Befragung durchmachen. Transmenschen berichten von herabwürdigenden Prozeduren, bei denen sie teils aufgefordert werden, ihren Intimbereich zu zeigen.
In den Wohnheimen bekommen wir zudem kaum Informationen über unsere Rechte. In ganz Brandenburg, wo ich damals lebte, gab es keine Unterkunft, die auf die Bedürfnisse von queeren Geflüchteten ausgelegt ist. Das sollte sich ändern. Zum Glück habe ich nach einer Weile Kontakt zur Initiative International Women Space bekommen und von dort aus meine Community aufgebaut. Mit der Arbeitsgruppe Resilient Voices wollen wir queere Stimmen hörbar machen. Wir gehen zum Beispiel aktiv in die Unterkünfte, um die Isolation dort aufzubrechen und zu zeigen, dass man bei uns Anschluss finden kann. Außerdem bieten wir Workshops für queere Geflüchteten an, die sich an ihren Bedürfnissen orientieren. Hier sind die Menschen mehr als das, was das System für sie vorsieht: Hier haben sie einen Ort, um kreativ zu sein und sich auszuleben.
Ich wurde schon in der Schule aufgrund meiner Migrationsgeschichte anders behandelt als meine Mitschüler:innen. Bei kleinen Fehlern wurde ich härter bestraft, für das Gymnasium wurde ich zunächst gar nicht erst empfohlen. In der 5. Klasse sollte ich Referate über den Islam halten – als wäre ich als Alevite Experte dafür. Damals habe ich noch nicht verstanden, dass ich hier gerade Rassismus erlebe. Dazu kam, dass ich Queerfeindlichkeit in der Schule gelernt habe, weswegen ich nie eine gesunde Beziehung zu mir aufbauen durfte. Also habe ich mich möglichst cis-hetero-normativ verhalten, um besser anzukommen. Auch in meiner Familie haben wir nicht offen über Sexualität gesprochen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich mich bis zu meinem 20. Lebensjahr gegen meine Homosexualität gewehrt und mich erst mit 25 geoutet habe.
Queere Geflüchtete werden immer wieder exotisiert und fetischisiert, ihnen werden bestimmte sexuelle Attribute zugeschrieben.
Doch auch die Existenz in der weißen queeren Community war nicht leicht: Wie viele queere Menschen, die eine Migrations- oder Fluchtgeschichte haben, wurde ich mehrfach diskriminiert. Es hat mich am Anfang geschockt, dass Rassismus sogar in dieser Community offen ausgeübt wird, von Menschen, die selbst von Diskriminierung betroffen sind – durch Paternalismen, etwa, dass manche in Geflüchteten eine Art „Hilfsprojekt“ und keine gleichwertigen Menschen sehen. Außerdem werden queere Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte immer wieder exotisiert und fetischisiert, ihnen werden bestimmte sexuelle Attribute zugeschrieben.
Mit meiner Antidiskriminierungsarbeit und dem Verein Queeraspora versuche ich, Menschen Angebote mit sichereren Bedingungen anzubieten. Sie sollen zum Beispiel eine Art Think Tank Space bekommen, um sich gegenseitig und mit der Gesamtgesellschaft über ihre Themen austauschen zu können. Ich verstehe das nicht als Engagement, sondern habe ein Gefühl von Verpflichtung und vor allem Arbeit. Ich bin da durch strukturelle Ausschlüsse hineingeraten, die meinen Körper und meine Seele beeinflusst haben. Diese Arbeit ist leider eine Notwendigkeit und erst getan, wenn der ideelle Sinn der Arbeit erreicht ist: Es kann kein demokratisches Umfeld geschafft werden, wenn Diskriminierungen koexistieren.
Ich bin mit der Hoffnung auf echte Freiheit nach Deutschland gekommen. Wenn ich mich in Palästina mit anderen queeren Menschen getroffen habe, hatten wir ständig Angst davor, entdeckt, verprügelt oder verhaftet zu werden. Der Staat akzeptierte uns nicht – mich als Transfrau schon gar nicht. Es gilt in Palästina als schlimm, homosexuell zu sein. Transsexualität ist in den Augen der Gesellschaft noch viel schlimmer. Wenn ich mir zum Beispiel Kleidung kaufen wollte, wurde ich von den Verkäuferinnen beleidigt und hinausgeworfen. Es war eine schreckliche Art zu leben und ich habe mich 2018 entschieden, mein Land zu verlassen.
Ich hoffe, dass andere queere Geflüchtete hier einfacher ankommen – und dass ihnen klar ist, dass es auch in Deutschland kompliziert ist und es viele Hürden gibt.
Ich wollte an einem Ort sein, an dem mein Körper so aussehen darf, wie meine Seele sich fühlt – und ich habe mir gewünscht, von Menschen so angenommen werden, wie ich bin. Bisher hat sich diese Hoffnung allerdings noch nicht erfüllt. In Deutschland sagen die Leute zwar, ich sei normal, aber das stimmt so nicht. Ich bin in einer besonderen Lage und brauche eine andere Art der Unterstützung als andere Menschen. Obwohl ich seit 18 Monaten hier bin, kann ich zum Beispiel meine Hormontherapie nicht weiterführen, weil die Kostenübernahme immer wieder abgelehnt wird. Ich verstehe das nicht.
Die Flüchtlingsunterkunft, in der ich lebe, ist außerdem nicht auf queere Menschen ausgerichtet. Ich lebe mit acht Männern zusammen, habe ein sehr kleines Zimmer und teile mir mit den anderen ein Bad. Ich fühle mich nicht wohl und habe das Gefühl, meine Bedürfnisse werden nicht gesehen. Die Türkische Gemeinde Baden-Württemberg ist für mich in meiner Situation ein sicherer Raum. Die Menschen dort fangen mich auf, helfen mit bei Arztterminen oder kämpfen mit mir um die Bewilligung meiner Hormontherapie. Ich bin wirklich dankbar dafür. Ich hoffe, dass andere queere Geflüchtete hier einfacher ankommen – und, dass ihnen klar ist, dass es auch in Deutschland kompliziert ist und es viele Hürden gibt. Ich wünsche mir, dass das System mehr auf die Belange der Menschen achtet.