Mit bewaffneten Rebellen reden

Die Anzahl bewaffneter Konflikte in der Welt ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich gestiegen - und mit ihr die Anzahl der gegeneinander kämpfenden nicht-staatlichen Gruppierungen. Ein Weg, solche Konflikte dauerhaft zu lösen, ist die Mediation. Sie ist ein akzeptiertes Mittel, um von allen Seiten akzeptierte Vereinbarungen zu finden. Doch wo liegen die Grenzen der Mediation? Dürfen Mediatoren auch mit bewaffneten, nicht-staatlichen Gruppierungen reden? Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 diskutierten Experten diese Frage auf Einladung der Robert Bosch Stiftung: „Crossing Red Lines: Talking to Armed Groups“.

Robert Bosch Stiftung | Februar 2019
Podium
MSC/Müller

Auf dem Podium (v.l.n.r.): David Harland, Moderatorin Jennifer Welsh, Ghassan Salamé und Ine Eriksen Søreide.

Mediation – die Vermittlung in Friedensprozessen – ist seit Jahren als Mittel zur nachhaltigen Konfliktlösung anerkannt und trägt in vielen Krisen dazu bei, langfristige und von allen Seiten akzeptierte Vereinbarungen zu schaffen. Eine besondere Herausforderung stellt die Einbindung bewaffneter Gruppierungen dar. Denn die Anzahl bewaffneter Konflikte ist im vergangenen Jahrzehnt massiv angestiegen - und mit ihr auch die Anzahl der Konfliktparteien innerhalb dieser Konflikte. In zwei Dritteln aller Konflikte stehen sich mehr als zwei Parteien gegenüber.

„Wir sind gewillt, dieses Risiko auf uns zu nehmen.“

Über diese Entwicklung und die damit verbundenen Risiken für multilaterale, staatliche und private Mediatoren diskutierten Experten auf der Veranstaltung „Crossing Red Lines: Talking to Armed Groups“ auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz. Der Einladung der Robert Bosch Stiftung folgte auch die norwegische Außenministerin Ine Eriksen Søreide. Sie bekräftigte vor rund 70 Gästen, dass ihr Land Mediation als Instrument für Konfliktbearbeitung aktiv unterstütze: „Norwegen ist gewillt zu scheitern, da die meisten Mediationsversuche scheitern. Wir sind gewillt, dieses Risiko auf uns zu nehmen.“ Auch wenn eine Mediation scheitere, sei der Versuch nicht vergeblich, sondern bilde oft den Ausgangspunkt für künftige Verhandlungen.

Der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, hob hervor, dass es für den Vermittlungserfolg ausschlaggebend sei, den richtigen Zeitpunkt für den Austausch auch mit bewaffneten Gruppen zu finden. „Es ist schwierig, die Geschichte neu zu schreiben, aber wenn dies möglich wäre, müssten wir uns in vielen Fällen fragen, wie viel es in Konflikten gekostet hat, so lange gewartet zu haben, mit bewaffneten Gruppen in Kontakt zu treten“. Wenn der Kontakt erst in einer akuten Krisensituation erfolge, sei es oft zu spät, um Gewalt in größerem Ausmaß zu verhindern. Bestehende Kommunikationskanäle und angebahntes Vertrauen seien deshalb entscheidend, sagte Salamé.

„Mit jedem sprechen, ohne den Frieden nicht erreicht werden kann“

Die Annahme vieler Akteure, dass das bloße Verhandeln mit bewaffneten Gruppen diese legitimiere, wiesen die Experten in München einstimmig zurück. David Harland, Direktor der privaten Organisation Centre for Humanitarian Dialogue in Genf, wies darauf hin, dass hinter den Kulissen jeder Mediationsakteur auch mit bewaffneten Gruppen spreche. „Es stellt sich vielmehr die Frage nach den Kriterien, mit denen wir die Entscheidung für ein Gespräch mit ihnen treffen. Dabei ist oftmals der Nutzen die zentrale Größe: Wenn der Konflikt nicht alleine durch militärische Maßnahmen gelöst werden kann, muss man mit jedem sprechen, ohne den Frieden nicht erreicht werden kann.“

Mit Blick auf Libyen skizzierte der UN-Sondergesandte Ghassan Salamé die scheinbar ausweglose Situation: Zum einen verursachten die am Konflikt beteiligten Gruppen nicht nur Instabilität, sondern sorgten in manchen Regionen anstelle eines funktionierenden Staates auch für Sicherheit und Stabilität. Zum anderen sei die Trennung zwischen Staat und nicht-staatlichen Akteuren nicht scharf: „Oft stehen wir vor einer Situation, in der sich zwei bewaffnete Gruppen in einer Auseinandersetzung gegenüberstehen, die beide vom Staat bezahlt werden“, erklärte Salamé. Das werfe Probleme auf, denn selbst wenn der Staat diese Gruppierungen bezahle, erhielten sie ihre Befehle von den Milizen. Außerdem sei auch in Libyen sichtbar, dass Bürgerkriege der ideale Nährboden für terroristische Organisationen seien. „Aus manchen bewaffneten Gruppen entwickeln sich in dieser Situation terroristische Gruppen, für deren Bekämpfung man paradoxerweise wiederum auf die Unterstützung anderer bewaffneter Gruppen angewiesen ist.“

Salamé rief auf Grundlage seiner Erfahrungen in Libyen dazu auf, statt auf Wettbewerb auf die Zusammenarbeit multilateraler Organisationen, staatlicher Akteure und privater Mediatoren im Rahmen von Friedensprozessen zu bauen.

Die Gäste der Veranstaltung beteiligten sich rege an der Diskussionsrunde. Mit dabei waren Lakhdar Brahimi, ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan, Irak und Syrien, sowie Geir O. Pedersen, UN-Sondergesandter für Syrien, der Premierminister von Libyen Fayiz al-Sarradsch und Michael Keating, ehemaliger UN-Sondergesandter für Somalia.