Das Fundament unseres Zusammenlebens: 70 Jahre Grundgesetz
Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt. Es ist die Grundlage unseres Staates, unseres Zusammenlebens – und umso bedeutsamer, wenn in einer vielfältigen Gesellschaft immer weniger Menschen kulturelle Wurzeln und Traditionen teilen. Beim „Gespräch im Park“ der Robert Bosch Stiftung zog Bundesverfassungsrichter Peter Müller Bilanz: Was hat sich am Grundgesetz bewährt? Was sollte reformiert werden? Wie reformfähig ist unsere Verfassung? Und kann sie die notwendige Bindekraft entfalten?
Vor den zahlreichen Gästen verwies Peter Müller auf die bemerkenswerte Geschichte unserer Verfassung, die ursprünglich nur ein Provisorium sein sollte. Zur Beständigkeit dieses Provisoriums habe beigetragen, dass sein Regelungsanspruch zu Beginn deutlich begrenzt war – die Verfassungsväter und -mütter wollten eine Grundlage für den Wiederaufbau Deutschlands schaffen, aber nicht jedes Detail festschreiben. So konnte sich das Grundgesetz später umso besser an veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Überzeugend ist für Müller auch der klare Ausgangspunkt des Grundgesetzes: der Mensch mit seiner Würde als zugleich eigenverantwortliches und sozial gebundenes Wesen. Diese Sichtweise habe dazu geführt, dass in Deutschland Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in untrennbarem Zusammenhang stehen – nicht selbstverständlich, wie heute der Blick nach Polen oder Ungarn zeige. Weltweit einzigartig sei auch die Rolle der Karlsruher Verfassungshüter: „Kein Verfassungsgericht hat so viel Macht - obwohl selbst nicht demokratisch legitimiert, kann es der Politik in den Arm fallen.“
Kontroverse Diskussion über plebiszitäre Elemente
Das Grundgesetz bleibt auch in Zukunft das geeignete Fundament für ein demokratisches Miteinander in Deutschland. Davon ist Müller überzeugt. Eine umfassende Revision der Verfassung hält er nicht für angebracht. Zugleich verwies er auf einige problematische Entwicklungen: Immer mehr technokratische Details und Staatszielbestimmungen überfrachten den ursprünglich „schlanken“ Text und machen ihn immer unverständlicher. Auch fehlen dem Grundgesetz Antworten auf weltweite Megatrends wie zum Beispiel den Vormarsch von Autokraten und den Abbau an demokratischen Rechten. Desgleichen sieht Müller ein Defizit an plebiszitären Elementen. Diese könnten die gestiegenen Ansprüche der Menschen nach Teilhabe befriedigen und die Politik zwingen, ihre Handlungsoptionen besser zu erklären – eine These, die in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum durchaus kontrovers aufgenommen wurde. Für den Verfassungsrichter liegt die größte Herausforderung darin, dass das Konzept von Demokratie und Rechtstaat auch bei uns von immer mehr Menschen angezweifelt wird. Er wirbt dafür, dass wir uns mehr engagieren, um diese Werte zu verteidigen: „Das Demokratiemodell des Grundgesetzes ist ein Mitmachmodell, kein Zuschauermodell.“