KI, Klimawandel, Pandemien, Machtverschiebungen: Die internationale Ordnung steht unter großem Druck. Der Global Governance Index bewertet das Engagement von Regierungen. Wie er funktioniert und welche Ergebnisse er liefert, darüber spricht unser Bereichsleiter Henry Alt-Haaker mit dem Direktor des Stimson Center's Global Governance, Dr. Richard Ponzio.
Die regelbasierte internationale Ordnung steht unter großem Druck. Klimawandel, technologische Veränderungen, Pandemien sowie wirtschaftliche, politische, militärische und demographische Machtverschiebungen verlangen nach staatlichem und zivilgesellschaftlichem Engagement, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Der Global Governance Index (GGI) ist ein bislang einzigartiger Versuch, in den G7- und BRICS-Staaten das internationale ordnungspolitische Engagement von Regierungen zu bewerten – und zu messen, wie die Bevölkerung im Verhältnis dazu steht. Am 6. Juli soll der Index in der Robert Bosch Stiftung in Berlin vorgestellt werden.
Der Global Governance Index untersucht und bewertet das ordnungspolitische Engagement einer Gruppe von Ländern anhand einheitlicher, quantitativer Kriterien. Evaluiert werden die Bereiche:
Im Fokus der Studie stehen die G7-Länder sowie die BRICS-Staaten. Der Index soll dazu beitragen, die für den Zukunftsgipfel 2024 der Vereinten Nationen aufzunehmenden Konzepte zu konkretisieren und zu operationalisieren.
Der Index ist ein neuer Versuch, Unterstützung für globale Governance zu messen. Welche Bedeutung hat der Global Governance Index in Ihren Augen?
Der Global Governance Index ist mir ein Herzensanliegen. Er ist ein zentraler Bestandteil des Global Governance Innovation-Berichts und stellt den allerersten Versuch dar, das Engagement einzelner Nationen in der Weltordnungspolitik anhand bestimmter Kriterien zu messen. Insbesondere bewerten wir die globale Führungsrolle der G7- und BRICS-Länder. Diese machen fast zwei Drittel des weltweiten BIP und die Hälfte der Weltbevölkerung aus.
Der Index bietet einen besonderen Blickwinkel, um zu beurteilen, wo die einflussreichsten Länder der Welt hinsichtlich ihres Engagements und ihres Einsatzes für internationale Institutionen stehen. Auch wenn ein quantitativer Index nicht alles erfassen und vermitteln kann, so bietet er doch ein leistungsfähiges Instrument, um Vergleiche anzustellen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf diese Weise lässt sich die Arbeit zur Stärkung der globalen Politikgestaltung und Zusammenarbeit verbessern.
Deutschland erzielte in drei der fünf Bereiche die höchste Punktzahl: In der sozioökonomischen Entwicklung, bei der Achtung der Menschenrechte sowie beim sogenannten gemeinsamen globalen Handeln und Bürgersinn. Auch in den beiden anderen Kategorien belegte Deutschland mindestens den dritten Platz unter den zwölf Ländern.
Umgekehrt rangierte Russland im Bereich Umweltpolitik und Klimaschutz sowie beim gemeinsamen globalen Handeln, Bürgersinn und Führungsqualitäten auf dem letzten Platz. Beim Kriterium "Internationaler Frieden, Sicherheit und humanitäre Maßnahmen" führt – etwas unerwartet – Indien, Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels.
Gesamtbewertung des Global Governance Index.
Deutschland hat im Global Governance Index die höchste Punktzahl in der Kategorie „Weltordnungspolitik“ erreicht. Gleichzeitig bewertet die deutsche Bevölkerung die Rolle ihres Heimatlandes deutlich schlechter. Wie interpretieren Sie diesen Unterschied?
In Deutschland werden die Menschen ermutigt, ihre Ansichten zu äußern, und es ist in Ordnung, auch der eigenen Regierung gegenüber sehr kritisch zu sein. Aus den Ergebnissen schließe ich, dass die Bürgerinnen und Bürger zuweilen unzufrieden mit der Leistung ihrer Bundesregierung sind. Außerdem setzen sie mitunter hohe Erwartungen in Bezug auf das, was zur Bewältigung bestimmter globaler Herausforderungen getan werden kann und muss.
Umgekehrt ist in autoritäreren Ländern wie China die Unterstützung für die Leistungen ihrer Länder in multilateralen Institutionen viel größer als in westlichen Demokratien. Dies könnte einfach darauf zurückzuführen sein, dass es an Wissen fehlt, was die jeweilige Regierung tatsächlich tut. Diese Situation könnte sich in Zeiten von Desinformationen, die über immer leistungsfähigere soziale Medien verbreitet werden, noch weiter zuspitzen.
Die Mehrheit der Befragten des Global Governance Survey sieht sich als „Weltbürger“, allerdings deutlich mehr in den G7-Ländern als in den BRICS-Staaten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach, und ist das zwangsläufig negativ?
Wie Sie sagen, überwiegt in allen G7-Ländern die Auffassung unter den Befragten, dass sie sich als Weltbürger verstehen. Im Durchschnitt betrachten sich 60 Prozent der Befragten in den G7-Ländern als Weltbürger. In den eher nationalistisch geprägten BRICS-Staaten ist diese Perspektive schwächer ausgeprägt, obwohl die Bürger dort den Multilateralismus im Allgemeinen befürworten. In Russland und Indien wird die Bezeichnung Weltbürger nur von 36 Prozent bzw. 40 Prozent akzeptiert. In China steht es bei dieser Frage 50:50. In Südafrika (67 Prozent) und Brasilien (66 Prozent) bezeichnet sich eine Mehrheit als Weltbürger. In den BRICS-Staaten akzeptiert im Durchschnitt eine knappe Mehrheit von 52 Prozent diese Ansicht.
Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnte der Zugang zu weiterführender Bildung sein: Je höher der Bildungsabschluss, umso eher verstehen sich die Menschen als Weltbürger. So bezeichnet sich die Mehrheit der Absolventen der Sekundar- und Tertiärstufe als Weltbürger. Der stärkste Prädiktor für die Einstellung zur Weltbürgerschaft ist jedoch der COVID-19-Impfstatus: Ungeimpfte sind die einzige soziale Gruppe in der Umfrage, bei der die Frage, ob sie Weltbürger sind oder nicht, gleichmäßig verteilt ist (je 44 Prozent). Dies deutet darauf hin, dass die Einstellung zur globalen Identität mit der Akzeptanz globaler politischer Maßnahmen zusammenhängt. Dies sehe ich nicht unbedingt als negatives Ergebnis an. Hätten mehr Bürger in den BRICS-Entwicklungsländern Zugang zu den Vorteilen des internationalen Systems, würden sie sich vielleicht stärker mit der Welt solidarisch fühlen.
Sie haben sich u.a. die Kategorien "Globale Führung", "Inklusive Governance" oder "Sozioökonomische Entwicklung" angeschaut. Diese Begriffe können in verschiedenen Kulturen und politischen Traditionen unterschiedlich verstanden werden. Welche Rolle spielen diese Unterschiede für den Global Governance Index?
Ich stimme zu, dass Begriffe wie jene, die Sie genannt haben, in verschiedenen Kulturen und politischen Traditionen durchaus unterschiedlich verstanden werden können. Gleichzeitig bin ich jedoch der Untersuchung komplexer globaler Herausforderungen und der Rolle der Global Governance verpflichtet. Mit unserem Index, der die Leistung der wichtigsten Länder im Bereich der Global Governance bewertet, versuchen wir, so weit wie möglich auf unterschiedliche soziale Normen, Kulturen und politische Traditionen einzugehen. Daher wurden die drei Themen globales Engagement, Finanzierung und nationale Leistung und 25 Einzelindikatoren (fünf pro Bereich oder thematischer Kategorie), aus denen sich der GGI zusammensetzt, in der Absicht ausgewählt, dass jeder von ihnen relevant ist und für alle 12 Länder dieselben Standards gelten. Aber es ist sicher richtig, dass ein Index wie der GGI nicht alle Aspekte in Betracht zieht, die man besser über quantitative Verfahren zur Bewertung von (politischen) Einstellungen erhoben hätte. Deshalb flankieren wir den Index mit dem Global Governance Innovations-Bericht sowie dem Global Governance Survey.
Ergänzend zum GGI wurde eine Umfrage der Bevölkerung durchgeführt, der Global Governance Survey. Die Ergebnisse wurden am 6. Juli 2023 in Berlin vorgestellt und sollen zu evidenzbasierter Politikgestaltung anregen. Sie wurden von der Robert Bosch Stiftung gefördert.