Wir haben Expert:innen befragt – und die räumen mit so manchem Diversitätsmythos auf. Dabei wird auch klar: Echte Diversität ist mit großer Anstrengung verbunden.
Zum Frauentag posten Unternehmen Kacheln auf LinkedIn, im Pride Month erscheinen Firmenlogos in Regenbogenfarben. Alles nur „Diversity Washing“ oder echtes Engagement? Das kommt darauf an.
Viele Unternehmen haben Abteilungen, deren Aufgabe es ist, zu kommunizieren – intern mit den Mitarbeitenden, aber eben auch extern. Diese Außenkommunikation ist das Schaufenster des Unternehmens: Außenstehende bekommen zwar Einblicke, doch diese sind bewusst gewählt. Was beispielsweise in Bewerbungsgesprächen gesagt und in Wertevereinbarungen verschriftlicht wird, zählt zur Außenkommunikation. Auch das regenbogenfarbene Firmenlogo.
Die Außenkommunikation wirkt jedoch auch ins Organisationsinnere – eben wie das Schaufenster eines Geschäftes. Unternehmen kommunizieren Werte wie Vielfalt, eben weil der Begriff offen ist: Viele Menschen können sich dafür begeistern – aus der Belegschaft, aber auch potenzielle Kund:innen und Bewerber:innen.
Kritisch wird es, wenn die Außendarstellung langfristig nicht mit der Unternehmensrealität übereinstimmt. Das kann bereits intern auffallen und schnell zu Problemen führen. Zum Beispiel dann, wenn Mitarbeitende dem Management die kommunizierten Diversitätserfolge nicht mehr glauben, so ein Ergebnis des 2024 publizierten EY European DEI Index. In der Studie wurden die Auswirkungen von Diversitäts- und-Inklusionsinitiativen auf Unternehmen untersucht. Befragungen haben gezeigt: Führungskräfte behaupten, ihre Unternehmen seien divers und inklusiv – aber viele Mitarbeitende sind anderer Meinung. Woher diese Diskrepanz rührt? Führungskräfte würden die Aufgabe unterschätzen und seien selbst zu optimistisch hinsichtlich ihrer Inklusions- und Diversitätsleistungen, so eine Schlussfolgerung des EY European DEI Index.
Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen können zu Frustrationen führen, die das Wohl der Organisation empfindlich stören, da eine Vision mit einem gemeinsamen Startpunkt fehlt. Bringt es also nichts, sich aufmerksamkeitsstark zu positionieren? Doch. Das Unternehmensschaufenster mit Vielfalt auszuschmücken, ist tatsächlich wichtig. So signalisieren Unternehmen nach außen, für wen sie sich begeistern wollen. Aber das ist nur ein erster Schritt.
Diversität ist das Buzzword unserer Zeit. Unternehmen, Behörden oder Vereine machen es sich zum Aushängeschild. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Wie schaffen wir echte Vielfalt? Und wo ist Diskriminierung nach wie vor vorhanden oder verstärkt sich gar – diesen Fragen wollen wir in diesem Dossier auf den Grund gehen.
Die USA haben Mitte der 1960er Jahre ein damals revolutionäres Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Damit wurden Chancengleichheit, Inklusion und Diversität gesetzlich verankert, und Unternehmen mussten Klagewellen fürchten, wenn sie beispielsweise keine Barrierefreiheit gewährleisten konnten. Inzwischen ist Diversity in Unternehmen in den USA teilweise auf dem Rückzug. Dennoch konnten die USA seit über einem halben Jahrhundert Erfahrungen sammeln, die in Studien dokumentiert wurden. In Deutschland trat erst 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Auch deshalb ist die Forschung auf diesem Gebiet in Deutschland weniger umfangreich – aber es gibt sie.
Organisationssoziologin Julia Gruhlich hat mit Kolleg:innen 2023 ein Handbuch zur Diversitäts- und Organisationsforschung herausgegeben, das Wissenschaft und Praxis einen Überblick bietet. Darin beschreiben die Autor:innen, „dass das Win-win-Versprechen von Diversity als ‚business case‘ dort an seine Grenzen stoße, wo Vielfalt keinen direkten Gewinn verspricht oder mit hohen Kosten einhergeht […]“. Was sich aus Unternehmensperspektive nicht rentiert, fällt leicht unter den Tisch.
„Diversity hat den Ruf, eine neoliberale Managementstrategie zu sein, die in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Vielfalt ökonomisch verwerten zu wollen.“
Gleichzeitig sei oft unklar, was Diversity genau meint. Bliebe diese Definition aus, könnten auch keine Strukturen abgeleitet werden, die für die Weiterentwicklung von Organisationen jedoch wichtig seien. Der Fokus auf Individuen und ihre Potenziale oder diskriminierendes Verhalten führt dazu, dass Strukturen für Vielfalt wenig Aufmerksamkeit bekommen: „Das hat dem Konzept den Ruf eingebracht, eine neoliberale Managementstrategie zu sein, die in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Vielfalt ökonomisch verwerten zu wollen“, schreiben Gruhlich und ihre Kolleg:innen im Handbuch.
Eine Studie von McKinsey stellt fest, dass vielfältige Führungsteams zu Umsatzsteigerungen führen. Ein Irrtum, sagt Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen: „Um seriös feststellen zu können, dass es einen unikausalen Zusammenhang zwischen Vielfalt und Umsatzsteigerung gibt, müsste eine Studie über einen langen Zeitraum, idealerweise unter Laborbedingungen und Einbezug einer Kontrollgruppe stattfinden.“
Dagegen lassen sich die Kosten von Vielfalt sehr gut bestimmen. Diversität zu forcieren, würde in der Konsequenz bedeuten, dass Löhne angeglichen, objektive Bewertungssysteme implementiert und Schulungen für Mitarbeitende angeboten werden müssten. Nicht zuletzt müssten mitunter bauliche Veränderungen umgesetzt werden, um Unternehmen barrierefrei zu gestalten. All das ist teuer. „Man kann recht gut berechnen, was Diversity kostet. Aber nicht, was sie bringt“, bestätigt auch Gruhlich.
„Man kann recht gut berechnen, was Diversity kostet. Aber nicht, was sie bringt.“
Dass vielfältige Teams tatsächlich mehr und unterschiedliche Ideen produzieren, stimmt. Aber der Grund dafür ist recht offensichtlich: Beim Brainstorming müssen Gruppenmitglieder nicht besonders eng kooperieren. In eine Studie fand die amerikanische Organisationssoziologin Lynda Gratton heraus, dass große, digitale, vielfältige und aus hochqualifizierten Spezialist:innen bestehende Teams bei anspruchsvollen Projekten für Unternehmen immer wichtiger werden. Aber genau diese Eigenschaften sorgen auch dafür, dass Teams unproduktiv werden, denn Menschen arbeiten bevorzugt mit Menschen zusammen, die ihnen ähnlich sind. Je größer, digitaler, vielfältiger und qualifizierter die Teams jedoch sind, desto heterogener sind sie – und das mindert die Kooperationsbereitschaft und damit auch die Produktivität.
Eine Studie der London Business School von 2016 stellt die Vor- und Nachteile von vielfältigen Teams gegenüber: Die größere Bandbreite an Wissen, intensivere Diskussionen von Entscheidungen und eine kreativere Ideenentwicklung werden als positive Punkte genannt. Die Nachteile lägen vorrangig in der Kommunikation: So würde es den Teams schwerer fallen, sich untereinander auszutauschen, beispielsweise aufgrund von Sprachbarrieren oder unterschiedlichen Qualifikationsständen. Das würde dazu führen, so die Studie, dass sich Konflikte häuften und sich Teammitglieder gegenseitig weniger unterstützten. Im schlimmsten Fall wäre die Konsequenz, dass Mitarbeitende häufiger das Unternehmen wechselten, schneller krank würden oder sich seltener sowie unproduktiver in einzelne Prozesse einbrächten.
Die Organisationssoziologin Maja Apelt von der Universität Potsdam macht es konkret und erklärt am Beispiel von Krankenhäusern, welche Herausforderungen entstehen, wenn massiver Personalmangel Unternehmen zu Diversifizierung zwingt. Bewerbende aus dem Ausland kommen beispielsweise oft nur mit ersten Sprachkenntnissen nach Deutschland: „Diese neuen Arbeitskräfte treffen auf den Stress und die personelle Unterbesetzung in deutschen Krankenhäusern. Die Kolleg:innen vor Ort haben keine Zeit, sie einzuarbeiten oder sich auf ihre häufig unzureichenden Sprachkenntnisse einzustellen. Es entstehen Vorbehalte und Widersprüche in der Belegschaft. Letztlich ist da die Vielfalt nicht das Problem, sondern die allgemeinen schwierigen personellen Bedingungen.“
Formale Strukturen helfen. Onboarding-Prozesse müssen der Situation angepasst, Sprachhindernisse einkalkuliert und begleitet werden. Auch wenn Zeit und Ressourcen genau die Dinge sind, die Unternehmen mit Fachkräftemangel fehlen: Nichts anderes hilft.
Die Beteuerung einer diversitätsfreundlichen Unternehmenskultur erzeugt noch keine neue Kultur. Das Gegenteil ist der Fall: Statt kurzfristiger Beteuerungen braucht es für eine diversitätsfreundliche Unternehmenskultur eine nachhaltige Strategie mit konkretem Handlungsplan. Dabei hilft ein Diversity Management. Es unterstützt nicht nur, die Unternehmensziele zu erreichen, sondern wirkt auch innerbetrieblich oder zwischenbetrieblich auf Denkweisen oder Qualifikationen ein, so die Universität Kassel.
Eine Unternehmenskultur zu etablieren, ist gar nicht so leicht, denn sie ist wie ein Trampelpfad in einem öffentlichen Park. Der offizielle formale Weg führt außen um die Grünfläche herum. Weil das umständlich ist, gehen die Menschen diagonal über die Wiese und trampeln allmählich einen Pfad hinein. In Unternehmen bezeichnet man diesen Trampelpfad als kurzen Dienstweg. Zur Unternehmenskultur zählt, wie miteinander umgegangen oder worüber gelacht wird und wer mit wem in die Kantine geht.
„Zuständige für Vielfalt brauchen Macht und Ressourcen.“
Weil eine Unternehmenskultur nur indirekt über formale Regeln beeinflusst werden kann, ist es wichtig, dass Organisationen formale Zuständigkeiten für Vielfalt etablieren. Müssen ernannte Diversity-Beauftragte ihre Arbeit in der Freizeit neben ihrem Job ausführen, lässt das Rückschlüsse darauf zu, wie wichtig die gewollte Vielfalt wirklich ist: nicht ganz so wichtig. „Zuständige für Vielfalt brauchen Macht und Ressourcen“, stellt Gruhlich klar. Wenn sie keine Entscheidungsbefugnisse haben, erfüllt sich der Vorwurf von Vielfalt als reinem Schauseitenaktivismus und wird es schwer haben.
Die Studien zeigen: Diversität bringt Unsicherheiten und Konflikte mit sich, die in homogenen Unternehmen so nicht bestehen. Die Vorteile dagegen sind qualitativ und anekdotisch erzählbar, jedoch empirisch schwer zu erheben. Sollte man es also einfach sein lassen, wenn der Nutzen kaum evidenzbasiert messbar ist?
Die Frage, ob Diversität ein überholtes Konzept ist, scheint angesichts der demografischen Fakten wie eine Farce: Deutschlands Bürger:innen werden immer älter und verlassen den Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel ist schon jetzt in vielen Branchen spürbar und sorgt für Umsatzverluste. Ginge es also alleine um die wirtschaftliche Kraft Deutschlands, müsste Diversität und Inklusion in Unternehmen noch stärker fokussiert und gefördert werden – denn der Arbeitsmarkt ist auf diese Vielfalt angewiesen.
Aber neben der Frage, wie relevant Diversität für den Arbeitsmarkt ist, können wir auch fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Sind nicht Unternehmen auch immer Orte, in denen wir gesellschaftliche Herausforderungen verhandeln? Brooke Gazdag, Organisationspsychologin an der Kühne Logistics University in Hamburg, sagt, man solle sich nicht am Begriff aufhängen, sondern auf das besinnen, wofür er stehe: „Es geht nicht um Diversity. Die ist nur eine Zustandsbeschreibung. Es geht um Inklusion und Zugehörigkeit. Die Frage, die Unternehmen sich stellen müssen, ist, wie sie dafür sorgen können, dass sich alle im Unternehmen gewollt fühlen.“