Auf der Suche nach neuen Lösungen für die regionale Sicherheit müssen Staaten in Westafrika vermehrt auf nationale Nichtregierungsorganisationen setzen, sagt Nuria Grigoriadis, Expertin für Friedensfragen der Robert Bosch Stiftung.
Die jüngsten diplomatischen Bemühungen von Ghanas neuem und früheren Präsidenten geben Hoffnung, dass eine regionale Antwort auf die sich stetig verschlechternde Sicherheitslage in Westafrika möglich ist. Besonders die Besuche John Mahamas bei den Militärregierungen in den Zentral-Sahelstaaten Burkina Faso, Mali und Niger zeigen, dass auch nach den dortigen Putschen Dialog weiterhin möglich ist. Mit seinem Engagement macht sich Mahama für eine gemeinsame Sicherheitspolitik stark. Denn militärische Alleingänge einzelner Staaten haben die dschihadistischen Gruppen in der Region nicht geschwächt.
Eine regionale Antwort ist umso dringlicher, weil westliche Staaten, die traditionell viel zur Sicherheit der Region beigetragen haben, neue Prioritäten setzen: Die EU konzentriert sich auf Russlands Krieg gegen die Ukraine und die eigene Aufrüstung, die USA auf den Indopazifik und Chinas Ambitionen. Auch Russland und seine in der Region aktiven Söldnergruppen haben die Sicherheitslage nicht verbessert. So hat das malische Militär beispielsweise zusammen mit russischen Söldnern nach Angaben der Vereinten Nationen und internationalen Menschenrechtsorganisationen 2022 in der zentralmalischen Stadt Moura ein Massaker an malischen Zivilisten verübt – ein Vergehen, dass den Dschihadisten in die Hände spielte.
Nach mehr als zehn Jahren vergeblicher militärischer Maßnahmen – mal mit westlicher, mal mit russischer Unterstützung – ist eine regionale Kooperation notwendig, die über rein kriegerische Ansätze hinausgeht. Seit Beginn seiner zweiten Präsidentschaft im Januar hat Mahama deutlich gemacht, dass ein Umdenken nötig ist. Kurz nach seinem Amtsantritt hat er sich mit seinen malischen Amtskollegen über die Sicherheitslage ausgetauscht und einen Sondergesandten ernannt, um die Beziehungen zu Burkina Faso, Mali und Niger wieder-herzustellen. Die Zentral-Sahelländer hatten sich 2023 aus der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS zurückgezogen, nachdem diese den Putsch in Niger aufs schärfste kritisiert hatte.
Neben dem Senegal, der von ECOWAS beauftragt wurde, sich um eine Rückkehr der Zentral-Sahelländer in die Wirtschaftsgemeinschaft zu bemühen, tritt mit Ghana nun ein weiterer Akteur auf, der den Dialog in der Region vorantreiben kann. Von Anfang an müssen auch lokale Akteure der Friedens- und Entwicklungsarbeit in diesen Austausch einbezogen werden und Aspekte wie Konfliktprävention und -bearbeitung auf der Agenda stehen.
Anstatt nur die Symptome durch Gewalt zu bekämpfen, müssen sich die Staaten Westafrikas verstärkt mit den Ursachen befassen, die das Wachstum dschihadistischer Gruppen begünstigen. Dazu zählen Armut, Perspektivlosigkeit und staatliche Vernachlässigung. Letztere zeigt sich insbesondere in der Abwesenheit staatlicher Strukturen in vielen Landesteilen – vor allem in abgelegenen Grenzregionen –, wo grundlegende Aufgaben wie Sicherheit, Rechtsprechung und die Bereitstellung sozialer Infrastruktur häufig nicht erfüllt werden.
Nationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Westafrika – besonders dort, wo bewaffnete Gruppen aktiv sind. Sie können helfen, die negativen Wechselwirkungen zwischen unsicherer Lage, wirtschaftlicher Not und sozialen Spannungen zu verringern. Die Mitarbeiter:innen dieser lokalen Organisationen sind teilweise selbst von den Konflikten betroffen und verfügen über tiefgreifendes Wissen über die meist komplexen Ursachen und Dynamiken vor Ort. Dies gilt insbesondere für die marginalisierten Grenzgebiete der westafrikanischen Staaten, in denen staatliche Strukturen schwach oder nicht existent sind.
Lokale NGOs können für die Regierungen Westafrikas wichtige Informationsträger sein. Ihre Mitarbeitenden genießen häufig das Vertrauen der von Gewalt betroffenen Gemeinden. Dies bietet einen Zugang, der staatlichen Akteuren, insbesondere Militär und Polizei, meist verwehrt bleibt. In der Grenzregion zwischen Ghana und Burkina Faso haben lokale NGOs zum Beispiel ein lokales Frühwarnsystem entwickelt, das schnell per Telefon über Spannungen oder Angriffe in den Gemeinden informiert. So können frühzeitig die richtigen lokalen Stellen alarmiert und einbezogen werden, um größere Konflikte oder eine Eskalation zu vermeiden.
Nichtstaatliche Organisationen können darüber hinaus als Bindeglied zwischen der Zivilbevölkerung und lokalen Behörden wirken. In der Grenzregion zwischen Ghana, Burkina Faso und Côte d’Ivoire haben NGOs durch Dialogformate erreicht, dass Gruppen miteinander ins Gespräch kommen, die sonst kaum Kontakt haben. Besonders Bauern und Viehzüchter, die immer wieder auch gewaltsam aneinandergeraten, konnten so Vorurteile abbauen. Damit leisten NGOs wichtige Präventionsarbeit, denn dschihadistische Gruppen nutzen solche sozialen Spannungen gezielt für die Rekrutierung neuer Kämpfer.
Doch diese lokalen Organisationen arbeiten unter sehr herausfordernden Bedingungen, insbesondere ihre Finanzierung ist häufig völlig unzureichend. Etablierte Organisationen kommen meist besser weg, da sie oft gut vernetzt sind mit internationalen NGOs oder sogar direkt mit staatlichen, multilateralen oder privaten Gebern. Diese sind für kleinere NGOs fernab der Hauptstädte aber oft schwer erreichbar – und durch die sich wandelnden Prioritäten vieler westlicher Geber dürfte die Finanzierung in Zukunft noch schwieriger werden. Deswegen müssen die Staaten in der Region eine größere Rolle bei der Unterstützung von lokalen Organisationen spielen. Auch darüber muss Mahama mit seinen Amtskollegen sprechen.