Wasserknappheit im Libanon

Kann eine 1.500 Jahre alte Methode den Frieden im Zeitalter des Klimawandels sichern?

Hitzewellen, schwere Dürren, Wassermangel: Im Libanon sind die Folgen des Klimawandels schon heute deutlich spürbar – und könnten zu neuen und gewalttätigen Konflikten führen. Weil der Staat die Probleme nicht löst, holt eine Umweltorganisation Menschen vor Ort an einen Tisch – und greift dabei auf traditionelles Erbe zurück.

Text
Amira Rajab
Bilder
Diego Ibarra Sanchez
Datum
23. Januar 2023

Randa Ghamloush sitzt am Tisch in ihrer Küche im libanesischen Dorf Kayfoun. Sie wartet. Ihre Wohnung liegt im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. An die Küche schließt sich ein kleiner Balkon an. Die Tür nach draußen ist leicht geöffnet. Es ist Mitte November und die feuchte Luft zieht durch die Wohnung. Draußen dämmert es. Doch im Haus brennt keine einzige Lampe. Eigentlich wollte Randa Ghamloush das Abendessen vorbereiten. Doch viel kann sie nicht tun. Es gibt mal wieder keinen Strom. „Ohne Elektrizität können wir leben“, sagt die 50-jährige Libanesin. „Leben ohne Wasser – das ist die wahre Herausforderung.“

Kayfoun liegt im Libanongebirge – etwa 25 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Beirut. Eigentlich gibt es hier trotz der immer heißer und trockener werdenden Sommer noch Wasser. Das Dorf liegt nicht weit entfernt von Quellen in den Bergen. Bei den Bewohner:innen kommt dennoch seit fast vier Jahren kein Wasser an, erzählt Randa Ghamloush. Seitdem muss sie für sich und ihre fünfköpfige Familie Wasser zu hohen Preisen von privaten Unternehmen kaufen, um duschen, auf die Toilette gehen oder kochen zu können. Gespeichert wird das wertvolle Wasser in Tanks auf dem Flachdach. Zweimal in der Woche sollen diese eigentlich befüllt werden. Gerade ist der Tank mal wieder leer. Im Monat kostet sie der private Zukauf von Wasser rund 80 US-Dollar. Das kann sich die Familie Ghamloush und auch ein Großteil der Libanesen kaum leisten.

Randa Ghamloush
Die 50-jährige Randa Ghamloush prüft den privaten Wasser-Reservetank auf dem Dach ihres Wohnhauses. Er ist, wie so oft, leer.

Der Libanon steckt seit 2019 in der schwersten (Wirtschafts-)Krise seiner Geschichte. Hyperinflation, Korruption und ein dysfunktionales politisches System lähmen den Zedernstaat. Hinzu kommt, dass Klimawandelfolgen das Land massiv unter Druck setzen: Dürren, Waldbrände und Wassermangel werden das Bruttoinlandsprodukt bis 2040 um mindestens 14 Prozent senken, berichtete Ministerpräsident Nadschib Mikati bei der Weltklimakonferenz in Ägypten. 2021 und 2022 waren nach Angaben des libanesischen Umweltministeriums die heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Die zunehmende Trockenheit und die unsichere Wasserversorgung sind auch Brennstoff für soziale Konflikte: Wer bekommt Wasser, wenn es knapp wird? Wer nicht? Wer entscheidet, wie die Wasserressourcen verteilt werden? Und vor allem: Wie kann der soziale Frieden gesichert werden, wenn kostbare Ressourcen durch den Klimawandel immer weiter schwinden?

Die Quellen sprudeln, die Pumpen liegen still

Randa Ghamloush blickt von ihrem Balkon in das Tal unterhalb von Kayfoun. Ihr bietet sich ein freier, fast malerischer Blick in die Berge. Heute zieht sich sogar ein Regenbogen durch die Landschaft. Von hier kann sie bis an die Bergspitzen schauen, die in den Wintermonaten mit Schnee bedeckt sind und die Flüsse des Landes mit Wasser füllen. Die dortigen Quellen könnten nicht nur die rund 2.000 Einwohner:innen in Kayfoun, wo vor allem Muslim:innen leben, sondern auch die 200 Bewohner:innen Shimlans, des christlich geprägten Nachbardorfs, versorgen. Aber aktuell gibt es keine funktionierende Infrastruktur zwischen den Dörfern. Das liegt auch an der langen Konfliktgeschichte des Libanons: Während des Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 kämpften verschiedene Konfessionen und Fraktionen um die Vorherrschaft im Land. Kayfoun war schon damals muslimisch dominiert, Shimlan dagegen war lange Zeit verwaist, weil die christlichen Bewohner:innen geflohen waren. Auch nach dem Ende der Gewalt blieben Misstrauen und Angst.

Wasser sprudelt aus Rohr
Trockener Brunnen im Libanon
In der Region des Libanon-Gebirges gibt es trotz Klimawandel meist noch ausreichend Wasser – aber die fehlende Infrastruktur verhindert eine gerechte Verteilung.

Die Menschen in der Region sind auf sich allein gestellt: „Ishtirak“, sagt Randa Ghamloush fast resignierend und zuckt mit den Schultern, als sie das Haus verlässt. „Ishtirak“ – das heißt so viel wie Dauerauftrag. Damit meint sie, dass sie auch Strom zusätzlich privat besorgen muss. Ishtirak für den Strom, Ishtirak für das Wasser. Für die Menschen im Libanon gehört es mittlerweile zum Alltag, dass sie doppelte Rechnungen zahlen müssen: einmal für die staatlichen Anbieter, die liefern sollten, es aber meistens nicht tun, und dann eben für die privaten Firmen.

Auch die Regierung hat eingesehen, dass sie handeln muss. Man wolle dafür sorgen, dass die Ressourcen besser verwaltet werden, sagte der libanesische Ministerpräsident Mikati bei der Weltklimakonferenz COP27. Das Land müsse sich, so gut es geht, an die Klimawandelfolgen anpassen. Im direkten Gespräch geben aber selbst Kabinettsmitglieder zu, dass die Realität anders aussieht: „Der Libanon leidet unter schlechtem Management“, sagt uns der libanesische Umweltminister Nasser Yassin. „Wir haben gute Wasservorkommen, aber wir brauchen eine bessere Verwaltung. All unsere Flüsse sind stark verschmutzt.“ Wie so oft im Libanon müssen sich die Menschen also selbst Lösungen überlegen, weil der Staat versagt.

Eine alte und doch ganz neue Idee

Deswegen macht sich Randa Ghamloush auf den Weg zum Gemeindezentrum der Umweltorganisation Society for the Protection of Nature in Lebanon (SPNL), die von der Robert Bosch Stiftung unterstützt wird. Weil die Hausfrau selbst handeln und verstehen will, wie sie Verantwortung für die natürlichen Ressourcen in ihrer Heimat übernehmen kann. Statt darauf zu warten, dass der Staat eine gerechte und effiziente Ressourcenverteilung organisiert, will die Umweltorganisation zwischen dem muslimischen Dorf Kayfoun und der christlichen Gemeinde Shimlan vermitteln. Die lokalen Gemeinschaften sollen Wege erarbeiten, wie sie von den natürlichen Ressourcen der Region profitieren, ohne die biologische Vielfalt zu beeinträchtigen. Der Name des Projekts: „Hima for Peace“. Die Idee ist neu und doch ganz alt.

Mann in Priestergewand spricht mit Mann in Turban
Ein Austausch zwischen Konfessionen ist auch 30 Jahre nach dem Bürgerkrieg außergewöhnlich: Sheikh Hussein Al Harake (re.) aus Kayfoun im Gespräch mit dem Priester Elie Abdel Maseeh aus dem Nachbardorf Shimlan.

„Hima – das bedeutet so viel wie ‚geschützter Raum‘. Im Islam glauben wir daran, dass uns die Erde anvertraut wurde und wir als Menschen darauf achtgeben müssen“, sagt Sheikh Hussein Al Harake, der Imam von Kayfoun. Ein Landstück, das als Hima bezeichnet wird, gehört demnach keiner Einzelperson oder Gruppe: „Ein Hima ist dem Gemeinwohl gewidmet, mit dem Ziel, dass alle Bewohner:innen und das gesamte Ökosystem gemeinsam profitieren.“ Die Hima-Methode sei vor mehr als 1.500 Jahren zum ersten Mal angewandt worden. Deswegen greift auch die Umweltorganisation auf diesen Ansatz zurück. Kayfoun und Shimlan sind durch ein Hima verbunden – einen geschützten Raum, der allen gehört.

„Im Islam wird der Hima-Ansatz insbesondere dafür genutzt, um Konflikte in den lokalen Communitys zu lösen“, sagt SPNL-Mitbegründer Assad Serhal und erklärt, wie die Organisation den traditionellen Ansatz in den Libanon des 21. Jahrhunderts überträgt: „Ein Grundgedanke besteht darin, dass alle Stakeholder – Gemeindevorsteher, Ministerien, Bürgerinnen und Bürger – an einen Tisch kommen, um gemeinsam die Natur und die Zukunft des Libanons zu sichern.“

Karte des Libanon mit den Dörfern Shimlan und Kayfoun.
Viel Austausch hat es zwischen den libanesischen Dörfern Kayfoun und Shimlan bislang nicht gegeben, dabei liegen sie nah beieinander.

Auch 30 Jahre nach dem Bürgerkrieg drohen Konflikte

Im Libanon gilt die Zusammenarbeit von Dörfern unterschiedlicher Religionen auch heute – gut 30 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs – noch als Ausnahme. Das politische System spricht den verschiedenen Religionsgruppen paritätische Teilhabe zu. In der Realität ringen die einzelnen Gruppen jedoch um die Vorherrschaft. Doch genau das will die Umweltorganisation SPNL mit dem Hima-Ansatz in Kayfoun und Shimlan ändern.

Gruppe wandert durch ein Hima-Schutzgebiet
Richtungsweisend: Assad Serhal, Mitgründer der Umweltorganisation Society for the Protection of Nature in Lebanon, führt Interessierte durch eines der 28 Hima-Schutzgebiete.

Im Gemeindezentrum ist Randa Ghamloush an diesem Tag mit anderen Frauen verabredet. „Wir laden Frauen aus Kayfoun und Shimlan ein, kochen zusammen, teilen Wissen“, sagt die 25-jährige Projektleiterin Sara Shamsedeen. „Wir zeigen etwa, wie wichtig Recycling ist und welche Auswirkungen unüberlegte Umweltverschmutzungen auf uns alle haben.“ Vor dem Hima-Projekt gab es viel Misstrauen, Unwissen und so gut wie keinen Austausch zwischen den Bewohner:innen der Dörfer. „Auch ich komme aus Kayfoun. Doch ich bin zuvor niemals in Shimlan gewesen. Niemals“, sagt Shamsedeen. Dabei liegen die Dörfer nur wenige Autominuten voneinander entfernt.

Eine Wasser-Pipeline und menschliche Verbindungen

Das Motto von SPNL-Gründer Assad Serhal: „Wenn jeder auf seinen eigenen Garten aufpasst, dann blüht unser ganzes Land.“ Aktuell gibt es insgesamt 28 Himas im Libanon – Vogelschutzgebiete, Nationalparks, Ökotourismusinitiativen. Und weit mehr sind geplant. Auch mit Unterstützung von Institutionen wie der Robert Bosch Stiftung. Durch die Verbindung von lokalem Dialog, wirtschaftlicher Entwicklung und nachhaltigem Denken ist es ein vielversprechendes Modell für den Umgang mit dem Klimawandel. „Es gibt aus der ganzen Welt Interesse“, sag Serhal. „Das ist für uns in der MENA-Region ein gutes Gefühl: nicht immer nur zu nehmen, sondern auch etwas Eigenes in die Welt zu bringen.“

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch und reden miteinander.
Zwei Frauen unterhalten sich vor einer blauen Hauswand.
Wir müssen reden: Im Rahmen des Hima-Projekts treffen sich Frauen aus Kayfoun und Shimlan und tauschen sich – oft erstmals in ihrem Leben – mit ihren Nachbarinnen aus.

Dank des „Hima for Peace“-Dialogs konnten die Bürger:innen von Kayfoun und Shimlan überzeugt werden, dass sie sich ihre Wasservorkommen teilen. Eine Pipeline soll zwischen den beiden Orten entstehen. Ein Erfolg, auch aus Sicht der religiösen Führer: „Das ist etwas Neues, das gab es vorher noch nicht“, sagt Shimlans Priester Elie Abdel Maseeh zufrieden lächelnd. „Wir freuen uns sehr, dass wir Wasser aus Kayfoun bekommen.“ Noch ist der Gedanke eher Zukunftsmusik, denn ohne Strom können die Wasserpumpen nicht arbeiten. SPNL arbeitet daran, die Pumpen bald mit Solarenergie zu betreiben.

Schon jetzt sind die Erfolge erkennbar: „Seit ich an den Workshops teilnehme, fühle ich mich stärker mit der Natur verbunden, habe ein viel größeres Bewusstsein dafür, wie wichtig unsere Ressourcen sind und wie schön es ist, über die Natur auch mit den Nachbar:innen in Shimlan näher in Kontakt zu kommen“, sagt Randa Ghamloush. Sie fühle sich dem libanesischen System nicht mehr so hilflos ausgeliefert, habe dank SPNL endlich einen eigenen Handlungsspielraum. Und dann macht sie sich auf den Weg zurück nach Hause. Ihr Sohn hat angerufen. Die privaten Lieferanten haben das Wasser gebracht. Der Tank auf dem Dach ist fürs Erste wieder gefüllt.

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