Unterwegs mit der Jury des Deutschen Schulpreises

Guten Schulen auf der Spur

20 Top-Schulen werden von der Jury des Deutschen Schulpreises vor Ort besucht, um die besten Schulen Deutschlands auszuwählen. Wir haben Jurymitglied Hermann Veith beim Besuch der Berliner Rothenburg-Grundschule über die Schulter geschaut.

Text
Florentine Anders
Bilder
Vera Loitzsch/F. Anders
Datum
07. Juni 2023

Die Rothenburg-Grundschule im Südwesten von Berlin gleicht einer kleinen Burg mit zwei runden Treppenhaus-Türmchen an den Seiten. Im Torbogen über dem Eingang erinnert die Inschrift „Einkommensteuer-Veranlagungs-Kommission“ an die ursprüngliche Funktion des Gebäudes als Finanzamt vor mehr als hundert Jahren. Als das Großraumtaxi an diesem späten Nachmittag mit dem Besuchsteam der Jury des Deutschen Schulpreises vor der Schule hält, stehen die Schulleiterin Kerstin Krins und ihre Stellvertreterin Andrea Gorek schon in der geöffneten Schultür. Nur noch wenige Kinder streifen um diese Uhrzeit durch das Gebäude, um ihre Sachen einzusammeln und sich auf den Heimweg zu machen.

Die Chance auf den Deutschen Schulpreis 2023

Es ist 16.30 Uhr, die drei Jurymitglieder treffen sich an diesem Nachmittag mit der erweiterten Schulleitung, Eltern und Kooperationspartnern zu ersten Gesprächen, bevor sie am kommenden Tag, den ganzen Schultag über den Unterricht in verschiedenen Klassen und Fächern beobachten werden. Die Rothenburg-Grundschule gehört zu den ausgewählten TOP-20-Schulen des Deutschen Schulpreises, der seit 2006 jährlich von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung vergeben wird. Die versammelten Pädagog:innen sind spürbar aufgeregt – verständlicherweise, denn es geht um die Chance, im Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den renommiertesten und höchstdotierten Schulpreis zu erhalten, der in Deutschland vergeben wird. 

„Viele Schulen haben vorher das Gefühl, jetzt kommen die strengen Inspektor:innen, die ihre Arbeit bewerten“, sagt Hermann Veith, Bildungsforscher an der Georg-August-Universität in Göttingen und seit vielen Jahren Mitglied der Jury. Dieses Gefühl gilt es bei dem ersten Treffen an diesem frühsommerlichen Nachmittag zu zerstreuen, denn eine offene Atmosphäre ist wichtig, um ein authentisches Bild von der Schule zu bekommen. 

Die Stühle stehen im Kreis, in der Mitte ein runder Teppich mit einer Blumenvase, so wie es üblich ist in den Räumen der Montessori-orientierten inklusiven Grundschule.

Schon nach der Vorstellungsrunde löst sich die Spannung. Schnell wird klar, dass die Experten aus der Jury selbst als neugierige Lernende hier sind. Hermann Veith ist in der Lehrkräfteausbildung tätig und gespannt, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis ankommen. Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz (KMK), bezeichnet die Schulbesuche als seine „persönliche Fortbildung“, um zu sehen, wie sich politische Entscheidungen in der Praxis auswirken. Und Thilo Engelhardt, Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg, die 2017 Preisträger des Deutschen Schulpreises wurde, lässt sich gern inspirieren von innovativen Ideen anderer Schulen. Mit dabei sind erstmals auch eine Schülerin und ein Schüler der Bundesschüler:innenkonferenz, die der Jury über die Schulter schauen. 

Die Jurymitglieder haben sich in einem Vorgespräch alle schriftlichen Bewerbungsunterlagen noch einmal gemeinsam genau angesehen und Fragen notiert, die sie in diesen Gesprächen noch klären wollen. Wieviel Selbstständigkeit wird den Kindern beim Lernen zugetraut? Oder wie sieht die Arbeit mit der datenbasierten Diagnostik und Förderung aus? 

Die Jury möchte so viel wie möglich sehen

Nach dem Gespräch gibt es eine Führung durch das Haus. Das klingt banal, ist aber außerordentlich wichtig, damit sich die Experten am nächsten Tag gut orientieren können. Der Zeitplan ist eng getaktet, die Jury möchte so viel wie möglich sehen, Zeitverluste durch langes Herumirren sollen möglichst ausgeschlossen werden. Zudem sagt die Aufteilung der Lerngruppen auf die Räume und Etagen viel über das Schulkonzept. 

An der Rothenburg-Grundschule lernen die insgesamt 280 Kinder jahrgangsübergreifend in den Klassen 1 bis 3 und 4 bis 6. Damit sich die Kinder vor dem Wechsel nach der dritten Klasse schon kennen, gibt es Partnerklassen, die auf einer Etage arbeiten, manchmal auch schon in gemeinsamen Projekten. Die Jurymitglieder lernen auch das Lehrerzimmer kennen, das hier Mitarbeiterzimmer heißt, weil die Pädagog:innen in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten, beispielsweise mit Erzieher:innen und Schulbegleiter:innen. 

Und während die Jury-Mitglieder durch das leere Gebäude laufen, sehen sie auch die schwierigen Rahmenbedingungen, die letztlich in die Bewertung einfließen müssen. Das Gebäude der Rothenburg-Schule wurde nie als Schule gebaut. Die Klassenräume sind oft sehr klein und lassen wenig Gestaltungsspielraum zu. Wenn Gruppen geteilt werden oder Kinder sich zur Partnerarbeit zurückziehen wollen, müssen sie die Flure nutzen. Die marode Turnhalle wird saniert und ist nicht benutzbar, und in der kleinen Mensa im Keller müssen die Kinder im straffen Rhythmus nacheinander essen. Ganz oben unter dem Dachstuhl bekommt die Jury einen Schlüssel für ein kleines Mansardenzimmer, wo sie sich am nächsten Tag zurückziehen und besprechen kann. 

Kinder lernen im Flur der Rothenburg Grundschule in Berlin
Kinder in der Mensa der Rothenburg Grundschule Berlin

Entscheidend ist die Qualität des Unterrichts

Am Morgen vor Beginn des Unterrichts, stehen die Juroren in dem Mansardenzimmer und teilen auf, wer in welchen Unterricht geht. Die Unterrichtsqualität ist das Kernstück der sechs Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises, die die Jury bei ihren Besuchen unter die Lupe nimmt. Alle Türen stehen ihnen offen. Hermann Veith schaut sich in der ersten Stunde den Matheunterricht in der Jahrgangsmischung 1,2,3 an. Unauffällig setzt er sich nach einer kurzen Vorstellung in eine hintere Ecke des Raumes, um den normalen Ablauf nicht zu stören. Das ist nicht einfach, denn natürlich sind auch die Kinder aufgeregt angesichts des ungewöhnlichen Besuchs. 

„Erfahrungsgemäß gelingt es, im Laufe des Tages so in das Schulleben einzutauchen, dass man kaum noch als Fremdkörper wahrgenommen wird.“

Zitat vonHermann Veith
Zitat vonHermann Veith

Als jedes Kind seine Aufgabe und seinen Platz gefunden hat, geht Veith langsam durch den Raum, schaut sich Lehrbücher und Aufgabenformate an, beobachtet wie das eigenständige und gemeinsame Lernen funktioniert. Die Kinder sind routiniert und wissen, was sie zu tun haben. Veith ist sich schnell sicher, dass er hier eine authentische Unterrichtsstunde erlebt und keine Inszenierung für die Jury. 

Nach etwa 20 Minuten wechselt er in den nächsten Raum: Mathe in der Klasse 4,5,6. Die Schüler:innen befinden sich in einem Escaperoom, allerdings nicht virtuell, sondern ganz analog. Sie erhalten Aufgaben mit rätselhaften Koordinaten, die sie in Kleingruppen so lange diskutieren, bis sie den richtigen Code gefunden haben, mit denen sie das Zahlenschloss knacken und sich die Aufgaben für das nächste Level holen können. Veith schaut genau hin, ob die Aufgabenformate kognitiv aktivierend sind, beobachtet, ob die Kinder Lösungsstrategien entwickeln und wie die Lehrerin konstruktiv unterstützt, ohne den Weg vorzugeben. All das sind wichtige Kriterien für guten Unterricht. Auf seinem Programm stehen an diesem Tag noch zwei Englisch-Stunden, eine Deutsch-Stunde und eine Klassenrat-Stunde.

Jury-Mitglied Hermann Veith beobachtet den Unterricht

Stiller Beobachter: Jury-Mitglied Hermann Veith nimmt sich viel Zeit für die Hospitation im Unterricht.

Ein klares Bild vom Unterricht und der Schule

Während die anderen Jurymitglieder noch weiter in die Unterrichtsstunden springen, trifft sich Veith vor der Mittagspause mit einigen Schüler:innen aus allen Jahrgangsstufen. Pädagog:innen bleiben bei diesem Treffen draußen.
Veith will wissen, wie die Kinder selbst die Jahrgangsmischung erleben, was für sie genau Freiarbeit bedeutet, wie sich das von der sogenannten Lernzeit auf dem Stundenplan unterscheidet. Und vor allem, was aus ihrer Sicht die Rothenburg-Schule zu einer besonderen Schule macht. Die Kinder erzählen sprudelnd von ihren Erfahrungen, bald mehr untereinander als mit dem Juror. „Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, wie aufregend das für uns ist, wenn wir Ersties zum ersten Mal zusammen mit den großen Kindern aus den sechsten Klassen arbeiten?!“, fragt das jüngste Mädchen die Großen. Die Sechsties lächeln wissend, auch sie waren schließlich mal Erstklässler:innen. Für Veith geht es in diesem Gespräch auch darum, das Schulklima zu erspüren. Das Wohlbefinden der Kinder ist schließlich eine Grundvoraussetzung für gutes Lernen. 

Am Mittag treffen alle Jury-Mitglieder wieder in ihrem Besprechungsraum zusammen, teilen ihre Erfahrungen und beraten, was sie in dem noch ausstehenden Gespräch mit den Lehrkräften noch klären sollten. Die Pause danach ist kurz, denn nun beginnt der Bewertungsprozess. Man diskutiert intensiv, kontrovers und abwägend. Nach zwei Tagen mit Gesprächen und Unterrichtshospitationen an der Rothenburg-Grundschule ergibt sich ein erstaunlich klares Bild vom Unterricht und der Schule. Hermann Veith notiert auf seinem Tablet Stichpunkte für den Bericht. In der zweiten Jury-Sitzung Mitte Juni präsentieren die Besuchsteams ihre Schulen. Dann loten sie gemeinsam aus, welche der 20 Schulen zu den 15 Nominierten und zu den Preisträgern gehören sollen.  

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Deutscher Schulpreis

Zur Website des Deutschen Schulpreises
  • In der Jury des Deutschen Schulpreises arbeiten rund 40 Expert:innen aus der Bildungswissenschaft, der Schulpraxis und der Bildungsverwaltung.
  • In kleinen Besuchsteams sind sie an zwei Tagen bei den ausgewählten TOP-20-Schulen vor Ort. 
  • Nach den Schulbesuchen kommt die Jury Mitte Juni zusammen und entscheidet über die Nominierten und die Preisträgerschulen. 
  • Die Auswahl der Preisträger erfolgt auf der Grundlage der sechs Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises.
  • Die Preisverleihung findet am 12. Oktober 2023 in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt.  
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