Wo stehen wir auf dem Weg zu einem modernen Einwanderungsland?
In seinem Jahresgutachten blickt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen (SVR) auf die Migrations- und Integrationspolitik der vergangenen fünf Jahre zurück und verbindet seine Analysen mit Empfehlungen. Wie weit sind notwendige Reformen in der deutschen und europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik vorangekommen? Warum ist jetzt ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz erforderlich? Und gelingt es, die aufgenommenen Flüchtlinge in Bildungssystem und Arbeitsmarkt zu integrieren?
Die Sachverständigen (v.l.n.r.): Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Daniel Thym, Prof. Dr. Petra Bendel (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Thomas Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Prof. Dr. Hans Vorländer, Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender).
Balanceakt zwischen kontrollieren und integrieren
Im Fokus des politischen Handelns stand in den vergangenen Jahren die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Leitmotiv war hier der Balanceakt, einerseits Migration zu kontrollieren und wirksam zu steuern, andererseits die in Deutschland bleibeberechtigten Flüchtlinge rasch und erfolgreich zu integrieren.
Während der Sachverständigenrat (SVR) die angestoßenen rechtlichen Veränderungen auf nationaler Ebene würdigt, sieht er für Europa Nachholbedarf. SVR-Mitglied Prof. Dr. Daniel Thym: „Eine kluge Migrationspolitik setzt nicht auf nationale Alleingänge. Um die herrschenden Defizite zu beseitigen, muss die europäische und internationale Zusammenarbeit verbessert werden. Das gilt vor allem für die Verantwortungsteilung bei der Aufnahme von Asylsuchenden.“
Auch die EU-Binnenmobilität müsse wieder stärker in den Blick genommen werden, sagt der Vorsitzende des SVR, Prof. Dr. Thomas Bauer. „Ein erheblicher Teil der EU-Zuwanderer und -Zuwanderinnen kommt, um hier zu arbeiten. Die EU-Binnenmigration deckt damit einen Teil des steigenden Fachkräftebedarfs – ebenso wie einen Bedarf in der Saisonarbeit und im Bereich niedrig qualifizierter Tätigkeiten“, erklärt Bauer. „Insgesamt ist die EU-Freizügigkeit ein Gewinn für unseren Arbeitsmarkt, allerdings stellt die Armutszuwanderung aus der EU für einige Kommunen eine enorme sozialpolitische Herausforderung dar.“ Als Konsequenz fordert Bauer für geringqualifizierte zugewanderte Beschäftigte im Niedriglohnsektor einen effektiven Zugang zu Integrationskursen und weiteren Qualifizierungsangeboten, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
„Als Einwanderungsland mit klaren Regeln positionieren“
Künftig werde Deutschland stärker auf die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen angewiesen sein, ergänzt Bauer. „Dazu muss es sich als Einwanderungsland mit klaren Regeln positionieren.“ Auf der nationalen Ebene habe die Bundesregierung verschiedene Gesetze vorangebracht, die rechtliche, aber auch symbolische Wirkung entfalten könnten: Das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz beispielsweise mache die Erwerbstätigkeit von in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern zum Normalfall. Das Gesetz schaffe deutlich erweiterte Möglichkeiten auch für beruflich qualifizierte Fachkräfte, nachdem Deutschland für Hochqualifizierte schon seit längerem ein liberales Zuzugsregime habe. „Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte nun zügig verabschiedet und konsequent umgesetzt werden“, fordert der SVR-Vorsitzende Bauer.
Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist nach Einschätzung der Experten besser gelungen als vielfach erwartet: Etwa ein Drittel der erwachsenen Personen, die seit 2015 aus den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sind, hatte im Herbst 2018 einen Arbeitsplatz.