„The Jungle Grows Back“

Die zunehmende Abkehr der Ordnungsmacht USA von den internationalen Institutionen, Regeln und Normen des etablierten Systems haben zu einer tiefen Verunsicherung bei ihren westlichen Verbündeten geführt. In Berlin diskutierten Robert Kagan, Stephen & Barbara Friedman Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington, D.C., und Botschafter Thomas Bagger über Amerika, Europa und die aktuellen Veränderungen der Internationalen Ordnung.

Julian Heissler |
BBTI Jungle Podium
Manuel Frauendorf

Moderatorin Sudha David-Wilp, Robert Kagan und Thomas Bagger (von links nach rechts) im Gespräch mit 70 Gästen in der Berliner Repräsentanz der Stiftung.

Zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten befindet sich die liberale Weltordnung im Umbruch. Die zunehmende Abkehr der Ordnungsmacht USA gegenüber den internationalen Institutionen, Regeln und Normen des etablierten Systems, und ihr angekündigter Rückzug aus strategisch wichtigen Schlüsselregionen wie dem Nahen Osten, haben zu einer tiefen Verunsicherung bei ihren westlichen Verbündeten geführt. Gleichzeitig sorgt der Wiederaufstieg Russlands und Chinas für eine zunehmend unübersichtliche geopolitische Lage, die Staaten wie Deutschland eine Orientierung immer schwieriger macht.

„The Jungle Grows Back“ – so bezeichnet Robert Kagan, Stephen & Barbara Friedman Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington, D.C., diese Entwicklung in seinem vor kurzem erschienenen Buch mit gleichlautendem Titel. Im Rahmen der Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative (BBTI) stellte er seine Thesen in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung im Gespräch mit Botschafter Thomas Bagger vor, Leiter der Abteilung Außenpolitik im Bundespräsidialamt und langjähriger Diplomat im auswärtigen Dienst. Durch das Gespräch führte Sudha David-Wilp, Senior Transatlantic Fellow und Deputy Director des Berliner Büros des German Marshall Fund of the United States.

Wenn die Weltordnung zusammenbricht, spüren die USA es als letztes.

Für Kagan kommt der zunehmende Rückzug der Vereinigten Staaten von der Weltbühne nicht überraschend. Schließlich verfüge das Land über eine starke isolationistische Tradition, die auch in der Vergangenheit immer wieder zu Tage trat. „Die Amerikaner haben schon immer geglaubt, dass es sie nicht betrifft, was in der Welt passiert“, sagt er. Dies sei durchaus nachvollziehbar. Schließlich schützte allein schon die Geografie das Land oftmals davor, die Auswirkungen internationaler Krisen direkt zu spüren. „Zwischen den USA und Europa liegen 3000 Meilen Wasser“, erklärt Kagan. „Wenn die Weltordnung zusammenbricht, spüren die USA es als letztes.“

Auch deshalb sei es selbst Präsident Franklin Delano Roosevelt lange nicht gelungen, die Bevölkerung der USA von einem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zu überzeugen, selbst dann nicht, als ihre engsten Verbündeten von Deutschland überrannt und an den Rand der Niederlage gebracht worden waren. Erst nachdem der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor die Amerikaner direkt getroffen hatte, stieg die Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung.

Den Dschungel im internationalen System eindämmen

Die Nachkriegsordnung habe vor allem aufgrund der Bedrohungslage durch die Sowjetunion so lange funktioniert, sagt Kagan. Obwohl der Krieg in Vietnam von den USA deutlich größere Opfer verlangt habe als der im Irak, habe es nach dem Ende des Einsatzes in Südostasien in Washington keine ernstzunehmenden Bestrebungen gegeben, sich von der Weltbühne zurückzuziehen. Im Verlauf des 21. Jahrhunderts sei dieser Impuls jedoch zunehmend verloren gegangen.

„Das liberale Weltordnungssystem basiert auf einer düsteren und pessimistischen Vision des Planeten“, so Kagan. Es wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs erdacht, um die schlimmsten Impulse der Menschheit und den Dschungel im internationalen System einzudämmen. Jetzt, da diese Bedrohungslage scheinbar zurückgegangen ist, sinkt die Bereitschaft, die multilaterale, regelbasierte Ordnung aufrecht zu erhalten.

„Wir waren viel zu optimistisch“

„Der Rückzug der USA wurde jedoch bereits vor Trump in den Obama-Jahren sichtbar. Wie konnte er so lange übersehen werden? Und ist Deutschland bereit, eine internationale Führungsrolle zu übernehmen“, fragt Moderatorin Sudha David-Wilp.

„Wir waren viel zu optimistisch“, sagt Thomas Bagger, außenpolitischer Berater von Frank-Walter Steinmeier. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte sich die Bundesrepublik in der liberalen Weltordnung eingerichtet. Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung habe das Gefühl von Sicherheit noch verstärkt. Das von Francis Fukuyama prognostizierte „Ende der Geschichte“ sei hierzulande besonders herbeigesehnt worden. Schließlich hätte sich unter dem Schutz der Amerikaner ein friedliches und reiches Europa und ein prosperierendes Deutschland entwickelt.

Heute müsse man jedoch feststellen, dass der Glaube an eine immer stabiler werdende Welt ein Fehler gewesen sei. „Wir sind nicht nur verwirrt sondern tief verunsichert von einem US-Präsidenten, der den Teppich unter unserer außenpolitischen Vision wegzieht, die auf Nie-Wieder und Niemals-Allein basiert“, so Bagger.

Und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus

Dass Deutschland das sich abzeichnende Führungsvakuum ausfüllen kann, glaubt er nicht. Schließlich würde eine deutsche Hegemonie im herkömmlichen Sinn von großen Teilen Europas nicht akzeptiert werden – zumal die Bundesrepublik diese Rolle in ihrer traditionellen Form auch gar nicht anstrebe. „Die Deutschen verstehen die Welt nicht mehr. Wir hatten das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben und plötzlich sieht die Welt ganz anders und gefährlich aus.“

Kehrt die Welt nun also in einen Hobbes’schen Urzustand zurück? Überwuchert der Dschungel die über Jahrzehnte gewachsenen Institutionen und macht den Planeten erneut zu einem Ort, an dem nur das Recht des Stärkeren zählt? Ganz so pessimistisch sind Robert Kagan und Thomas Bagger nicht. „Die liberale Weltordnung ist nicht verschwunden, aber viele ihrer Charakteristika sind unter Beschuss. Wenn der Westen kohärent und vereint auftreten würde, wäre etwa Russlands expansive Machtpolitik leichter einzudämmen“, so Kagan. Sorge mache ihm, dass die Entwicklung derzeit an allen Fronten in die falsche Richtung gehe. Verloren sei der Kampf jedoch noch lange nicht. „Wir müssen uns einfach zusammenreißen“, sagt er. „Letztlich ist die Zukunft offen und nicht vorbestimmt“, so das Fazit von Thomas Bagger.