Meinungsbeitrag
Den Teufelskreis der Ungleichheit durchbrechen
Ungleichheit entwickelt sich zunehmend zu einem Teufelskreis, der zu Lasten aller Menschen geht. Ein neuer Bericht der Pathfinders Initiative zeigt Wege auf, wie diese Abwärtsspirale durchbrochen werden kann. Die Ergebnisse enthalten somit auch interessante Lehren zur Bekämpfung von Ungleichheiten für die nächste Bundesregierung. Eine Einordnung von Dr. Ellen Ehmke.
Die neue Bundesregierung steht vor zahlreichen Herausforderungen. Eine davon ist die Bekämpfung von Ungleichheit.
Nicht zuletzt durch und während der Covid-19 Pandemie ist die Ungleichheit mit Blick auf Einkommen, Vermögen und Lebenschancen innerhalb einzelner Länder und global gestiegen. Während weltweit 120 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut gedrängt wurden, sind im Laufe eines Jahres die Vermögen der globalen Milliardäre von 8 auf schier unfassbare 13 Billionen US-Dollar angewachsen.
Die Covid-19 Pandemie ist eine Pandemie der Ungleichheit
Den größten finanziellen Verlusten ausgesetzt sind diejenigen, die sich ohnehin in unsicheren und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen befinden. Nachteile auf dem Arbeitsmarkt, in Bildungssystemen und anderen gesellschaftlichen Institutionen erfahren dabei insbesondere Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten. Global gesehen verloren 75 Millionen Menschen ihre Arbeit und Einkommen, darunter überproportional viele Frauen, junge Menschen, Selbständige und weniger gut ausgebildete Arbeitende. Vor allem für Kinder aus weniger privilegierten Elternhäusern werden die temporären Schulschließungen zum dauerhaften Ausschluss von gut bezahlten Jobs und Aufstiegschancen führen – mit ebenso absehbaren wie verheerenden persönlichen und gesellschaftlichen Langzeitfolgen.
Ein Anstieg der Ungleichheit rund um den Globus zeichnet sich auch deswegen ab, weil die wirtschaftliche Erholung erst einsetzt, wenn die Auswirkungen der Pandemie durch Impfungen abgemildert werden. Dies ist bisher auf Grund der ungerechten Verteilung der Impfstoffe vor allem in Industrieländern der Fall. In den G7 Staaten genießen bereits heute 58 Prozent der Bevölkerung vollständigen Impfschutz. Dagegen sind erst 3 Prozent der 1,3 Milliarden Afrikaner:innen geimpft, in Burundi wurde 18 Monate nach der Herstellung wirksamer Vakzine noch keine einzige Dose verabreicht. Fest steht: Die Covid-19 Pandemie ist eine Pandemie der Ungleichheit.
Zur Person
Dr. Ellen Ehmke ist Senior Expertin für Ungleichheit in der Robert Bosch Stiftung. Die Stiftung will einen Beitrag dazu leisten, Ungleichheit zu verringern und ein Leben in Würde und Gleichberechtigung für alle Menschen zu ermöglichen. Dabei geht es ihr vor allem um die Frage, wie unterschiedliche Formen von Ungleichheit und Diskriminierung zusammenwirken und sich gegenseitig beeinflussen. Zudem unterstützt die Stiftung Akteure, die für die Verringerung von Ungleichheit eintreten.
Bericht der Pathfinders Initiative zeigt Wege aus der Ungleichheit auf
Wenn nichts unternommen wird, droht in zahlreichen Ländern eine Abwärtsspirale, in der sich die Effekte von gesellschaftlichem Ausschluss, ungerechter Verteilung, mangelnder Beteiligung in politischen Prozessen und fehlendem Vertrauen in die gemeinschaftliche Problemlösungsfähigkeit gegenseitig verstärken. Angesichts großer nationaler und globaler gesellschaftlicher Herausforderungen, wie dem Klimawandel, ist dies fatal.
Doch es geht auch anders. Der neue Bericht der Pathfinders Initiative for Equity and Inclusion, einer breiten Allianz aus Regierungen, Internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisation, Think Tanks und Stiftungen, zeigt Wege auf, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Pathfinders haben die politischen Strategien verschiedener Länder ausgewertet und nach dem Schlüssel für den Erfolg für einen dauerhaften Abbau von Ungleichheit gesucht. Dabei haben sie drei zentrale Säulen gefunden:
- Erfolgreiche Strategien gegen Ungleichheit beginnen mit Politiken, die einen merklichen Unterschied im Leben vieler Menschen machen, beispielsweise Kindergeld für alle Familien, ein angemessener und tatsächlich gezahlter Mindestlohn oder einer Grundrente.
- Zweitens sind diese Strategien dadurch gekennzeichnet, dass sie den Aufbau von Solidarität zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, statt diese gegeneinander auszuspielen.
- Drittens ist es wichtig, gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, welche die Glaubwürdigkeit des politischen Systems und von Entscheidungsträger:innen stärken und so dazu beitragen, dass frühere Erfolge nicht leicht revidiert werden. Dazu zählen etwa die Eindämmung von Korruption und der übermäßigen Einflussnahme von kleinen privilegierten Interessengruppen.
Im Detail sehen die Strategien in jedem Land anders aus, wichtig ist jedoch, dass alle drei Säulen gleichermaßen bedient werden, um Ungleichheit dauerhaft zu reduzieren. Andernfalls droht – wie etwa in Brasilien – nach Jahren des Erfolgs die Rückkehr der Ungleichheit.
Die Initiative
Große Aufgaben für die nächste Bundesregierung
Wie steht in diesem Kontext Deutschland da? Auch hier verharrt die Einkommensungleichheit seit Jahren auf einem historisch hohen Niveau. Bei der Vermögensungleichheit nimmt Deutschland im europäischen Vergleich sogar einen Spitzenplatz ein. Dies zeigen Berichte der Bundesregierung ebenso wie die von verschiedenen Forschungsinstituten. Zugleich äußern Menschen in Befragungen hierzulande, dass sie gesellschaftliche Spaltung als Problem sehen und sich weniger Ungleichheit wünschen. Es gibt zahlreiche Gründe dafür, Ungleichheit abzubauen und dies offensiv anzugehen.
Ein erster notwendiger Schritt ist ein neuer gesellschaftlicher Diskurs, der deutlich macht, dass Ungleichheit letztlich nur Verlierer hervorbringt. Es gibt gravierende Unterschiede, in welchem Maße Menschen heute von den negativen Folgen der Ungleichheit betroffen sind. Und doch ginge es allen besser – abgesehen von einer winzigen Minderheit –, wenn es gelänge, diesen Trend umzukehren.
Mit Blick auf Politikfelder, die einen großen und messbaren Unterschied im Leben zahlreicher Menschen machen, bestätigt der Blick in den Pathfinders Bericht – und damit in andere Länder – einiges, was auch hierzulande nach der Wahl hoch auf der Agenda stehen sollte: der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, eine Aufwertung von Pflege- und Sorgearbeit, bessere digitale Infrastruktur für alle und bezahlbare erneuerbare Energien. Dies könnte nicht nur zum Abbau von Ungleichheit beitragen, sondern auch zum Erreichen der Klimaziele. Wenn die Bevölkerung in der Breite erreicht wird, entsteht mehr Raum für Solidarität zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Und genau diese Solidarität ist wichtig, um eine Basis für den weiteren Ausbau des Gemeinwesens zu schaffen und das Vertrauen in unser politisches System sowie seine Fähigkeit zur Problemlösung zu stärken.
Einladung zu einem neuen, solidarischen Gesellschaftsvertrag
Zudem verweist der Pathfinders Bericht auf den notwendigen Beitrag, den insbesondere Industriestaaten zum Abbau von globaler Ungleichheit leisten müssen. An erster Stelle steht derzeit der gerechte Zugang zu Impfstoffen dicht gefolgt von einer global gerechten Steuer- und Finanzpolitik, die es allen Staaten ermöglicht, die notwendigen Ressourcen zu generieren, um ebenfalls Politiken entlang der drei oben genannten Säulen für ihre Bevölkerung umzusetzen. Auch hier ist die neue Bundesregierung gefordert.
Schlussendlich laden die Pathfinders alle ein – auch jene, die Ungleichheit bisher nicht als strukturelles, Gesellschaften zersetzendes und Zukunft zerstörendes Problem erkannt haben – gemeinsam neue Wege zu beschreiten und einen neuen, solidarischen Gesellschaftsvertrag einzugehen. Der Bericht kann und sollte für alle Parteien Inspiration, Ansporn und Leitstern zugleich sein, den Teufelskreis der Ungleichheit zu durchbrechen.